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Brasilien

Ausgebremster Aufsteiger

Brasilien Christusstatue Rio de Janeiro © sfmthd - Fotolia

Das südamerikanische Land durchlebt nach Jahren des Aufschwungs eine tiefgreifende wirtschaftliche und politische Krise.

In den Boom-Jahren 2009 bis 2012 war Brasilien der Liebling von Unternehmen und Anlegern. Zusammen mit den anderen sogenannten BRIC-Staaten Russland, Indien und China stand der südamerikanische Riese für Aufstieg und hohe Wachstumsraten. Doch mittlerweile ist die Euphorie verflogen, hohe Inflationsraten, schwaches Wachstum und der politische Reformstau sorgen für viel Skepsis. Gleichwohl ist sich IHK-Außenhandelsexperte Christian Hartmann sicher, dass es sich lohnt, das Land genau anzusehen. Immerhin unterhalten 310 Unternehmen aus Mittelfranken wirtschaftliche Beziehungen mit Brasilien, 120 von ihnen sind mit Vertretungen, Niederlassungen, Joint-Ventures oder Produktionsstätten vor Ort präsent.

Bei der Deutsch-Brasilianischen Auslandshandelskammer (AHK) in São Paulo, die vor 99 Jahren gegründet wurde, sind 800 deutsche Firmen mit brasilianischer Vertretung als Mitglieder registriert. Nach den Jahren des Aufschwungs sei derzeit eine Ernüchterung festzustellen, sagte Dr. Claudia Bärmann Bernard, Leiterin der Rechtsabteilung der AHK, beim Nürnberger IHK-Workshop „Markteintritt und Vertriebsaufbau in Brasilien“. Zahlreiche deutsche Unternehmen hätten ihr Engagement wieder beendet – viele auch deshalb, weil sie mit falschen Vorstellungen gekommen waren oder auf falsche Partner gesetzt hatten. Ihr Rat: „Grundsätzlich gilt natürlich auch in Brasilien: Wer langfristig in den Markt einsteigen möchte, sollte sich gründlich informieren und planen.“

Brasilien gilt mit seinen rund 201 Mio. Einwohnern als siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird für dieses Jahr auf 2,1 Billionen US-Dollar prognostiziert. Allerdings wuchs das BIP im letzten Jahr um 0,1 Prozent, außerdem sind ausländische Direktinvestitionen sowie Exporte und Importe rückläufig. Die Wirtschaftskrise lässt sich auch an der Schwäche des brasilianischen Reals ablesen, die steigende Importpreise nach sich zieht. Die Inflation, die in diesem Jahr fast zehn Prozent erreichen dürfte, belastet die Konsumenten, die u.a. auch über hohe Benzinpreise stöhnen. Problematisch für die Leistungsfähigkeit der Unternehmen ist das Drehen an der Lohn-Preis-Spirale, weil für die Gehälter eine Inflation-Indexierung zu Grunde gelegt wird. Das führt laut Bärmann Bernard zu Lohnsteigerungen von elf bis 13 Prozent, diese könnten die Unternehmen nicht auffangen, weil das Produktivitätswachstum dahinter zurückbleibe.

Ein verlorenes Jahr

Bärmann Bernard sprach auch politische Hemmnisse an, die der Wirtschaft das Leben schwer machten. Die politische und institutionelle Krise sei durch Korruptionsskandale wie etwa dem Kauf von Abgeordnetenstimmen („Mensalão“) geprägt. In den aktuellen Skandal beim Staatskonzern „Petrobras“ sind bis zu 1 500 Unternehmen verwickelt, darunter alle großen Baufirmen. Das sorgt für Unsicherheit, ob und wie es bei den großen Infrastrukturprojekten weiter geht. Darüber hinaus leiden gerade die Großräume São Paulo, Rio de Janeiro und Minas Gerais unter Wasserrationierung und Engpässen in der Stromversorgung. Durch versäumte Investitionen versickert mehr Wasser im Leitungssystem, als beim Verbraucher ankommt. Das vergangene Jahr 2014 gilt mittlerweile in Brasilien als „ein verlorenes Jahr“. Denn traditionell beginnt dort das Arbeitsjahr erst nach dem Karneval, das war 2014 im März. Hinzu kamen die Fußball-WM im Sommer und die Wahlen im Herbst. In diesem Fall sieht die Verfassung vor, dass sechs Monate vorher keine öffentlichen Investitionen mehr getätigt werden dürfen.

