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Mehr Kinder - dank Mut und Migration

Von Sandra Trauner, Redakteurin der Deutschen Presse-Agentur (dpa), in Elternzeit

Täglich erreichen uns neue Hiobsbotschaften aus der Welt der Demografie, in der Deutschland in einer Beziehung ganz unten angekommen ist: Wir haben die weltweit geringste Geburtenrate je 1 000 Einwohner. Nur noch 1,36 Kinder bringt eine Frau hierzulande zur Welt – das ist der niedrigste Stand seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Und der Schwund wird weiter gehen, er wird sich vermutlich sogar beschleunigen, warnt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.

Die Folgen sind dramatisch: Wie sollen die wenigen Jungen später einmal die Renten der vielen Alten zahlen? Wer kommt für die Gesundheitskosten einer überalterten Gesellschaft auf? Wie organisieren wir die Betreuung von Millionen allein lebenden Alten? Was vor ein paar Jahren noch eine theoretische Frage zukünftiger Generationen zu sein schien, bedroht heute unseren eigenen Lebensabend.

Die finanziellen Konsequenzen der Kinderlosigkeit sind nur die eine Seite. Auch die Psyche der Gesellschaft wird sich durch den „Gebärstreik" verändern. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher analysiert dies in seinem neuen Buch „Minimum". Wer ohne Brüder aufwächst, wird Brüderlichkeit nur schwer erlernen können. Wo familiäre Bindungen selten sind, werden soziale Beziehungen zur begehrten Ressource.

Woher rührt die Zurückhaltung bei der Fortpflanzung? Zum einen wirken alte Argumentationsmuster nach. Da waren die 68er, die die Familie als Hort der Gängelung brandmarkten. Da waren die Ökos, die es als unverantwortlich empfanden, Kinder in die Welt zu setzen. Da war die Dotcom-Generation, auf deren Lebensziel-Wunschliste Kinder auf den hinteren Plätzen rangierten. Und da war natürlich nicht zuletzt die Emanzipation, die Frauen das Recht erstritt, sich auch gegen Kinder entscheiden zu dürfen.

Freiwillig Kinderlosen werden seither meist egoistische Gründe unterstellt. Zu Unrecht, denn oft ist genau das Gegenteil der Fall: Kinder werden als so heilig empfunden, dass alles allzu perfekt sein muss. Finanzielle Sicherheit will man ihnen bieten, eine krisensichere Partnerschaft, optimale innere Reife. So kommt es, dass sich gerade gut ausgebildete Menschen das Kinderkriegen nicht mehr zutrauen.

In den Nachrichten wird unterdessen von verhungerten, ermordeten, verwahrlosten Kindern berichtet, deren Eltern solche Skrupel nicht hatten. Es gibt eine gesellschaftliche Kluft zwischen denen, die zu sorglos Kinder bekommen, und jenen, die sich zu viele Sorgen machen. Kinder als etwas Natürliches zu sehen, das man auch natürlich in den Griff kriegen kann, haben wir offenbar verlernt.

Wie bringt man ein Land dazu, mehr Kinder zu bekommen? Ein Dreiklang ist nötig: Bedingungen verbessern. Migration akzeptieren. Umdenken einleiten.

Zu den wünschenswerten Verbesserungen zählen ein höheres Kindergeld und mehr Betreuungsmöglichkeiten. Finanzielle Anreize und staatliche Hilfsangebote werden zwar aus Paaren, die bewusst keine Kinder wollen, keine Eltern machen. Aber sie können Unentschiedenen helfen, eine positive Entscheidung zu treffen. Leider kosten solche Maßnahmen Geld. Geld, das der Staat – nicht zuletzt wegen der geringen Geburtenzahlen – nicht hat.

Kostenlos zu haben wäre es, jungen Müttern mehr Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt zu geben. Allerdings sind solche Forderungen in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit vermutlich umsonst. Immer weniger Frauen haben einen unbefristeten Vertrag, der ihnen die Möglichkeit gibt, jahrelang wegen eines Kindes zu pausieren. Frauen mit Zeitvertrag oder Scheinselbstständige riskieren mit einer Schwangerschaft, sich lebenslang aus dem Job zu katapultieren.

Eine andere Maßnahme würde sogar Geld in die öffentlichen Kassen spülen: Peitsche statt Zuckerbrot. Der Vorschlag, Kinderlose stärker zu besteuern, ist einerseits gerecht, da Eltern tatsächlich mehr beitragen zum Gemeinwohl. Andererseits ist eine solche Strafsteuer höchst ungerecht, weil zahllose Paare und Singles ungewollt kinderlos bleiben. Auch das ist übrigens eine Folge übertriebener Ansprüche – bis alles perfekt ist, sind viele einfach zu alt.

Was auch immer die Familienpolitik auf die Beine stellt, es wird nicht ausreichen, die Alterspyramide vom Kopf auf die Füße zu wuchten. Daher blickt mancher Politiker und mancher Publizist neidisch auf die Großfamilien der Migranten. In anderen Kontexten werden sie kritisch beäugt – wenn es um Demografie geht, sind sie plötzlich das leuchtende Vorbild. Es führt kein Weg daran vorbei, die Einwanderung zu akzeptieren und die Einwanderer zu integrieren.

Nicht zuletzt muss die Gesellschaft umdenken. Kinder dürfen nicht länger als Last oder als Luxus betrachtet werden. Sie müssen verstanden werden als eine Bereicherung in fast jeder Lebenssituation. Wenn Trendforscher tatsächlich ihrer Zeit voraus sind, spricht manches dafür, dass diese Umwertung bevor steht: Trendforscher Norbert Bolz besingt in seinem neuen Buch schon „Die Helden der Familie". Er empfiehlt darin Kinderkriegen als Weg zu Glück und Unsterblichkeit.

 

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 04|2006, Seite 11

 
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