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Brochier

Mit dem Headset die Heizung reparieren

Brochier © Thomas Tjiang

Lenken die Geschicke des Unternehmens: Mehrheitsgesellschafter Pascal Brochier mit den beiden Geschäftsführern Christian Waitz und Volker Huth (v. l.).

Digitalisierung soll dem Nürnberger Unternehmen helfen, dem Fachkräftemangel und der komplexer werdenden Technik zu begegnen.

Das Nürnberger Familienunternehmen Brochier Holding GmbH + Co. KG blickt in diesem Jahr auf eine 150-jährige Firmengeschichte zurück. 1873 eröffnete Paul Brochier sen. in der Nürnberger Adlerstraße ein Geschäft für Sanitärinstallationen. Kerngeschäft war damals die Modernisierung des Gasleitungsnetzes sowie der Bau von Wasserleitungen und kompletten Wasserversorgungen. Zu dieser Zeit beleuchteten Gaslaternen die Straßen, elektrische Lampen waren damals noch nicht zu sehen. Heute deckt die Brochier-Gruppe ein ungleich größeres Spektrum ab: Es reicht von der Sanitär-, Heizungs-, Kälte-, Klima- und Lüftungstechnik bis zur Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik. Außerdem gehören technisches Gebäudemanagement, Solartechnik, Flaschnerarbeiten, Badsanierungen und die Sanierung von Anlagen zur Grundstücksentwässerung sowie Klärwerkstechnik zum Programm. Die Referenzliste im Großraum ist lang und enthält viele bekannte Objekte und Firmennamen.

Unter der Regie von Pascal Brochier, seit vergangenem Jahr Mehrheitsgesellschafter in fünfter Generation, schlägt das Traditionsunternehmen ein neues Kapitel auf: "Wir bereiten hier die digitale Zukunft des Handwerks vor." Der 30-Jährige entwickelt mit einem kleinen Innovationsteam und externen Spezialisten eine Anwendung für die Branche im Bereich "Augmented Reality" (AR), also der "erweiterten Realität". In nicht allzu ferner Zukunft sollen Heizungsmonteure auf der Baustelle mit einer AR-Brille einen Blick auf die Geräte bei den Kunden werfen. Für einen Test oder eine Reparatur bekommen sie alle notwendigen Informationen eingeblendet oder können selbstständig durch technische Anleitungen blättern.

Ein Herzstück ist die bereits als Prototyp vorliegende Smart-Box für eine hauseigene IoT-Plattform. "IoT" steht für "Internet of Things" und bezeichnet in diesem Fall durchdigitalisierte Prozess- und Gebäudetechnik. Die Box macht beispielsweise Betriebsdaten einer Heizung digital verfügbar und könnte künftig einmal durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz auch bevorstehende Betriebsstörungen vorhersagen. Wenn die letzten Tests abgeschlossen sind, will Pascal Brochier die ersten tausend Stück der Smart-Box in Fernost ordern. Die digitale Anwendung will er auch anderen Betrieben der Branche zur Verfügung stellen. "In Zukunft werden wir die Hälfte unseres Geschäfts digital machen", so der junge Unternehmer. Das Projekt "Brochier digital" hat aber noch einen weiteren Aspekt: Handwerkskräfte sind auch in dieser Branche rar gesät. Deshalb könnten auch unerfahrene Fachkräfte komplexere Aufgaben erledigen, wenn ein erfahrener Kollege sich aus dem Homeoffice digital über die AR-Brille hinzuschaltet, Arbeiten überwacht oder Tipps zur Lösung gibt. Selbst Handwerkskräften mit unzureichenden Deutschkenntnissen könnte mit der AR-Brille durch Fremdsprachen oder Piktogrammen geholfen werden.

Digitalisierung als wichtige Hilfe

Christian Waitz, Großcousin von Pascals Vater Alexander Brochier, führt mit Volker Huth die Brochier Holding als Geschäftsführer. Waitz sieht angesichts eines explodierenden Markts für Einbau und Wartung von Wärmepumpen noch einen weiteren Grund, der für die Digitalstrategie des Familienunternehmens spricht: Denn es werden Wärmepumpen von 30 bis 40 verschiedenen Herstellern verbaut. Diese technische Vielfalt zu beherrschen, sei ohne effiziente Hilfe nicht zu stemmen. Generell hat sich in den letzten Jahren das Geschäft im Bereich technisches Gebäudemanagement deutlich digitalisiert: Das kann im privaten Bereich bis zum "Smart Home" reichen, bei Unternehmen kann es darum gehen, unterschiedliche Wärmeerzeuger, etwa Blockheizkraftwerke und Wärmepumpen, effizient zu steuern.