Gleichwohl sind die fundamentalen Daten in Brasilien attraktiv: Auf der Habenseite stehen fruchtbare Böden, riesige Landwirtschaftsflächen, eine Fülle an mineralischen Bodenschätzen, viele erneuerbare Energiequellen, eine breite Industriestruktur sowie eine junge und konsumfreudige Bevölkerung. Aktuell sieht Bärmann Bernard die Branchen Medizintechnik, Agrotechnik und Software-Entwicklung im Aufwind, während die Dynamik in Maschinenbau, Autoindustrie und Chemie nachgelassen habe. Allen Problemen zum Trotz: Die deutschen Exporte nach Brasilien legten jährlich um rund sechs Prozent zu. Zwischen 2010 und 2014 haben sich 300 deutsche Unternehmen vor Ort angesiedelt. Mit Direktinvestitionen von über zwei Mrd. US-Dollar rangiert Deutschland auf Platz drei der größten Investoren in Brasilien, ganz vorn stehen VW, Mercedes-Benz und MAN.

Rechtliche Besonderheiten

Egal ob man mit einem Handelsvertreter, einem Vertriebshändler, einem Joint-Venture, einer Übernahme oder Gründung eines Unternehmens beginnt – entscheidend ist eine gründliche Information und ein guter Rechtsbeistand vor Ort. So ist beispielsweise das brasilianische Steuerrecht sehr kompliziert, mit vielen Tücken im Detail. Zudem ist Brasilien eine Bundesrepublik und besteht aus 26 Bundesstaaten und einem Bundesbezirk, ein Unternehmer kann daher sowohl bundesweit geltenden Regelungen als auch solchen des jeweiligen Bundesstaats unterworfen sein. Dazu kommen Bestimmungen der jeweiligen Gemeinde. Eine Besonderheit für Deutsche ist etwa, dass beim Kauf einer Immobilie oder eines Autos bestehende Verpflichtungen (z.B. nicht gezahlte Grundsteuer oder Strafzettel) auf den Käufer übergehen. Im Vertragsrecht kann zwar ein deutscher Ort als Gerichtsstand vereinbart werden, doch tendieren brasilianische Gerichte trotzdem dazu, sich als zuständig anzusehen, wenn etwa der Beklagte seinen Wohnsitz in Brasilien hat oder eine Verpflichtung in Brasilien erfüllt werden soll. Die Rechtsprechung gilt mit rund 100 Mio. anhängigen Gerichtsprozessen als so gut wie handlungsunfähig, pro Instanz ist mit einer Verfahrensdauer von durchschnittlich fünf Jahren zu rechnen. Als Alternative können außer beim Arbeitsrecht auch Schiedsgerichte angerufen werden.

Von der Extrasteuer auf Importe sollte man sich nicht generell abschrecken lassen. In manchen Fällen gibt es sogar Steuererleichterungen, wenn es in Brasilien kein entsprechendes nationales Pendant gibt. Für jedes Produkt sollte mit Experten vor Ort jeder Schritt einzeln durchgerechnet und mit Vertragsentwürfen abgesichert werden, wobei die Vertragssprache zwingend Portugiesisch ist. Für Exporte nach Brasilien können zudem Zug-um-Zug-Geschäfte vereinbart werden, also etwa Anzahlung bei Bestellung, der nächste Betrag gegen Zollpapiere, wenn das Produkt abgefertigt ist. Bekommt der Kunde die Ware und bezahlt nicht, kann es sehr aufwändig werden, das Geld zu bekommen.

Autor/in: 

tt.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2015, Seite 24

 
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