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Die Türkei ist nicht Teil der westlichen Wertegemeinschaft

Für Außenminister Fischer ist der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union „fast ein D-Day im Krieg gegen den Terror“. Soll heißen: der endgültige Sieg gegen den Terror, vergleichbar mit dem der Alliierten im Zweiten Weltkrieg. Man darf davon ausgehen, dass Joschka Fischer zu gescheit ist, seine eigene Agitation zu glauben. Der Vorgang zeigt jedoch, in welch einem Argumentations-Notstand sich die Regierung in Sachen EU-Beitritt der Türkei inzwischen befindet.

Denn natürlich weiß auch Fischer, dass ein EU-Beitritt der Türkei nichts mit dem Kampf gegen den Terror zu tun hat. Dafür weiß Fischer nur zu gut: Hier wird Politik gegen die Bevölkerung gemacht, zwischen 50 und 80 Prozent der Menschen in Europa sehen in einer Mitgliedschaft der Türkei eine ernste Gefahr für die EU. Dagegen ist die Mehrheit der Politiker fasziniert von diesem Projekt. Und auf den ersten Blick sprechen ja auch Gründe dafür: Mit dem Lande am Bosporus gibt es bereits vielfältige Allianzen: NATO, Zollunion, Europarat. Die Türkei wäre ein interessanter Wirtschaftsraum, durch eine Anbindung an Europa würde sich die Türkei weiter politisch stabilisieren, ein gemäßigter Islam würde gegen den Fundamentalismus gestärkt, ein sicherheitspolitisch labiler Raum wäre eingebunden.

Nur leider haben all diese Argumente keinen Bestand, sieht man die EU als Wertegemeinschaft und nicht nur als Wirtschaftsunion. In Artikel 6 Absatz 1 des EU-Vertrages heißt es: „Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedern gemeinsam.“ Das heißt nichts anderes, als dass die EU gedacht ist als abendländische Wertegemeinschaft, in der die Kriegsgegner von einst die Partner von heute sind, die eine gemeinsame Identität haben, eine Schicksalsgemeinschaft geworden sind. In der Tat ist ein europäisches Wir-Gefühl entstanden, das auch zu einer politischen Solidarität geführt hat.

Nichts davon kann auf die Türkei zutreffen. Als islamischer Staat, der weder Reformation, noch Renaissance noch Aufklärung durchlaufen hat, der in Teilen zumindest noch im Mittelalter steckt und dessen Rechtsstaatlichkeit erhebliche Defizite aufweist (die „Human Rights Foundation“ hat für das erste halbe Jahr 2004 mehr als 600 Fälle von Folter belegt), ist die Türkei zum ganz überwiegenden Teil asiatisch, ein für Europa grundsätzlich fremdes Gebiet. Da mögen ein paar Intellektuelle in Istanbul und Ankara durchaus westliche Ideen aufgenommen haben und in ihren Geschäftsbeziehungen mit Europa auch praktizieren, die überwiegende Mehrheit der Türken steht der Kultur Europas eher feindlich gegenüber. Denn Europa steht für Humanismus und Menschenrechte - letztendlich für die säkularisierte Form des Christentums. Die Türkei ist im Gegensatz dazu ein islamischer Staat, in dem Politik und Religion – offiziell seit 1923 getrennt – eng ineinander verwoben sind, bis hin zu einer eigenen Behörde für religiöse Angelegenheiten (in Wirklichkeit eine für sunnitische Moslems).

Aus guten Gründen kann man, wie der Reform-Moslem Bassam Tibi, den islamischen Fundamentalismus neben Kommunismus und Faschismus als dritte antiwestliche Spielart des Totalitarismus begreifen. Aber selbst wenn man konzediert, dass es einen gemäßigten Islam in der Türkei gibt, wird man schwerlich darüber hinwegsehen können, dass der Premier des Landes wegen islamistischer Hetze („Die Minarette sind unsere Bajonette!“) sogar bereits im Gefängnis war.

Nicht umsonst haben Staatsmänner wie Helmut Schmidt und der ehemalige französische Staatspräsident Giscard d‘Estaing vor dem Beitritt der Türkei zur EU gewarnt (Giscard: „Dann ist die Europäische Union tot!“). Um es auf den Punkt zu bringen: Wäre die EU nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, spräche nichts gegen einen Beitritt der Türkei. Sie ist jedoch mehr, eine Wertegemeinschaft nämlich, und auch wenn man die EU nicht als „Christenclub“ definiert, sollte man sich doch an ein Wort von Robert Schumann, dem Gründervater Europas und Anwalt der Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich, erinnern: „Die Demokratie verdankt ihre Existenz dem Christentum. Eine anti-christliche Demokratie wird eine Karikatur sein, die entweder in der Tyrannei oder in der Anarchie endet.“ Und genau darum hat die Türkei in einem Europa der Demokratie, der Menschenrechte und der Freiheit nichts zu suchen.
Autor/in: Detlef Kleinert,Fernseh-Korrespondent, ARD-Studio Südosteuropa, Wien
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 11|2004, Seite 20

 
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