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Deutlich mehr Chancen als Risiken

Der EU steht die größte Erweiterungsrunde seit ihrem Bestehens bevor. Am 1. Mai 2004 nimmt sie mit Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern zehn neue Mitgliedsstaaten auf. Die Bevölkerung der EU erhöht sich damit um 20 Prozent auf 455 Mio. Menschen, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wächst gleichzeitig nur um fünf Prozent auf 9, 2 Billionen Euro, das heißt, die Europäer werden im Schnitt ärmer. Bei einem stärkeren Wachstum der neuen Mitglieder (2004 wird das BIP voraussichtlich um 4,5 Prozent wachsen, für die Euro-Zone werden 2,6 Prozent prognostiziert) eröffnen sich jedoch für Unternehmer trotz aller Risiken große Chancen durch die neuen Märkte.

Mittelfränkische Unternehmen haben diese Chancen zu einem großen Teil bereits erkannt. 87 Prozent der exportorientierten Unternehmen haben nach einer IHK-Umfrage schon Geschäftskontakte nach Mittel- und Osteuropa. 61 Prozent erwarten von der EU-Osterweiterung positive Auswirkungen auf ihre Geschäftsentwicklung. 30 Prozent haben schon in den Beitrittsländern investiert, während immerhin 22 Prozent Investitionen planen. An der „Konferenz EU-Osterweiterung“, die die IHK Nürnberg für Mittelfranken zusammen mit den IHKs Aschaffenburg und Würzburg organisiert hatte, nahmen rund 300 Personen teil. In Vorträgen, Workshops und Einzelgesprächen informierten sie sich über Chancen und Risiken, die sich aus der Erweiterung ergeben.

Deutlich mehr Chancen als Risiken sieht Peter Korn, Leiter des Deutschen Industrie- und Handelskammertages in Brüssel, in der Osterweiterung. Zwar ergebe sich durch die Grenzöffnung und Übernahme des europäischen Rechtssystems mehr Wettbewerb für Waren, Personen, Kapital und Dienstleistungen, aber „es wird schlimmer für die Osteuropäer als für die deutschen Unternehmer“. Übergangsfristen in u.a. den Bereichen Arbeitnehmerfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, Immobilienerwerb, Erwerb von Agrar- und Forstland sowie Straßengüterverkehr verminderten einige Risiken.

Die heute schon vielfach in den Beitrittsländern praktizierte Anlehnung und Ausrichtung ihrer Währungspolitik am Euro sorge dafür, dass 60 Prozent des deutschen Außenhandels wechselkursgesichert vonstatten gingen. Weitere Vorteile sieht Korn im verbesserten Rechtsschutz, in der Vereinheitlichung von Normen und Standards, die insbesondere Kostenvorteile in der Produktion bringen, im Wegfall der Waren- und Personenkontrollen sowie in der Kostensenkung durch Import, Zulieferung und ausgelagerte Fertigung. Seine Empfehlung lautet, sich für Engagements in den osteuropäischen Ländern starke Partner zu suchen, die sich in der jeweiligen Region auskennen.

Auch Dieter Mankowski, Geschäftsführender Vorstand der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer in Prag, sieht mehr Vor- als Nachteile in der Osterweiterung. Zu den problematischen Folgen zählt er Wettbewerbsnachteile in Deutschland durch hohe Steuerbelastung und staatliche Regulierungen, verstärkten Konkurrenzdruck durch das bestehende Lohn- und Kostengefälle sowie durch innovative Unternehmen aus den neuen Mitgliedsstaaten und Sicherheitsprobleme. Positiv wertet er u.a. den besseren Zugang zu den dortigen Absatz- und Beschaffungsmärkten, bessere Kooperationsmöglichkeiten mit dortigen Unternehmen, die Zeitersparnis und die verringerten Transportkosten im Gütertausch. Außerdem werde die Anwerbung von Arbeitskräften vereinfacht, die Verwaltung und Justiz der neuen Mitgliedsstaaten werde effizienter und die Auslagerung von lohn- und forschungsintensiven Produktionsstufen werde erleichtert.

Für alle Länder gilt, dass die Chancen besonders für wertschöpfungsreiche Produkte gut sind. „Nicht Holzpaletten, sondern elektronische Produkte“ ließen sich gut exportieren, erklärte Albrecht Buchwald, Leiter des IHK-Geschäftsbereichs International. Außerdem habe der Mittelstand gegenüber großen Konzernen einen erheblichen Vorteil, weil er schneller reagieren könne. Die zehn Beitrittsländer weisen aber trotz einigen Gemeinsamkeiten in vielen Punkten sehr unterschiedliche Strukturen auf. So beträgt das Pro-Kopf-Einkommen in Zypern und Slowenien 74 Prozent des EU-Durchschnitts, in Lettland sind es nur 35 Prozent. Der durchschnittliche Monatslohn beläuft sich im EU-Durchschnitt auf 2 335 Euro, in Malta auf 1 395 Euro, in Lettland auf 266 Euro. Dafür hatte Lettland mit 6,1 Prozent 2002 das stärkste Wachstum des BIPs, Polen kam hier nur auf 1,3 Prozent. Die Arbeitslosenquote der neuen Mitglieder schwankt zwischen 20 Prozent in Polen und 3,3 Prozent in Zypern. Gleiches gilt für die Inflationsrate: In Slowenien war sie 2002 mit 7,6 Prozent am höchsten, in Litauen betrug sie nur 0,3 Prozent.

Vor allem aber, da waren sich alle Referenten einig, sind kulturelle Unterschiede sowohl zwischen Deutschland und dem jeweiligen Beitrittsland als auch zwischen den neuen Mitgliedern untereinander zu beachten. Dr. Karl-Friedrich Ossberger, Ossberger GmbH & Co., Weißenburg, und Helmut Rettenmeier, Rettenmeier Holding AG, Wilburgstetten, bestätigten diese Erkenntnis in ihren Erfahrungsberichten, mit denen sie ihr Engagement in einigen der neuen EU-Mitgliedstaaten beschrieben. Es handelt sich bei den neuen Mitgliedern eben nicht um „den Ostblock“, sondern um einzelne Länder mit einer jeweils eigenen Geschichte, anderen Eigenheiten und unterschiedlichen Mentalitäten, über die sich deutsche Unternehmer, bevor sie sich dort engagieren, unbedingt informieren sollten.

wb.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 11|2003, Seite 24

 
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