Telefon: +49 911 1335-1335

Qualifizierung von Aufsichtsräten

Aufsichtspflicht verletzt?

Die Finanzkrise hat erneut die Frage nach der Kompetenz der unternehmenseigenen Kontrollorgane aufgeworfen: Wie konnten sie die Bilanzrisiken übersehen?

Früher sprach man von der Deutschland AG und dachte an die engen Verflechtungen der großen Konzerne, sowohl bei gegenseitigen Beteiligungen als auch bei der Kontrolle. Und es gab Zweifel, ob die Oberaufseher ihrer Aufgabe auch richtig nachkamen. Das System ist aufgebrochen worden, aber noch immer ist von den "Old Boys" in den Aufsichtsräten die Rede. Durch die Finanzkrise sind die Mängel in der Aufsicht erneut zutage getreten.

"Managementversagen ist immer auch ein Versagen des Aufsichtsrats", spitzt Prof. Dr. Marcus Labbé zu. Labbé hat sich vor Jahren mit dem Nürnberger Aufsichtsrats- und Beiratsservice Labbé & Cie. selbstständig gemacht und qualifiziert die Gremien von Dax-Unternehmen und Mittelständlern. Im Idealfall seien die Gremien ein verlässlicher Sparringspartner für Vorstand und Geschäftsführung. Allerdings sei gerade im Mittelstand "das Potenzial am größten, die Qualifikation der Aufseher zu verbessern", sagt Labbé. Zumal die Rechtssprechung der deutschen Gesetzgebung in Sachen Aufgaben und Haftung "um Lichtjahre voraus" sei.

So monierte der von der Bundesregierung im Jahr 2002 vorgestellte – und in diesem Sommer aktualisierte – Corporate Governance Kodex u.a. die unzureichende Transparenz deutscher Unternehmensführung sowie die mangelnde Unabhängigkeit deutscher Aufsichtsräte. Die Kombination aus gesetzlich verankertem Regelwerk und empfohlenen internationalen Standards hat allerdings noch nicht die erwartete Akzeptanz erreicht. Gerade einmal die Hälfte der Dax-Unternehmen bekennt sich auf der Homepage des Kodex mit Vorstand und Aufsichtsrat öffentlich zu diesem Regelwerk. Im MDax hat sich zumindest die Nürnberger Leoni zum Einhalten der Erklärung verpflichtet, Puma tut dies ebenfalls, verzichtet aber auf die Veröffentlichung der individuellen Vorstandsbezüge. Außerdem bekennen sich auch die GfK und die Nürnberger Versicherungsgruppe zum Regelwerk.

Die Tage der Aufsichtsarbeit, die manchmal scherzhaft als "schmückendes Ehrenamt mit Kaviar- und Spesengarantie" bezeichnet wird, sind allerdings gezählt. Genügten bislang Volljährigkeit und Mündigkeit als Qualifikation, setzt das neue Bilanzmodernisierungsgesetz (BilMoG) zum Jahresbeginn 2010 die Hürden höher. Neben der Neuregelung der Rechnungslegung wird explizit von mindestens einem unabhängigen Aufsichtsratsmitglied der erforderliche Sachverstand bei Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verlangt. Damit wird eine alte Forderung in ein Gesetz gekleidet und Kenntnisse und Fähigkeiten zur Voraussetzung gemacht. Wer ein Aufsichtsratmandat "in bester Absicht" wahrnehme – egal ob für die Kapital- oder Arbeitnehmerseite – könne sich nach dem BilMoG nicht mehr möglichen Haftungsansprüchen mit einem Verweis auf die eigene Ahnungslosigkeit entziehen, betont Labbé.

Auch GmbHs betroffen
Zwar gilt das BilMoG in erster Linie für börsennotierte Aktiengesellschaften, europäischen SEs oder AGs mit Wertpapierhandel an einem organisierten Markt, es ist aber gleichermaßen auf GmbHs mit einem fakultativen Aufsichtsrat anzuwenden. Sieht eine GmbH-Satzung andere Gremien z.B. einen Beirat vor, müsse nach den "Umständen des Einzelfalls" entschieden werden, teilt das Bundesjustizministerium auf Anfrage mit.

Man müsse die Haftungsrisiken Ernst nehmen, unterstreicht auch die Rechtsexpertin der IHK Nürnberg für Mittelfranken, Beate Plewa. Gleichwohl ist auf ihrem Tisch noch keine einzige Anfrage zu diesem Thema gelandet. Teils sei das Risiko den Mandatsträgern nicht bewusst, teils werde es ausgeblendet, sagt die Juristin auch mit Blick auf das jüngst verabschiedete Gesetz zur Angemessenheit von Vorstandsvergütungen (VorstAG). Fälle aus den Zeiten der New Economy und dem Boom der Ich-AG, bei denen der Aufsichtsrat mit fachfremden Freunden oder Verwandten besetzt werden sollte, sind heute angesichts BilMoG und VorstAG nicht mehr zu vertreten.

