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Was bedeutet die EU-Osterweiterung konkret?

Was wurde in Sachen Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit beschlossen?
Private Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten haben das Recht, sich in allen EU-Staaten zu bewerben, dort zu arbeiten und auch zu bleiben. Das Thema der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist im Rahmen der Erweiterung zu einem umstrittenen Thema geworden, denn einige Staaten wie Deutschland befürchten, dass sehr viele Osteuropäer dieses Recht sofort nutzen werden und Arbeit in den bisherigen Mitgliedstaaten suchen. Es wird sehr scharfer Wettbewerb und Lohndumping befürchtet. Um die Situation zu entschärfen, hat sich die EU auf ein flexibles Modell geeinigt, welches Übergangsfristen zulässt.

„2+3+2-Modell“: Für zunächst zwei Jahre wird die Arbeitnehmer-Freizügigkeit für Bürger der neu beigetretenen Staaten nicht gelten, wenn die heutigen Mitgliedstaaten ihren Arbeitsmarkt sperren. Da es aber auch Staaten gibt, die auf Grund der Struktur ihrer Bevölkerung Arbeitskräfte benötigen, können diese ihren Markt für osteuropäische Arbeitnehmer auch sofort öffnen.

Vor Ablauf dieser ersten Phase unterrichten die Alt-Mitgliedstaaten die Kommission, ob sie ihren Arbeitsmarkt für weitere drei Jahre verschließen oder die EU-Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit nun auch in Bezug auf die neuen Mitglieder anwenden.

Während dieser zweiten Phase haben die neuen Mitglieder die Möglichkeit, einen Antrag auf Verkürzung der Übergangsfrist zu stellen und zu verlangen, dass auch ihre Bürger dort in der EU leben und arbeiten können, wo immer sie wollen. Jene Alt-Mitglieder, die bereits fünf Jahre die Freizügigkeit außer Kraft gesetzt haben, können dies für weitere zwei Jahre bei der Kommission beantragen. Diese Verlängerung auf maximal sieben Jahre ist bei schwerwiegenden Störungen auf dem Arbeitsmarkt gegeben, die von der Europäischen Kommission geprüft werden. Spätestens nach diesen sieben Jahren gilt die volle Freizügigkeit, die Arbeitsmärkte werden geöffnet.

Dienstleistungsfreiheit: EU-Bürger haben das Recht, grenzüberschreitend und befristet als Selbstständiger eine gewerbliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union befristet auszuüben. Sie erbringen dort Dienstleistungen, ohne sich ständig niederzulassen oder lassen dies durch einen Mitarbeiter erledigen. Außerdem haben sie Anspruch auf Anerkennung ihrer Eignung als Dienstleistungsanbieter in allen Ländern der Union. Sie dürfen sich zur Erbringung ihrer Dienstleistung zu ihren Kunden in andere Mitgliedstaaten begeben oder diese von ihrer Niederlassung aus erbringen, ohne dafür ins Ausland zu fahren (z.B. Beratung oder Übermittlung von Studien oder Gutachten per Fax, Post oder Telefon).

Selbstständige Dienstleister aus den neuen Mitgliedstaaten dürfen grundsätzlich in Deutschland arbeiten. Für Deutschland und Österreich gelten im Dienstleistungsbereich Übergangsregeln von fünf bis maximal sieben Jahre. Die zusätzlichen Beschränkungen der Freizügigkeit in bestimmten Branchen soll verhindern, dass die Beschränkung der Arbeitnehmer-Freizügigkeit durch so genannte Scheinselbstständige umgangen wird.

Welche Kandidaten akzeptieren die Regelungen, welche Zugeständnisse macht die EU?
Mit allen Staaten wurden das Kapitel Arbeitnehmerfreizügigkeit abgeschlossen und folgende Zusatzvereinbarungen getroffen: Beitrittsländer können auch ihren Markt sperren für Arbeitnehmer aus den heutigen EU-Staaten. Das heißt, sie können für ihren Markt die gleichen Maßnahmen treffen wie Deutschland für seinen. Die heutigen EU-Staaten werden sich bemühen, ihre Arbeitsmärkte so schnell wie möglich, entsprechend den Grundsätzen über die Dienstleistungsfreiheit, zu öffnen.

Ist Ausbildung grenzüberschreitend möglich?
Ja, sie ist sogar zu begrüßen. Die Kandidaten sind bereits im Europäischen Förderprogramm „Leonardo da Vinci“ integriert, welches grenzüberschreitende Ausbildung fördert. Auch Fort- und Weiterbildung sind heute beispielsweise im Rahmen von z.B. Gastarbeitnehmerabkommen möglich.

Besteht die Grenzgängerregelung weiter?
Ja, sie wird auch durch das neue Zuwanderungsgesetz voraussichtlich nicht berührt.

Wer überwacht die Einhaltung der Regelungen?
Die Arbeitserlaubnis wird von den Arbeitsämtern erteilt. Dies schließt die Kontrolle bezüglich der Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen ein – sie müssen mit denen deutscher Arbeiter vergleichbar sein. Die Kontrolle erfolgt auch durch die Hauptzollämter.

Gibt es bereits eine Regelung, wie die neuen Mitglieder mit Arbeitnehmern aus angrenzenden Nicht-EU-Staaten verfahren werden?
Die heutigen Kandidaten werden dies grundsätzlich eigenverantwortlich regeln, sofern dadurch nicht die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der EU behindert wird. Die Beratungen dazu haben noch nicht begonnen.

Können Arbeitnehmer aus den Beitrittsstaaten auch im Baugewerbe grenzüberschreitend tätig sein, wenn sie angestellt sind in einem Alt-Mitgliedsstaat, der auf die Übergangsfristen verzichtet hat?
Österreich und Deutschland werden ihren Markt in diese Richtung schließen, aber theoretisch wäre es möglich, dass ein Bauarbeiter aus Polen, der bei einer schwedischen Firma angestellt ist (Schweden wird seinen Arbeitsmarkt sofort öffnen), auf Baustellen seines Arbeitsgebers in Deutschland eingesetzt wird. Praktisch ist dies eher unwahrscheinlich, denn der schwedische Arbeitgeber muss dem polnischen Bauarbeiter den in Deutschland üblichen Tariflohn zahlen.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2003, Seite 11

 
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