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Volkswirtschaft

Wie misst man Glück und Wohlstand?

Weltweit ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der wichtigste Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes und den Wohlstand seiner Bürger. Aber macht Wachstum wirklich glücklich?

Sicherlich sei das BIP der bekannteste und am meisten akzeptierte Indikator, aber wie jedes Messkonzept auch mit Schwächen verbunden, erklärt Dr. Udo Raab, Leiter des IHK-Geschäftsbereichs Standortpolitik / Unternehmensförderung. Nicht abgedeckt würden Aspekte wie Nachhaltigkeit und Verbrauch von Ressourcen sowie externe Effekte oder die nicht am Markt bewerteten Leistungen der öffentlichen Hand. Wenn man individuelles Wohlergehen oder gesellschaftliche Wohlfahrt nicht allein monetär messen wolle, reiche das BIP nicht aus. Denn einbezogen werden müssten auch immaterielle Aspekte, die ebenfalls Bedürfnisse von Menschen erfüllen und damit Nutzen stiften.

Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel von der Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg bestätigt: „Das Bruttoinlandsprodukt misst – und dies auch nur sehr unzureichend – den Umfang der wirtschaftlichen Aktivität, sagt aber – sofern die materiellen Grundbedürfnisse gedeckt sind – kaum mehr etwas über das Wohlergehen der Menschen aus.“ Ruckriegel ist Professor für Makroökonomie, insbesondere Geld- und Währungspolitik sowie Psychologische Ökonomie und interdisziplinäre Glücksforschung. Nach seiner Beobachtung haben westliche Industrieländer in den letzten Jahrzehnten zwar eine Vervielfachung des realen Bruttoinlandsprodukts pro Kopf geschafft, aber keine Zunahme der Lebenszufriedenheit. Darauf hatte schon Ludwig Erhard aufmerksam gemacht: „Es ist ökonomisch höchst naiv, die Messziffer für das Wirtschaftswachstum, die reale Veränderungsrate des Bruttosozialprodukts, in irgendeiner Weise mit der Vorstellung zusammenzubringen, dass die ‚kollektive Wohlfahrt’ gesteigert werde.“ Nach Meinung Ruckriegels ist es deshalb höchste Zeit, nach Indikatoren zu suchen, die gesellschaftlichen Fortschritt, Glück und Zufriedenheit in einer Gesellschaft besser abbilden. Dem stimmt auch IHK-Chefvolkswirt Udo Raab zu: „Ich halte sehr viel von der Suche nach Alternativen zum BIP als einzigem geläufigen Wohlstandsindikator.“

Einfluss auf Entscheidungen

Christian Kroll, Sozialwissenschaftler an der London School of Economics, weist darauf hin, dass die Art der Messung auch Einfluss auf Entscheidungen habe. Denn wenn das Handeln nach rein ökonomischen Maßstäben wie dem BIP gemessen werde, werde die Basis für Entscheidungen anders gesetzt, als wenn das Wohlergehen der Menschen im Mittelpunkt stehen würde. So empfiehlt beispielsweise die Stiglitz-Kommission in Frankreich – eine hochrangig mit Nobelpreisträgern besetzte Expertenrunde – das ökonomische Indikatorensystem zu überarbeiten, die Lebensqualität breiter zu messen und die Nachhaltigkeit stärker zu berücksichtigen, die vom BIP nicht abgedeckt würden. Das findet auch Janika Gauselmann, Volkswirtin bei der BayernLB: „So impliziert ein höheres BIP nicht automatisch mehr Wohlstand, da bei der Berechnung nicht differenziert wird, ob eine Ware oder eine Dienstleistung eine Nutzensteigerung für die Menschen darstellt.“ So steigt beispielsweise das BIP, wenn aufgrund eines Verkehrsstaus mehr Benzin verbraucht wird, wenn ein Auto nach einem Unfall repariert wird oder wenn aufgrund steigender Umweltbelastungen ärztliche Leistungen häufiger in Anspruch genommen werden müssen.

Das liegt laut Gauselmann daran, dass das BIP nur marktmäßig erbrachte Leistungen erfasst. Wenn also Leistungen wie Kindererziehung, die Zubereitung von Mahlzeiten, Wäschepflege oder das Sauberhalten der Wohnung von Dienstleistern erledigt wird, steigt das BIP. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn diese Leistungen von den Familien selbst bewältigt werden.

Noch kein neuer Wohlstandsindikator

Zwar wissen die Wissenschaftler recht genau, welche Faktoren beim BIP ganz oder teilweise fehlen, aber einen neuen besseren Wohlstandsindikator haben sie noch nicht gefunden. „Überlegungen in dieser Hinsicht sind sinnvoll, werden aber immer wieder daran scheitern, wie solch neue Indikatoren zusammengesetzt werden sollen“, sagt Gertrud R. Traud, Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba). Ganz auf den Faktor BIP verzichten wollen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft jedenfalls auf keinen Fall. Zwar beschäftigt die Frage nach einem besseren Indikator zur Messung von Wohlergehen Sozialwissenschaftler in aller Welt bereits seit Jahrzehnten, aber Gauselmann warnt vor übertriebenen Hoffnungen: „Die Annahme, es könnte ein einzelner Indikator gefunden werden, der das Wohlbefinden der Menschen in einem Land perfekt widerspiegelt, ist unrealistisch.“ IHK-Experte Raab bestätigt: „Mangels besserer Funktionsfähigkeit ist man dennoch immer wieder auf das BIP zurückgekommen. Das ist eben auch im internationalen Vergleich das einzige halbwegs einheitliche Messkonzept und daher auch wenigstens grob vergleichbar.“ Ein Problem bei der Suche nach einem neuen Wohlstandsindikator sei auch die Tatsache, dass die Vorstellungen darüber, was uns „glücklicher“ macht, sehr unterschiedlich seien. Raab weist auf die amerikanische Verfassung hin, in der das Streben nach Glück („pursuit of happiness“) als Grundrecht verankert wurde: „Aber wie man das misst, wissen sie dort wohl auch nicht besser.“

Neue Regeln

Zumindest an kleine Erfolge und Fortschritte bei der Suche nach neuen Wohlstandsindikatoren glaubt der Nürnberger Glücksforscher Ruckriegel: Nach der Stiglitz-Kommission sollte die Politik sich nicht mehr am Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts an sich orientieren, sondern an der Verteilung von verfügbaren Einkommen, Konsum und Vermögen auf der Haushaltsebene, an der objektiven Lebensqualität (Gesundheitsstatus, Bildungsniveau, Umweltzustand) und dem subjektiven Wohlbefinden der gegenwärtigen Generation sowie an der (ökologischen) Nachhaltigkeit für zukünftige Generationen. Nach seinen Angaben hat auch die OECD in ihrem „Better-Life-Index“ diesen Ansatz aufgegriffen. Mehr als 40 Ländern hätten sich schon auf den Weg gemacht, diese Aspekte stärker zu gewichten.

Autor/in: 
hpw.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 11|2012, Seite 18

 
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