Labbé & Cie hat in Partnerschaft mit dem TÜV Rheinland eine bundesweite Qualifizierungs- und Zertifizierungsinitiative gestartet. "Ziel ist die Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit", so Labbé. Aufsichtsräte und Kandidaten, die sich auf die Übernahme von Aufsichtsratsmandaten vorbereiten, können mit dem Siegel "TÜV Rheinland zertifizierter Aufsichtsrat (m/w)" einen neutralen und objektivierten Qualifikationsnachweis erbringen. Schwerpunkt des Lehrplans sind die Themen Recht, Strategie und Finanzen, die oft unterschätzte Haftungsproblematik, das konkrete Hinterfragen der Unternehmensstrategie sowie die Verknüpfung und Überprüfung von bunten Powerpoint-Präsentationen mit den harten Zahlen der Excel-Welt. Ein weiteres Plus für zertifizierte Mandatsträger sei ein Preisabschlag bei den sogenannten Directors and Officers Liability-Versicherungen (D&O-Versicherungen), wirbt Labbé.

Einen vorbildlichen Prozess hat etwa die NürnbergMesse installiert, um ihrem Aufsichtsrat die Kontrolle zu erleichtern. Im Vorfeld jeder Aufsichtsratssitzung werden zunächst die Experten der Stadt Nürnberg und des Freistaats ausgiebig informiert, die wiederum die Mandatsträger von Stadt und Land entsprechend vorbereiten. Das Nürnberger Rathaus verweist zudem auf Schulungen durch eine externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, mit denen seit drei Amtsperioden die kommunalen Vertreter auf ihre Aufsichtsratsämter etwa auch bei der N-Ergie, der Wohnungsbaugesellschaft wbg oder der VAG vorbereitet werden.

"Nürnberger Resolution"
Zudem fordert die im vergangenen Herbst von Fach- und Führungskräften der Metropolregion Nürnberg verabschiedete "Nürnberger Resolution" nicht nur eine konkrete Definition von Qualifikationsstandards für Aufsichtsratmitglieder. Gefordert wird auch eine gesetzlich verbriefte 40-prozentige Quote für die Besetzung der Aufsichtsratspositionen durch Frauen in deutschen Aktiengesellschaften.

Ob eine Quotenregelung der nächste Schritt der Gesetzgebung sein wird, lässt der Geschäftsführer des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID), Daniel Bergner, offen. Auch über eine Statistik anhängiger oder abgeschlossener Haftungsverfahren gegen Mitglieder von Aufsichts-, Verwaltungs- oder Beiratsgremien verfügt er nicht. Allerdings konstatiert er eine "Tendenz der Rechtssprechung, Aufsichtsräte stärker in die Pflicht zu nehmen". Vor diesem Hintergrund seien Ansätze zu beobachten, dass Aufsichtsgremien zunehmend mit Fachleuten – teils durch Headhunter gesucht – besetzt würden.

Einen generellen "Durchgriff" von Insolvenzverwaltern auf die Aufseher im Falle einer Pleite gebe es bislang nicht. Gleichwohl kritisierte Bergner, dass viele "Organe einem Stresstesting nicht gewachsen" seien und in der Praxis das eine oder andere Mal ein "Nichtangriffspakt zwischen Vorstand und Aufsichtsorgan" bestehe. Gerade in schwierigen Zeiten sei es aber für die Unternehmen wichtig, im Kontrollorgan "Leute mit Krisenerfahrung" zu haben, die die Vorboten einer Schieflage frühzeitig deuten könnten.

Die Krise am Kapitalmarkt habe die Kontrolle von Vorständen und Geschäftsführern in das Zentrum der Wahrnehmung gerückt, hat auch Oliver Schmitt, Rechtsanwalt der Nürnberger Kanzlei Rödl & Partner, in seiner Beratungspraxis registriert: "In manchen Fällen wird die Krise jedoch Auslöser dafür gewesen sein, dass aus dem Interesse einer Kontrolle der Leitungsorgane auch ein tatsächliche Kontrolle geworden ist."

Angesichts einer Welle von Insolvenzen im Herbst rechnet Bergner nach der Bundestagswahl mit weiteren Aktivitäten des Gesetzgebers, um Qualifikation, Aufgaben und Haftung von Aufsehern weiter zu verschärfen.

Autor/in: 
tt.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2009, Seite 10

 
Device Index

Alle Ansprechpartner/innen auf einen Blick