Für die zunehmende Komplexität sieht sich der Traditionsbetrieb gut aufgestellt: "Wir haben Kompetenz in jedem Bereich", sagt Waitz mit Blick auf die mittlerweile 16 Firmen, die zur Gruppe gehören. Darunter befinden sich die ausgegliederten Geschäftsbereiche Brochier Gebäudeservice GmbH + Co. KG für Bad- und Wohnungssanierung sowie Kundendienst und die Brochier Entwässerungstechnik GmbH für Kanal- und Rohrinspektion und -sanierung. Weitere Tochterunternehmen haben sich auf Gebäudetechnik oder Energie- und Anlagentechnik spezialisiert. Mit Zukäufen – wie der E:tech Elektroservice Nürnberg GmbH – habe man auch neues Know-how erworben, ergänzt Huth. Die zunächst regional fokussierte Firma ist mittlerweile deutschlandweit für Gewerbe, Industrie oder Planungsbüros unter anderem in Sachen Stark- und Schwachstrom, Netzwerk- und Datentechnik sowie Photovoltaik-Anlagen oder E-Mobilität im Einsatz. "Wir haben hier einen neuen Fachbereich erfolgreich aufgebaut."

Leichtes Wachstum erwartet

Neben einer starken Präsenz im Großraum Nürnberg ist die Gruppe auch mit zwei Töchtern in Aschaffenburg sowie zwei Betrieben in München am Markt präsent. Aktuell würden weitere Gespräche zu möglichen Übernahmen geführt. "Wir gliedern Fachbetriebe erfolgreich ein", unterstreicht Brochier. Häufig wird gerade bei einer fehlenden Nachfolgeregelung direkt vom Eigentümer übernommen, der danach noch für zwei weitere Jahre für einen fließenden Übergang sorgt. Aber schon vor einer Akquisition schaue man in die zweite Reihe der Führungskräfte, um potenzielle Chefs zu identifizieren. Diese Praxis habe sich bewährt, flankiert Huth: "Wir haben einen guten Ruf, Betriebe kommen von sich aus auf uns zu."

Im vergangenen Jahr kletterte der Umsatz – nach einem Corona-bedingten Tief mit 88 Mio. Euro – wieder auf 102 Mio. Euro. Belastend für das Geschäft ist der Aufwand für Material und Rohstoffe, der sich zuletzt verdreifacht habe, führt Waitz aus. Für die vielen Wärmepumpen-Aufträge bekomme man allerdings kaum Geräte. Trotzdem stehen für das laufende Jahr die Zeichen auf ein weiteres, leichtes Wachstum. Selbst in der schwächelnden Branche des gewerblichen Wohnbaus ist das Unternehmen rege tätig: Für einen Investor arbeitet Brochier an einem Neubaukomplex mit 350 Wohnungen. Typischerweise ist die Gruppe überwiegend in den Bereichen Betrieb und Sanierung aktiv, die 80 Prozent des Umsatzes ausmachen. Das Geschäft resultiert dort aus einem hohen Anteil an Stammkunden. Das dominierende Segment mit der Industrie wurde nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 deutlich abgespeckt und die Abhängigkeiten von wenigen großen Kunden reduziert. So wurde etwa die Sparte Öffentliche Hand gestärkt, im Raum München sei man bei Schwimmbädern und Schulen gut aufgestellt. Der Anteil privater Kunden macht etwa zehn bis 15 Prozent aus.

Die Brochier-Gruppe ist auch von einem Nadelöhr betroffen, mit dem die gesamte Wirtschaft zu kämpfen hat, nämlich ausreichend Fachkräfte und Azubis zu finden. "Es mangelt nicht nur an Rohstoffen, sondern auch an der Bearbeitung", berichtet Waitz mit Blick auf unbesetzte Stellen. Ein Fokus liegt auf der Beschäftigung Geflüchteter: Am Standort Aschaffenburg arbeite einer der ersten ausgelernten Afghanen, sagt Huth, als er über die Fachkräfterekrutierung bei Geflüchteten spricht. Um mehr Azubis zu bekommen, stelle man Helfer ein, die in einem halben Jahr auf eine Ausbildung vorbereitet werden. "Die scheitern oftmals nicht fachlich, sondern sprachlich", sagt Waitz. Daher biete man auch interne Deutschkurse an.

Mehrheitsgesellschafter Pascal Brochier führt derzeit als kaufmännischer Leiter die Tochtergesellschaft E:tech Elektroservice. Nach einer Ausbildung im Großhandel absolviert er derzeit noch ein Master-Studium, das er voraussichtlich im nächsten Jahr abschließt. Für den zweitältesten der drei Söhne von Alexander Brochier war es lange nicht klar, ob er die Geschicke des Familienunternehmens fortführen will. "Jetzt bin ich dankbar für diese Chance und mir der großen Verantwortung bewusst." Vater Alexander war 1976 ins Unternehmen eingestiegen und lenkte es durch Höhen und Tiefen. 1992 gründete er seine gleichnamige Stiftung, um sich über das Tagesgeschäft hinaus seiner Verantwortung als Unternehmer zu stellen. Auch dieser Rolle nimmt sich Pascal Brochier als Nachfolger an.

Autor/in: 

(tt.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2023, Seite 76

 
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