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Transeuropäische Netze

Die Metropolen wachsen zusammen

Die Europäische Union will die großen Ballungsräume besser miteinander verbinden. Doch es ist schwierig, diese Pläne mit den Interessen der einzelnen Staaten und Regionen abzustimmen. Von Thomas Tjiang / Illustration: Anton Atzenhofer

Der Weg ist das Ziel“, heißt es in der chinesischen Philosophie. Dieses Prinzip hat sich auch die Europäische Kommission zu eigen gemacht, als sie im letzten Herbst ihr Konzept „Connecting Europe“ vorgestellte. Der Vorschlag soll den jetzigen Flickenteppich aus Straßen, Schienenwegen, Flughäfen und Schifffahrtskanälen in Europa zu einem einheitlichen Verkehrsnetz umformen. Das neue „Transeuropäische Netz Verkehr“ (TEN-V; englisch: Trans-European Networt-Transport: TEN-T) soll Engpässe beseitigen, die Infrastruktur modernisieren und den grenzüberschreitenden Verkehr flüssiger gestalten. Außerdem hofft die Kommission, dass durch die verbesserte Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger auch ein Beitrag zu den Klimaschutzzielen der EU geleistet wird.

„Ohne gute Verbindungen wird Europa nicht wachsen und gedeihen“, sagte EU-Verkehrskommissar Siim Kallas damals. Denn dem Verkehr, der die Grundlage einer effizienten Wirtschaft in der EU bildet, fehlen noch immer wichtige Verbindungen. Außerdem arbeiten die europäischen Eisenbahnen mit sieben unterschiedlichen Spurweiten und nur 20 der europäischen Großflughäfen und 35 der wichtigsten Häfen sind direkt an das Schienennetz angeschlossen. Deshalb will das Konzept des Kernverkehrsnetzes, das nach einem zweijährigen Konsultationsprozess entstanden ist, bis zum Jahr 2030 „das Rückgrat des Verkehrs im Binnenmarkt“ fertig stellen. Berücksichtigt werden Straßen-, Schienen-, Luft-, Binnenschiffs- und Seeverkehr sowie intermodale Plattformen. Bis 2050 will das neue TEN-V-Kernnetz sogar schrittweise dafür sorgen, dass die allermeisten Bürger und Unternehmen in Europa nicht weiter als 30 Minuten vom Zubringernetz entfernt sein werden.

Mit dem Konzept will die Kommission einen europäischen Verkehrsinfarkt verhindern. Denn der Güterverkehr wird bis 2050 um schätzungsweise 80 Prozent zunehmen, der Personenverkehr um mehr als die Hälfte. Sollen Handel, Produktion und Wirtschaftswachstum nicht im Stau stecken bleiben, sind gute Verbindungen unerlässlich. Das umfassende Gesamtnetz soll mit Zubringern auf regionaler und nationaler Ebene weiter in die Fläche verzweigt werden.

TEN-V soll weitgehend von den Mitgliedstaaten finanziert werden, wobei Möglichkeiten zur Finanzierung des Verkehrs und der Regionalentwicklung aus EU-Mitteln bestehen. 31,7 Mrd. Euro werden im Rahmen der Fazilität „Connecting Europe“ für den Zeitraum 2014 bis 2020 bereitgestellt. Für den früheren TEN-V-Beschluss waren es für den Zeitraum 2007 bis 2013 acht Mrd. Euro. Sie dienen der Anschubfinanzierung und werden weitere Investitionen der Mitgliedstaaten anstoßen, mit denen schwierige grenzübergreifende Verbindungen geschaffen und Lücken geschlossen werden.

Bedenken der Bundesregierung

Das Bundesverkehrsministerium ging allerdings im Januar in seinem Raumordnungsbericht 2011 auf Distanz. Die vormals definierten „30 prioritären Projekte“ sind nun durch zehn europäische Kernnetze mit jeweils mindestens drei Verkehrsträgern definiert, was als „deutlich abweichender Ansatz“ gilt. Würden diese neuen Leitlinien für die Entwicklung eines transeuropäischen Netzes wie geplant verabschiedet und umgesetzt, befürchtet das Bundesverkehrsministerium „grundlegende methodische und organisatorische sowie finanzierungstechnische Veränderungen“. Denn es sei heute schon absehbar, dass sich die Aufgabenschwerpunkte verschieben werden. Statt Planung und Sicherstellung neuer Verbindungen und Achsen werden der Bestandserhalt und die vorsichtige Kapazitätserweiterung immer wichtiger.

Belastung der nationalen Haushalte

Besonders die finanziellen Auswirkungen – die EU-Kommission geht von Investitionen in Höhe von 500 Mrd. Euro allein bis 2020 aus, die auf die nationalen Haushalte zukommen – machen Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer Sorgen: „Deutschland kann dem jetzigen Entwurf nicht zustimmen.“ In Zeiten knapper Kassen brauche es auch Realismus. „Ich werde mich für einen Vorbehalt in der neuen Verordnung einsetzen, der die nationale Haushalts- und Planungshoheit sichert.“ Und der Bundestag hält den TEN-Verordnungsentwurf der EU-Kommission für unvereinbar mit dem Subsidiaritätsprinzip und für unverhältnismäßig.

