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Jakobsweg

Der mittelfränkische "Camino"

Wer auf den Spuren des Heiligen Jakobus wandern will, muss nicht bis nach Spanien reisen. Auch in der Region kann man auf Pilgerschaft gehen.

"Porta patet, cor magis – Die Tür ist offen, das Herz noch mehr." Dieser alte zisterziensische Gruß schmückt das kleine blaue Pilger-Kärtchen, über das sich Jakobspilger in Heilsbronn freuen dürfen. Aber wie gibt es das: Jakobspilger in Mittelfranken?

Mit dem Jakobsweg verbinden die meisten Menschen heutzutage Hape Kerkeling und dessen Bestseller „Ich bin dann mal weg“, in dem der Komiker seine Pilgerreise auf dem klassischen Pilgerweg nach Santiago de Compostela in Nordspanien beschreibt. Wesentlich weniger bekannt ist bis heute, dass sich ein großes Netz aus Pilgerwegen durch ganz Europa zieht. Diese sind allerdings zu unterscheiden in die großen Hauptrouten, von denen es vier in Frankreich gibt, und den kleineren „Zubringerwegen“, wie man sie auch in unserer Region findet.

Für den Weg, der heute als mittelfränkischer Jakobsweg die beiden alten Reichsstädte Nürnberg und Rothenburg o.d. Tauber miteinander verbindet, ist Paul Geißendörfer verantwortlich, der früher Pfarrer in Heilsbronn war. Schon vor rund 20 Jahren – also lange vor dem Kerkeling-Boom – verband Geißendörfer die Jakobskirchen zwischen Nürnberg und Rothenburg mit einem Fußweg, der sich in drei Tagesetappen zu jeweils knapp 30 Kilometern aufteilt. „Dieser Weg entspricht dabei keinem historischen Vorbild“, erklärt Dr. Oliver Gußmann, der seit 2002 Gästepfarrer des Pfarramts St. Jakob in Rothenburg ist und deswegen regelmäßig Kontakt zu Pilgergruppen hat. „Die Pilger des Mittelalters suchten auf dem weiten Weg zum Grab des Apostels Jakobus in Gruppen die Sicherheit der Kaufmannszüge und mieden Wege durch den dunklen Wald.“

Prof. Dr. Klaus Herbers, Inhaber des Lehrstuhls für mittelalterliche Geschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg, erforscht die Pilgerbewegungen im Mittelalter schon seit Jahren. Seiner Auffassung nach kann das Pilgerwesen durchaus als eine frühe Form des Tourismus bezeichnet werden und hatte damit für die Städte und Gemeinden, die an den Pilgerwegen angesiedelt waren, erhebliche wirtschaftliche Bedeutung.

Und auch heute spielen die Pilger wieder eine touristische Rolle: Der Tourismusverband „Romantisches Franken“ ist auf Nachfragen über den mittelfränkischen Pilgerweg eingerichtet und hat unter anderem ein Gaststätten- und Hotelverzeichnis im Angebot. „Es gibt ganz unterschiedliche Pilger“, beobachtet Gußmann. „Die einen begnügen sich gerne mit einem Pilgerhospiz, also einem Schlafsaal voller knarzender Betten und schnarchender Menschen. Wiederum andere möchten den Jakobsweg auch kulinarisch erfahren und nach einer Tagesetappe mit vollem Magen in einem weichen Bett schlafen.“ Vor allem Letztere sind natürlich für den Tourismus interessant. Der Gästepfarrer aus Rothenburg blickt auf die sogenannten „Edelpilger“ aber keineswegs herab. „Was alle Pilger miteinander verbindet, ist eine spirituelle Haltung, die sich nicht zwangsläufig in Religiosität oder Esoterik wiederspiegeln muss“, sagt Gußmann. Viele Menschen pilgern, um einen Lebensabschnitt zu bewältigen, weswegen viele angehende Ruheständler unter den Pilgern sind. Doch auch bei jungen Menschen kommt die Sehnsucht nach einer Auszeit von Telefon, Handy und Facebook mehr und mehr zum Vorschein. Wer pilgert, bringt Dinge leichter mit sich ins Reine, davon ist Gußmann überzeugt.

Der „Camino“ – so heißt der Pilgerweg auf Spanisch – zwischen Nürnberg und Rothenburg eignet sich perfekt zum Wandern. Ausgangspunkt der Wanderung, wie sie ein Faltblatt des Fränkischen Albvereins (FAV) beschreibt, ist Stein-Deutenbach, wohin man mit der U-Bahnlinie 2 und dem Bus 63 gelangt (Haltestelle Deutenbach-Mitte). Von dort aus folgt man dem mit einer weißen Jakobsmuschel auf blauem Grund markierten Weg über Oberweihersbuch und Sichersdorf nach Roßtal. Nach diesen ersten rund zwölf Kilometern sollte man – sofern man sich zu den „Edelpilgern“ zählt – einkehren. Denn auf der sich anschließenden Strecke Fernabrüst, Wendsdorf, Bürglein und Böllingsdorf ist es um Biergärten und Wirtshäuser nicht so gut bestellt. Zumindest nicht im Vergleich mit manchen Gebieten der Fränkischen Schweiz, die den Wanderer in jeder Ortschaft mit einem Brauereigasthof zur Rast verführen.

Selbstverständlich gibt es auch am Ende der ersten Etappe (28 Kilometer) in Heilsbronn verschiedene Möglichkeiten für eine Einkehr. Einen Besuch wert ist auch das über die Grenzen von Mittelfranken hinaus bekannte, im Jahr 1132 gestiftete Kloster Heilsbronn mit seinen Kunstschätzen. Die erste Etappe des fränkischen Pilgerwegs ist eine landschaftlich abwechslungsreiche und steigungsarme Wegstrecke, die sich bestens als Tagesausflug eignet. Die Rückkehr nach Nürnberg ist über die S-Bahnlinie 4 bis spät in die Nacht möglich.

Wanderfreudige Abenteurer können den „Camino“ noch zwei Tage fortsetzen: Eine zweite Tagesetappe führt über Weihenzell nach Lehrberg (27 Kilometer) und von dort aus über Häslabronn und Colmberg in die geschichtsträchtige Stadt Rothenburg o.d. Tauber (30 Kilometer), wo Gästepfarrer Gußmann die Pilger nach Voranmeldung mit einem Segen in Empfang nimmt. Besonders in den Ferien und bei schönem Wetter ist Gußmann schwer beschäftigt: „Pilgern in Mittelfranken ist eindeutig ein zunehmender Trend.“

Autor/in: 
Sebastian Linstädt
Externer Kontakt: Dr. Oliver Gußmann, Tel. 09861 700625
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2011, Seite 50

 
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