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Die USA bestimmen die Marschrichtung

Deutschland genießt ein außergewöhnlich gutes Image im Nahen Osten: Einerseits als ein großes Industrieland, das dort in der Vergangenheit keine kolonialen Ambitionen verfolgte und heute die politische Souveränität der jungen Staaten voll respektiert; andererseits als ein europäisches Volk, das der islamisch geprägten Kultur dieser Region ohne Vorurteile und mit respektvoller Neugier begegnet.

von Prof. Dr. Dr. h.c. Sefik Alp Bahadir, Professor für Gegenwartsbezogene Orientforschung am Institut für Wirtschaftswissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg

Deutschland genießt ein außergewöhnlich gutes Image im Nahen Osten: Einerseits als ein großes Industrieland, das dort in der Vergangenheit keine kolonialen Ambitionen verfolgte und heute die politische Souveränität der jungen Staaten voll respektiert; andererseits als ein europäisches Volk, das der islamisch geprägten Kultur dieser Region ohne Vorurteile und mit respektvoller Neugier begegnet. Die deutschen Unternehmen sind dort schließlich der Inbegriff der industriellen Kompetenz, der wirtschaftlichen Effizienz und der geschäftlichen Zuverlässigkeit. Doch ist es den Deutschen nie gelungen, dieses hohe Ansehen in florierende Wirtschaftsbeziehungen umzumünzen. In der Vergangenheit waren es England und Frankreich, die durch politisch-militärische Interventionen die Geschicke dieser Region entsprechend den eigenen Wirtschaftsinteressen bestimmten. Heute schickt sich die Bush-Administration an, mit ähnlichen Interessen und Methoden diese Region neu zu gestalten.

So wurde der Irak-Krieg damit begründet, dass die Arbeit der UN-Waffeninspekteure von der irakischen Führung verhindert werde. Paradoxerweise wird jetzt diesen Inspekteuren die Suche nach Massenvernichtungswaffen verwehrt. Verwehrt wird auch dem UN-Sicherheitsrat, die ihm zustehende Rolle bei der politischen Neuordnung und dem wirtschaftlichen Aufbau des Landes zu spielen – offensichtlich so lange, bis die entscheidenden Gleise im Interesse der amerikanischen Wirtschaft gestellt sind.

Noch vor dem Ende der Kriegshandlungen erhielt das US-Bauunternehmen Bechtel den Auftrag, die kriegszerstörte Infrastruktur des Landes aufzubauen. Der Vertrag im Wert von 680 Mio. US-Dollar schließt neben Reparaturen an Straßen, Brücken, Schulen, Krankenhäusern und Kraftwerken insbesondere auch Arbeiten am Umm Kasr-Hafen ein, dem größten Tiefwasserhafen des Landes. Damit erwarb Bechtel, zu dessen Vorstandsmitgliedern der frühere US-Außenminister George Shultz und der frühere US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger gehören, eine hervorragende Startposition bei künftigen Aufträgen für den Ausbau der seit dem irakisch-iranischen Krieg der 1980er Jahre massiv vernachlässigten Infrastruktur des Landes. Kurz nach dem Ende der Kriegshandlungen erhielt der bis 2000 von US-Vize-Präsidenten Dick Cheney als CEO geführte US-Ölkonzern Halliburton Co. den Sieben-Milliarden-Dollar-Auftrag, um die fälligen Reparaturen an irakischen Ölförderanlagen auszuführen und das Erdöl des Landes mit den weltweit zweitgrößten Reserven zu fördern und zu vertreiben. Beide Aufträge wurden übrigens von der US Agency for International Development (USAID) vergeben: Im ersten Fall ohne internationale Ausschreibung, im zweiten ohne jedwede Ausschreibung. Damit zeichnet sich ab, wohin die künftigen Aufträge für die Modernisierung der irakischen Infrastruktur gehen werden, deren Wert für die kommenden zehn Jahre auf 40 bis 100 Mrd. Dollar veranschlagt werden.

