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Fahrt zur Arbeit

Nicht vom rechten Weg abkommen

Die gesetzliche Unfallversicherung springt nur dann bei Unfällen ein, wenn die Fahrt in direktem Zusammenhang mit der Arbeit steht. Von Esther Wellhöfer

Rund 225 000 Unfälle geschehen jedes Jahr auf dem Weg zur Arbeit. Diese Zahl veranschaulicht das Risikopotenzial und die versicherungsrechtliche Bedeutung dieser Art von Unfällen. Gerade solchen sogenannten Wegeunfällen kann die Einordnung als Arbeitsunfall entscheidend sein, denn nur dann muss die gesetzliche Unfallversicherung für die Unfallfolgen einspringen. Hinzu kommt, dass nicht nur die Umstände des Unfalls bewiesen werden müssen, sondern auch, dass die gesundheitlichen Schäden tatsächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Im Folgenden einige interessante Gerichtsfälle, die die Problematik verdeutlichen.

Tanken: Bereits kurze Unterbrechungen aus privaten Motiven können den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung aufheben. Das zeigt der Fall eines Kranführers, der mit seinem Motorroller auf einer Bundesstraße zu seinem Arbeitsplatz unterwegs war. Als er zum Tanken in eine Tankstelle abbiegen wollte, stieß er mit einem Pkw zusammen, der gerade aus der Tankstelle auf die Straße fahren wollte. Das Landessozialgericht (LSG) musste jetzt entscheiden, ob das Tanken bereits privaten Zwecken diente. Dann würde kein Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bestehen. Die Sozialrichter wiesen die Klage des Mannes ab, da er aus privaten Motiven in die Tankstelle abgebogen war. Nur wenn er notwendigerweise und unerwartet hätte tanken müssen, um überhaupt zur Arbeitsstätte zu gelangen, wären ein Zusammenhang mit der Arbeit und damit der Unfallversicherungsschutz weiterhin gegeben gewesen (Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 3. November 2011, Aktenzeichen: L 3 U 7/09).

Etwas vergessen: Frühmorgens kann es schon einmal passieren, dass man etwas zu Hause vergisst. So erging es einem Berufskraftfahrer, der seine Brieftasche samt Führerschein und Fahrzeugpapieren daheim vergessen hatte. Als ihm das nach einer Fahrstrecke von 85 Kilometern auffiel, machte er kehrt und holte Börse und Papiere. Gerade als er wieder ins Auto einsteigen wollte, um zur Arbeit zu fahren, verknackste er sich das Knie. Wird der ursprünglich geplante Arbeitsweg unterbrochen, ist die davon abweichende Strecke nur unfallversichert, wenn die Fahrt selbst wiederum im Zusammenhang mit der Arbeit steht. Das Landessozialgericht Saarland bejahte hier einen Wegeunfall. Denn die Papiere benötigte der Kraftfahrer für seine Arbeit, sodass auch die wegen der Umkehr notwendige, zusätzliche Strecke in einem engen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stand (Landessozialgericht Saarland, Urteil vom 9. Juni 2010, Aktenzeichen: L 2 U 50/09).

Alkoholeinfluss: Eigentlich sollte Alkohol bei der Arbeit tabu sein. Noch schlimmer wird es, wenn man im angetrunkenen Zustand den Nachhauseweg mit dem Auto antritt. Denn dann muss die gesetzliche Unfallversicherung nicht leisten. Diese Erfahrung machte die Witwe eines 30-jährigen Vaters von zwei Kindern, der auf der Heimfahrt mit 2,2 Promille einen tödlichen Autounfall hatte. Das Landessozialgericht Hessen lehnte einen Anspruch seiner Hinterbliebenen ab, da das Handeln des Verstorbenen als eigenverantwortliche Selbstschädigung zu bewerten war. Zugleich sah das Gericht im Verhalten des Arbeitgebers keine Verletzung seiner Fürsorgepflicht. Eine solche setzt voraus, dass er Alkohol im Betrieb geduldet und keine Schutzvorkehrungen getroffen hätte. Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber aber im Betrieb ein Alkoholverbot erteilt und alkoholfreie Getränke bereitgestellt (LSG Hessen, Urteil vom 15. Mai 2011, Aktenzeichen: L 9 U 154/09).

Auffahrunfall: Ein Autofahrer erlitt erhebliche Verletzungen an der Halswirbelsäule, als ein anderer Verkehrsteilnehmer mit voller Wucht auf sein Fahrzeug auffuhr. Nachdem das Unfallopfer einige Zeit Rente bezogen hatte, bestätigte ein vereidigter Sachverständiger später aber, dass er nur an schicksalsbedingten Beschwerden litt. Nach jahrelangen Streitigkeiten musste schließlich das Landessozialgericht Bayern klären, wann körperliche und gesundheitliche Schäden als Folgen eines Auffahrunfalls zu beurteilen sind. Das ist nach Ansicht der Richter der Fall, wenn die Schäden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wesentlich oder voll durch den Unfall verursacht wurden und die Unfallfaktoren stark überwiegen. Hier war das Gericht jedoch zur Überzeugung gekommen, dass die Schäden an der Halswirbelsäule nicht zwingend vom Wegeunfall herrühren (LSG Bayern, Urteil vom 15. November 2011, Aktenzeichen: L 3 U 322/10).

Wahl des Verkehrsmittels: Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung besteht unabhängig davon, ob man per Auto, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß auf dem Arbeitsweg unterwegs ist. Eine Mitarbeiterin war in einer entfernten Stadt, um dort ein Seminar zu besuchen. Als sie im Bus gerade die Rückfahrkarte lösen wollte, fuhr eine Straßenbahn mit voller Wucht in den Bus. Die Frau wurde durch die Busscheibe geschleudert und erlitt schwerste Verletzungen. Ohne Probleme wurde der Unfall als Arbeitsunfall anerkannt. Durch den Unfall war die Frau aber so traumatisiert, dass sie unter anderem keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen und nicht mehr zur Arbeit fahren konnte. Das LSG Bayern musste über ihre Erwerbsminderungsrente entscheiden. Die Klägerin forderte die Anerkennung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 Prozent. Doch die Richter sprachen ihr nur eine zehnprozentige Minderung zu. Sie könne ja immer noch mit dem Auto zur Arbeit fahren, so die Sozialrichter (LSG Bayern, Urteil vom 15. März 2011, Aktenzeichen: L 3 U 252/10).

Autor/in: Esther Wellhöfer, ist leitende Redakteurin bei der anwalt.de services AG in Nürnberg (www.anwalt.de).
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 04|2012, Seite 44

 
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