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Weiß-Blaue Wirtschaftsgeschichte

Das Bayerische Wirtschaftsarchiv in München übernimmt Dokumente aus Unternehmen, um sie zu ordnen und professionell aufzubereiten.

„Den in meiner Fabrik beschäftigten Lehrlingen ist nach Gebetläuten der Besuch der Gasthäuser (ausgenommen in Begleitung der Eltern) strengstens untersagt“, so ordnete einmal ein strenger bayerischer Fabrikherr des 19. Jahrhunderts an. Dass Raritäten wie dieses Dokument nicht der Vergessenheit anheim fallen, dafür sorgt das Bayerische Wirtschaftsarchiv. Dort befinden sich mehr als 200 Archivbestände traditionsreicher Unternehmen und Wirtschaftsorganisationen aus ganz Bayern vom mainfränkischen Schiffbau über die schwäbische Textilindustrie bis zum oberbayerischen Braugewerbe. In den „Schatzkammern“ des Archivs lagern rund 3 000 Regalmeter an wertvollen historischen Bild-, Schrift- und Tondokumenten.

Bereits 1993 beschlossen die bayerischen Industrie- und Handelskammern, als Gemeinschaftseinrichtung ein regionales Wirtschaftsarchiv für Bayern ins Leben zu rufen. Am 21. Juni 1994 wurde das neue Landeswirtschaftsarchiv schließlich eröffnet. Gegründet wurde das Bayerische Wirtschaftsarchiv nicht „auf der grünen Wiese“, sondern es baute auf bewährtem Fundament auf. Schon 1986 hatte die IHK München ein oberbayerisches Archiv eingerichtet. Die dort verwahrten Dokumente aus dem Leben des Kammerbezirks bildeten den Grundstock für das Bayerische Wirtschaftsarchiv.

Dass die bayerischen IHKs mit ihrer Gemeinschaftseinrichtung einem echten Notstand abhelfen, zeigt die gängige Praxis bei vielen Unternehmen. Nur wenige Betriebe können sich ein eigenes, noch dazu fachlich betreutes Firmenarchiv leisten. „Häufig werden geschichtlich bedeutsame Unterlagen, etwa Geschäftsbücher und Akten aus dem 19. Jahrhundert oder sogar auch Fotos, aus Platzmangel im Altpapiercontainer entsorgt“, berichtet der stellvertretende Archivleiter Dr. Richard Winkler. Um solchen Verlusten vorzubeugen, sind die Wirtschaftsarchivare mit detektivischem Spürsinn und großer Ausdauer am Werk. Dabei gehören Taschenlampe und Stemmeisen zum unverzichtbaren Werkzeug des „Archivars im Einsatz“, da sich die Expeditionen in die bayerische Wirtschaftsgeschichte zum Teil sehr abenteuerlich gestalten. Schnelligkeit ist dabei oberstes Gebot, denn vor allem bei Betriebsschließungen müssen die Archivare rasch reagieren, damit sie mit dem Konkursverwalter vor Ort retten können, was zu retten ist.

Erforschung der Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Mit der Sicherung und Übernahme unwiederbringlicher Quellen aus Unternehmen, IHKs und Verbänden schafft das Bayerische Wirtschaftsarchiv wichtige Voraussetzungen für die Erforschung der Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Freistaat. Der wertvolle „Erinnerungspool“ dokumentiert den Strukturwandel vom ursprünglich landwirtschaftlich geprägten Bayern zur leistungsstarken Industrie- und Dienstleistungsregion. Noch 1882 arbeiteten rund 60 Prozent aller bayerischen Erwerbspersonen in der Landwirtschaft, heute sind es nur noch knapp drei Prozent.

Fundus für Firmenjubiläen und Marketing-Aktionen
Dabei versteht sich das Wirtschaftsarchiv als Serviceeinrichtung für die von ihm betreuten Unternehmen und Wirtschaftsorganisationen. Die Archivare ordnen und erschließen das übernommene Schriftgut inhaltlich. „Damit ist jederzeit ein gezielter und schneller Zugriff auf Daten und Informationen möglich“, erläutert Harald Müller, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bayerischen Wirtschaftsarchiv. Ob Jubiläum oder Marketingmaßnahme – der riesige Quellenfundus kann zu nahezu jedem Anlass etwas bieten.

Ein Wissenschaftlicher Beirat – zusammengesetzt aus Vertretern aller bayerischen Universitäten und führenden Persönlichkeiten des Archiv- und Museumsbereichs – begleitet die archivarische Arbeit. Die Bandbreite der vom Wirtschaftsarchiv betreuten Arbeiten ist groß. Zwar geht es in erster Linie um Themen aus der Technik- und Wirtschaftsgeschichte, aus Regional- und Lokalgeschichte. Doch dank seines breiten Quellenfundus ist das Wirtschaftsarchiv auch Anlaufstelle bei kunsthistorischen Forschungsvorhaben. Zum Service gehört auch eine umfassende Information über das Internet. Unter der Adresse www.bwa.findbuch.net recherchieren Benutzer aus aller Welt in den Datenbanken des Wirtschaftsarchivs.

Großer Beliebtheit erfreut sich das Bayerische Wirtschaftsarchiv als „Zulieferer“ für Ausstellungen. Seine Originalexponate sind in der Ausstellung „Leben mit Ersatzteilen“ der Berliner Charité ebenso zu finden wie in der großen Schau „Bayern und Frankreich“, die im Frühjahr dieses Jahres in München zu sehen war.

Als Selbstverwaltungseinrichtung arbeitet das Landeswirtschaftsarchiv ganz ohne staatliche Zuschüsse. Es trägt sich über die bayerischen Industrie- und Handelskammern und über das „Sponsoring“ des gemeinnützigen Förderkreises Bayerisches Wirtschaftsarchiv e.V. Rund 170 Unternehmen, Organisationen und Persönlichkeiten der Wirtschaft unterstützen die Aufgaben und Ziele dieser im Freistaat einmaligen Institution. Neue Mitglieder sind immer herzlich willkommen.

Autor/in: 
Eva Moser
Externer Kontakt: Bayerisches Wirtschaftsarchiv, Dr. Eva Moser, Orleansstraße 10-12, 81669 München, Tel. 089/5116-285, moser@muenchen.ihk.de
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2006, Seite 16

 
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