Das ist eine herbe Enttäuschung für die deutsche Industrie, wenn man bedenkt, welch große Hoffnungen an die Zukunft des Nahost-Geschäfts, insbesondere auch mit dem Irak nach Saddam Hussein, geknüpft worden waren. „Das Potenzial für deutsche Unternehmen in Irak ist groß!“ oder „Deutsche Produkte haben in Irak ein hervorragendes Image!“ – das waren die üblichen Redewendungen im Umkreis des Bundesministeriums für Wirtschaft, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) oder der Arabisch-Deutschen Vereinigung für Handel und Industrie (ghorfa). Noch auf der 35. Industriemesse in Bagdad vom 1. bis 10. November 2002 stellte Deutschland mit einhundert Firmen das stärkste ausländische Kontingent. „Gehandelt wird die Zukunft: die Wirtschaft sitzt in den Startlöchern, weil sie Chancen nach dem Krieg wittert“ – so und ähnlich wurde denn auch die Förderung der Aussteller aus Mitteln des Bundeshaushalts gerechtfertigt.

Jetzt kann sich die deutsche Industrie damit trösten, dass es ihren europäischen Konkurrenten nicht besser geht. Moniert haben selbst große britische Firmen ihren Ausschluss von den bisherigen Irak-Aufträgen. Die Bush-Administration scheint entschlossen zu sein, den Wiederaufbau der irakischen Infrastruktur vorerst ausschließlich den US-Firmen vorzubehalten. Die Geschäftsaussichten für deutsche Firmen werden sich erst in einer späteren Phase verbessern, wenn der industrielle Aufbau des Landes beginnt. Auch dann wird es jedoch darauf ankommen, wer die Federführung im Industrieaufbau übernimmt – die USA, die Vereinten Nationen oder eine künftige irakische Regierung.

Kein großer Absatzmarkt für deutsche Produkte
Allerdings ist zu bedenken, dass Irak nie ein nennenswerter Absatzmarkt für die deutsche Industrie gewesen ist, und es ist kaum zu erwarten, dass sich daran in absehbarer Zeit viel ändern wird. Selbst im Rekordjahr 1982 exportierten deutsche Firmen Waren im Wert von nur 3,8 Mrd. Euro nach Irak. In den folgenden zehn Jahren ist das Exportvolumen auf sechs Mio. Euro (1992) zusammengeschrumpft, um erst nach Beginn des „Öl für Lebensmittel“-Programms ab 1996 geringfügig anzusteigen. 1999 betrugen die deutsche Lieferungen noch 73 Mio. Euro, wuchsen bis 2001 auf 337 Mio. Euro und nur ein geringfügig höherer Betrag ist für 2002 festzustellen. Nach Angaben der zuständigen Kontrollbehörde der Vereinten Nationen hat Irak im Rahmen dieses Programms von 1997 bis Ende 2002 Lieferungen für insgesamt 26 Mrd. Dollar erhalten. Damit blieben deutsche Ausfuhren im selben Zeitraum mit 1,1 Mrd. Dollar weit unter fünf Prozent der irakischen Gesamteinfuhr. Zieht man den regen Schmuggelhandel über Jordanien, Syrien und die Türkei in Betracht, ist die deutsche Ausfuhr nach Irak als unbedeutend zu bezeichnen. Umgekehrt sind die deutschen Einfuhren aus Irak ebenfalls sehr gering: Sie bestehen fast ausschließlich aus Rohölimporten und beliefen sich 2002 auf sechs Mio. Euro.

