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„Die Politik enttäuscht den Mittelstand“

Standpunkte zur Wirtschafts- und Finanzpolitik von Ludwig Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK)

Standpunkte zur Wirtschafts- und Finanzpolitik von Ludwig Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK)

Die derzeitige Regierung trat an, den Mittelstand ins Zentrum ihrer Wirtschaftspolitik zu stellen. Die praktizierte Politik jedoch hat bislang den Mittelstand enttäuscht. Er ist demotiviert und korrigiert seine Investitionspläne deutlich nach unten.

Die Gründe sind bekannt: Außer der Verschiebung der Tarifsenkung bei der Einkommensteuer auf 35 Prozent in das Jahr 2005 und abgesehen von den Nachteilen bei der Veräußerung von Betriebsvermögen sind es vor allem die wachsenden bürokratischen und administrativen Lasten in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik: Der Kündigungsschutz wurde ausgeweitet, die Befristung von Arbeitsverträgen eingeschränkt, der Rechtsanspruch auf Teilzeit eingeführt, die Mitbestimmung mit einer zusätzlichen Kostenlast von 2 bis 2,5 Mrd. DM aufgebläht. Ihre demotivierende Wirkung entfalten diese Regeln in der Summe. Mag jede Einzelmaßnahme für sich genommen für ein mittelständisches Unternehmen noch verkraftbar sein, als Bündel ist es eine ausgesprochen mittelstandsfeindliche Politik. Den Unternehmen vergeht die Lust an Investitionen und Neueinstellungen. Und selbst wenn die Auftragslage der Einzelunternehmen es nahe legt, mehr zu investieren und mehr einzustellen, bleiben sie zurückhaltend – wie wir aus aktuellen Umfragen wissen. Und hier liegt auch ein ganz wichtiger Grund für die nachlassende Konjunktur, wobei ich aber den Totalpessimismus mit der Tendenz Nullwachstum oder Rezession nicht teile.

Arbeitsmarkt
Wenn die Arbeitslosigkeit auf das vom Bundeskanzler versprochene Maß reduziert werden soll, dann muss der Arbeitsmarkt aus dem starren Korsett von Regelungen und Einschränkungen befreit werden. Dazu reicht es bei weitem nicht aus, nur die Regulierungstaten der letzten zwei Jahre zurückzunehmen. Deregulierung in der Breite tut Not. Auch das bislang strenge Reglement der Flächentarifverträge muss lockerer werden. Wir brauchen vor allem ein Günstigkeitsprinzip, das diesen Namen verdient und das neue Spielräume auf Betriebsebene schafft: Unternehmensleitung, Betriebsrat und die Mehrheit der Beschäftigten müssen von Tarifregeln abweichen können, um damit die Beschäftigung zu sichern und auszubauen. Auch die Allgemeinverbindlichkeit von immer noch mehr als 500 Tarifverträgen ist nicht mehr zeitgemäß. Ich kann der Bundesregierung nur dringend empfehlen, diese Allgemeinverbindlichkeit abzuschaffen oder sie deutlich einzuschränken. Vor allem aber darf es nicht zu einem staatlichen Lohndiktat über sogenannte Tariftreueverpflichtungen bei öffentlichen Aufträgen kommen.

Finanz- und Steuerpolitik
Die Schieflage des Bundeshaushaltes macht Sorge: Die Sozialpolitik ist Schwerpunkt und zugleich Schwachpunkt der Finanzpolitik. 35 Prozent der Rentenausgaben werden im nächsten Jahr steuerfinanziert sein und die Rentenbeitragssätze – und damit Arbeitskosten – sind bislang kaum gesunken. Die Medaillenrückseite übermäßig wachsender Sozialetats sind sinkende Ausgaben für Investitionen. Der Regierung ist es bislang nicht gelungen, diesen Trend zu stoppen, geschweige denn umzukehren. Auf der Strecke bleiben Zukunftsinvestitionen, z.B. in Bildung und Verkehrsinfrastruktur.

Ich kann der Bundesregierung nur dringend anraten, auch beim Solidarpakt II die Schwerpunkte anders als bislang zu setzen. Solidarpakt II – Ja, aber hier muss vorher neu gewichtet werden: Forschung und Bildung gehören an die erste Stelle. Bislang ist viel zu sehr mit der „Gießkanne der Wohltätigkeit' Hilfe in die neuen Bundesländer geflossen. Deshalb verlange ich wesentlich strengere Kriterien bei der Definition des Nachholbedarfs der ostdeutschen Länder gegenüber Westdeutschland und besonders eine Festlegung auf investive Vorhaben.

Ich weiß, dass angesichts der Haushaltsenge eine schnellere und stärkere Senkung des Einkommensteuertarifs für Personengesellschaften als bislang vorgesehen schwierig ist. Aber ich bleibe dabei: Einführung einer Reinvestitionsrücklage bei Beteiligungsveräußerung und Vorziehen der Stufe 2005 bei der Senkung des Einkommensteuertarifs auf das Jahr 2003 sind nötig – gerade als Signal für den Mittelstand.

Zur Finanzierung schlage ich vor, eine noch forciertere Bekämpfung des Steuerbetrugs im Bereich der Umsatzsteuer sowie die Besteuerung der Kapitaleinkünfte im Wege einer Abgeltungssteuer. Eine Abgeltungssteuer auf Zinsen würde diese Steuerquelle wesentlich stärker ausschöpfen als die bisherige Regelung. Besonders auf europäischer Ebene muss darauf hingewirkt werden, Zinseinkünfte vollständig zu erfassen und der Besteuerung zu unterwerfen.

Wettbewerb der Regionen
Als einen der wichtigsten Ansätze zur Förderung von Wachstum und Wohlstand werte ich Politik für mehr Wettbewerb. Hierbei denke ich besonders an die Stärkung des Wettbewerbs der Regionen – in Europa und in Deutschland. Unsere Bundesländer sollen, ja müsse, eine stärkere Verantwortung in der Wirtschaftspolitik übernehmen. Unser deutsches föderales Systems bietet dafür gute Voraussetzungen. Dies ist aber nur möglich, wenn auch den Ländern mehr finanzielle und auch gesetzliche Freiräume gegeben werden, um eine eigene Wirtschaftspolitik zu praktizieren, die näher am Bürger ist. Bislang ist der Standortwettbewerb in Deutschland auf wichtigen Gebieten zur Untätigkeit verurteilt: Das gilt sowohl für die Steuer- und Sozialpolitik, wie auch für die Lohn- und Tarifpolitik.

Eigentlich sollten uns die sehr unterschiedlichen Wachstums- und Beschäftigungserfolge der Bundesländer ermutigen, diese Wettbewerbskarte stärker als bislang auszuspielen. Warum sind denn z.B. Bayern, Baden-Württemberg und Hessen vorne, doch deshalb, weil sie durch strukturpolitische Maßnahmen, durch Stärkung der Infrastruktur, Bildungs- und Forschungsförderung anderen Ländern vorausgeeilt sind.

Ich glaube schon, dass es sinnvoll ist, Ländern und Kommunen eine eigenständigere Steuerkompetenz zuzubilligen, um der Forderung gerecht werden zu können, dass in einem großen, vereinten Europa den Regionen zwangsläufig wirtschafts- und finanzpolitisch eine größere Verantwortung als bislang zukommen muss. Denn nur so ist den Menschen zu vermitteln ist, dass in einer globalisierten Welt, in einem immer größeren Europa die Menschen vor Ort mehr Verantwortung für ihren Lebensraum tragen müssen.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2001, Seite 14

 
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