Auch Ulrich Schaller, Verkehrsreferent der IHK Nürnberg für Mittelfranken, findet die Interessen der Unternehmen in der Europäische Metropolregion Nürnberg nicht optimal in der TEN-Planung wieder. Der Korridor TEN-V5 aus dem finnischen Helsinki zum süditalienischen Valetta wird über Hannover nach Nürnberg geführt. Schaller fürchtet durch diesen Streckenvorschlag einen Rückschlag für die ICE-Trasse Berlin – Nürnberg, obwohl das EU-Papier die Ausbauarbeiten als „ongoing“ klassifiziert. „Eine Verschiebung der Ausbauprioritäten ist für die Metropolregion Nürnberg nicht hinnehmbar.“ Zwar soll die Trasse von Berlin nach Erfurt bis 2017 fertig sein, aber insbesondere die Ausbaustrecke Ebensfeld – Nürnberg ist zeitlich noch gar nicht definiert. „Und jetzt nimmt die EU diesen Abschnitt auch noch aus dem Fokus“, sagt Schaller.

Zwölf-Punkte-Programm der IHKs

Der Verkehrsexperte verweist auf die Fortschreibung des Zwölf-Punkte-Programms, die die Industrie- und Handelskammern der Europäischen Metropolregion Nürnberg Mitte 2011 vorgelegt hatten. Darin hebt der Punkt 6 die Bedeutung der Strecke als „wichtigste Nord-Süd-Schienenverbindung zwischen den neuen und den alten Bundesländern“ hervor. Das Top-Infrastrukturprojekt der Deutschen Bahn mit einem Investitionsvolumen von bis zu 300 Mio. Euro schaffe zudem „dringend benötigte Kapazitäten“ für den Schienengüterverkehr. Gegeben wäre damit auch die von der EU-Kommission geforderte Anbindung ländlicher Räume an die Kernnetze bis zum Jahr 2050. Das würde mit der baulichen Koppelung von ICE-Projekt und S-Bahn-Neubau von Nürnberg nach Forchheim und weiter nach Bamberg erfüllt.

Der Korridor TEN-V10 Strassburg – „Danube Corridor“ (über Frankfurt, Nürnberg, Passau, Wien, Budapest, Bukarest zu den beiden rumänischen Hafenstädten Constanta und Sulina) stößt bei Schaller auf Kritik. Die Schienenachse von Nürnberg über Prag und Wien nach Constanta „gibt es nicht mehr“. Das widerspreche sogar den EU-Maßstäben, wonach identifizierte TEN-V-Knoten besser miteinander verbunden werden sollten. Der deutsche Knotenpunkt Nürnberg bleibe so aber schienentechnisch weiter abgehängt vom tschechischen Knotenpunkt Prag.

Außerdem wird befürchtet, dass die Schienentransversale von Nürnberg über Marktredwitz und Eger nach Prag, die vor Kurzem noch als ein herausragendes TEN-Vorhaben gelistet war, in der aktualisierten TEN-Form auf das Abstell- bzw. Wartegleis gerät. Dabei ist dieses Projekt höchst bedeutsam für die bessere Schienenverbindung zwischen Deutschland und Tschechien sowie für eine leistungsfähige West-Ost-Achse. Außerdem könnte sich die Reisezeit zwischen Nürnberg und Prag auf knapp dreieinhalb Stunden fast halbieren.

Dafür ist immerhin der Ausbau des Wasserstraße Main-Donau-Kanal und Donau im TEN-V10 verzeichnet. Das gilt als ein Punktsieg für die Inlandshäfen, weil die Europäische Kommission erstmals in der EU-Infrastrukturpolitik deren Bedeutung anerkennt. Die Rolle der Binnenhäfen sei in der bisherigen Planung stets vernachlässigt worden, erklärt Harald Leupold, Geschäftsführer des Nürnberger Hafens und Vizepräsident der IHK Nürnberg für Mittelfranken, der den Ausbau für „langfristig wichtig“ hält. Deshalb werde der Ausbau der Wasserstraße auch im Zwölf-Punkte-Programm Verkehr der nordbayerischen IHKs ausdrücklich angemahnt.

Unklarheit über Donau-Ausbau

Nach jahrelangen Verzögerungen wird seit 2009 eine von der EU mitfinanzierte Studie erstellt, um das 69 Kilometer lange Nadelöhr zwischen Straubing und Vilshofen der insgesamt fast 3 500 Kilometer langen Wasserstraße zu beseitigen. Das Ergebnis der Studie, das Leupold für 2013 erwartet, soll zugleich die Grundlage für ein Planfeststellungsverfahren sein. Doch der Hafen-Chef vertraut nicht auf einen schnellen Fortschritt. Egal ob Bund oder EU das Projekt vorantreiben, „das Thema ist völlig festgefahren und die beteiligten Parteien sind zerstritten“.

Trotz aller Kritik setzt die Europäische Kommission darauf, dass die Konsultationsphase in rund eineinhalb Jahren positiv abgeschlossen werden kann. Denn aus Brüsseler Sicht geht es um ein Kernnetz, das 83 wichtige europäische Häfen an das Eisenbahn- und Straßenverkehrsnetz anbindet, 37 Großflughäfen im Schienenverkehr mit Ballungsgebieten verbindet und 15 000 Kilometer Eisenbahnstrecken für den Hochgeschwindigkeitsverkehr auslegt.

Manchen mittelfränkischen Unmut weist man bei der EU aber zurück. Das TEN-Papier, das einmal als Verordnung Gesetzeskraft haben soll, sei längst nicht endgültig und beruhe auch auf den Zulieferungen der Bundesregierung. Und diese hat sich laut Ellen Kray von der EU-Abteilung Mobilität und Verkehr bei der Elektrifizierung der für die Metropolregion Nürnberg so wichtigen Bahnstrecke Nürnberg – Prag bedeckt gehalten.

Autor/in: 

Thomas Tjiang

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 03|2012, Seite 28

 
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