Der deutsche Warenverkehr mit Irak wurde in der vergangenen Dekade in erster Linie durch das Handelsembargo der Vereinten Nationen und die dadurch bedingte permanente Wirtschaftskrise des Landes beeinträchtigt. Das geringe Handelsvolumen spiegelt jedoch zugleich das niedrige Niveau des deutschen Warenaustauschs mit der Nahost-Region wider. Die deutschen Exporte in die 14 Staaten dieser Region belaufen sich auf 2,6 (2000) bis 3,6 Mrd. Euro (2002), was einem Anteil von nur 2,3 (2000) bzw. 2,5 Prozent (2002) an der deutschen Gesamtausfuhr entspricht. Der überwiegende Teil dieser Lieferungen war dabei für die fünf wichtigsten Abnehmer, nämlich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Israel, Iran und Ägypten, bestimmt. Die deutschen Importe aus denselben 14 Nahost-Staaten sind ebenfalls als unbedeutend zu bezeichnen, seit das Rohöl größtenteils aus der Russischen Föderation, Norwegen und Großbritannien bezogen wird. Mit 3,9 Mrd. Euro im Jahr 2000 und 4,6 Mrd. Euro 2002 machten sie nur 0,88 Prozent (in beiden Jahren) der deutschen Gesamteinfuhr aus. Ein Großteil davon waren Rohölbezüge.

Was die Zukunft der Handelsbeziehungen mit den arabischen Staaten anbetrifft, so sind der deutschen Außenwirtschaftspolitik enge Grenzen gesetzt. Die EU-Kommission als zuständige Instanz bemüht sich hier bisher vergebens: Die 1995 initiierte ehrgeizige Euro-Mediterrane Partnerschaftsstrategie („Barcelona-Prozess“) hatte noch die Errichtung einer Freihandelszone mit acht arabischen Mittelmeer-Anrainerstaaten bis zum Jahr 2010 anvisiert. Doch konnten die bilateralen Assoziationsabkommen als Grundlage der Partnerschaft bisher nur in vier Fällen ratifiziert werden. Durch die Beteiligung Israels an diesem Prozess wurde der Nahost-Konflikt zur Barriere jeden Fortschritts. Auch das lange geplante Freihandelsabkommen mit den sechs Staaten des Golf-Kooperationsrats wird von der EU-Kommission so lange hinausgeschoben, bis diese Staaten untereinander eine Zollunion gebildet haben.

Demgegenüber ist die Bush-Administration jüngst auch handelspolitisch im Nahen Osten vorgestoßen: Bis 2013 sollen die Staaten der Region in einer Freihandelszone mit der US-Wirtschaft integriert werden. Ein Freihandelsabkommen besteht bereits mit Jordanien und Verhandlungen für ein weiteres Abkommen laufen mit Marokko. Zu Beginn des Jahres 2004 sollen Verhandlungen mit Ägypten und Bahrain beginnen. Das Angebot der USA gilt allen anderen Staaten der Region – vorausgesetzt, sie schließen zuvor Verträge über US-Direktinvestitionen ab und leiten Reformmaßnahmen zur demokratischen Öffnung ihrer Gesellschaften ein.

Die Erfolgsaussichten auch dieses Konkurrenzmodells zum Barcelona-Prozess hängen in erster Linie von politischen Entwicklungen in der Region ab, die heute vorerst ausschließlich von der Bush-Administration gelenkt werden. Mit welcher Konsequenz wird die neue Nahost-Friedensinitiative der US-Regierung („Middle East road map“) zur Lösung des Palästina-Konflikts durchgesetzt? Mit welchem Erfolg werden demokratische Institutionen in Irak geschaffen, die dann der gesamten Region als Vorbild dienen sollen? Wird es gelingen, den Aufbau Iraks rasch voranzutreiben, von dem dann positive Impulse auf die Wirtschaft der gesamten Region ausgehen? Von diesen Fragen hängt es ab, ob diese Region mit Zweidrittel der Welterdölreserven bald ein florierender Wirtschaftsraum und ein bedeutender Handelspartner auch für Deutschland sein wird.

Autor/in: Prof. Dr. Dr. h.c. Sefik Alp Bahadir,Professor für Gegenwartsbezogene Orientforschung am Institut für Wirtschaftswissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2003, Seite 10

 
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