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Urbane Gebiete

Mix der Nutzungen

Illu_WiM_0917_web © Anton Atzenhofer

Der neue Baugebietstyp „Urbanes Gebiet“ erlaubt den Kommunen eine flexiblere Planung. Er kann aber auch zu Konflikten zwischen Anwohnern und Betrieben führen.

Der ständig steigende Bedarf an Wohnungen hat den Weg geebnet für eine umfassende Neuregelung des Baurechts: Durch den neuen Gebietstypus „Urbanes Gebiet“ soll der Wohnungsbau gefördert und der Flächenverbrauch verringert werden. Möglich wird nun ein Gebiet mit höherer Bebauungsdichte und niedrigerem Lärmschutz, als dies bei den bestehenden Kerngebieten (MK) und Mischgebieten (MI) der Fall ist. Außerdem ist in diesem Gebiet außer dem Wohnen eine Reihe von anderen Nutzungsmöglichkeiten erlaubt. Oder wie es der Gesetzgeber etwas sperrig ausdrückt: Es soll „eine nutzungsgemischte Stadt der kurzen Wege“ entstehen. Die Neuregelung, die am 13. Mai 2017 durch die Novelle des Baugesetzbuches (BauGB) 2017 und die neu gefasste Baunutzungsverordnung (§ 6a BauNVO) in Kraft getreten ist, erweitert nun also den Spielraum der Kommunen bei der Bauleitplanung erheblich.

Inhalte der Neuregelung

In den Urbanen Gebieten ist sowohl die Errichtung von Wohngebäuden als auch von Gewerbebetrieben sowie von sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen möglich. Im Einzelnen sind u. a. folgende Gebäudearten zulässig: Wohngebäude, Geschäfts- und Bürogebäude, Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften sowie Betriebe des Beherbungsgewerbes, sonstige Gewerbebetriebe, Anlagen für Verwaltungen sowie für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke. Daneben können unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise Vergnügungsstätten und Tankstellen zugelassen werden (§ 6a Abs. 1 – 3 BauNVO n.F.). Die Mischung der einzelnen Nutzungsarten muss nicht gleichgewichtig sein.

Um dem maßgeblichen Ziel näherzukommen, den Wohnungsbau zu beschleunigen, gibt es hierfür Erleichterungen gegenüber den anderen Gebietsarten. Die Städte und Gemeinden können in Quartieren, die sie als Urbane Gebiete ausweisen, höher und dichter bauen. Dadurch sollen preiswerte Wohnungen entstehen, von denen auf dem Wohnungsmarkt zu wenige vorhanden sind. Dies kommt vor allem einkommensschwachen Familien und Studenten zugute, die es in vielen Städten schwer haben, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Ein weiterer Aspekt der Neuregelung war die Möglichkeit, leichter Wohnraum für die Unterbringung von Flüchtlingen schaffen zu können. Die Kommunen können nun bereits stark verdichtete Areale nachträglich als Urbane Gebiete festsetzen, sodass auch in gewerblich geprägten Gebieten Wohnungen gebaut und Gebäude als Wohnraum genutzt werden dürfen.

Die Fortentwicklung bereits bestehender Gebiete mit unterschiedlichen Nutzungen dürfte bei den Kommunen der häufigste Beweggrund sein, um Urbane Gebiete auszuweisen. Neuplanungen werden wohl die Ausnahme bleiben, so die Prognose von Experten. Sie gehen davon aus, dass vor allem bereits lärmbelastete Innenstadtlagen zu Urbanen Gebieten umgewidmet werden, um dort für ein einigermaßen verträgliches Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe zu sorgen. In kleineren Städten und ländlichen Gemeinden dürfte das Urbane Gebiet weniger zum Zuge kommen.

Unterschied zu Kern- und Mischgebieten

In Kerngebieten gelten beinahe dieselben Obergrenzen für die mögliche Ausnutzung der Grundstücksfläche in Bezug auf die Grund- und Geschossfläche sowie die Baumasse (§ 17 BauNVO). Die Wohnnutzung ist dort deutlich stärker eingeschränkt als im Urbanen Gebiet, wo die Wohnnutzung sogar überwiegen darf. Denn die Baunutzungsverordnung regelt ausdrücklich, dass Wohnen und Gewerbe im Urbanen Gebiet nicht in einem ungefähr gleichen Mischungsverhältnis vorliegen müssen. Diese Flexibilität, die das Urbane Gebiet nun möglich macht, stellt den wichtigsten Unterschied zum Mischgebiet dar. Dort wird nur das qualitativ und quantitativ gleichwertige Nebeneinander von Gewerbe und Wohnen zugelassen.

Damit eine Konzentration von zahlreichen Nutzungen in einem Gebiet überhaupt realisierbar ist, müssen beim Urbanen Gebiet Abstriche beim Lärmschutz gemacht werden. Deswegen wurden die Technische Anleitung Lärm (TA-Lärm) und die Sportanlagen-Lärmschutzverordnung geändert. In Kern- und Mischgebieten gelten nach der TA-Lärm Immissionsrichtwerte von tagsüber 60 dB(A) und nachts von 45 dB(A). Der nächtliche Grenzwert gilt auch im Urbanen Gebiet, tagsüber sind dort jedoch 63 dB(A) erlaubt. Der Unterschied von „nur“ drei dB(A) klingt nach wenig, ist aber dennoch hörbar und wirkt sich deshalb auf das Lärmempfinden aus.

Auswirkungen und Folgen

Durch die Verdichtung der Bebauung und die Änderung der Lärmgrenzwerte der TA-Lärm sind gerade beim Lärmschutz Konflikte vorprogrammiert – insbesondere dann, wenn die Wohnbebauung an bestehende Gewerbebetriebe heranrückt. Das dürfte beispielsweise auch in Nürnberg der Fall sein: Dort trat am 1. August 2016 eine neue Abstandsflächen-Satzung in Kraft, mit der deutlich geringere Abstandsflächen zwischen Gebäuden möglich sind als zuvor (WiM 9/2016, Seite 18). Dies könnte zusätzlich für Konfliktstoff sorgen, weil die Nutzungen in einer Nachbarschaft erheblich konzentriert werden dürfen.

Unter Juristen wird zudem die Möglichkeit diskutiert, dass mit der Festsetzung von Urbanen Gebieten auch „Etikettenschwindel“ getrieben werden kann. Denkbar ist, dass diese nur deshalb festgesetzt werden, um höhere Lärmimmissionen in Baugebieten zuzulassen, obwohl tatsächlich ein anderer Baugebietstypus mit einem höheren Schutzniveau beabsichtigt ist.

Die Urbanen Gebiete bringen aber auch Vorteile für Gewerbebetriebe mit höheren Schallimmissionen mit sich: Bisher sahen sich Unternehmer häufig mit Klagen konfrontiert, wenn die Wohnbebauung an ihre bestehenden Betriebe heranrückte und sich die neuen Nachbarn durch Lärm belästigt fühlten. Die Erhöhung des Immissionsrichtwertes um drei dB(A) am Tage führt in Urbanen Gebieten dazu, dass die Eigentümer nahe gelegener Wohnhäuser höhere Lärmimmissionen dulden müssen, als dies in Misch- oder Kerngebieten der Fall wäre. Klagen wegen Lärmbelästigung haben jetzt deutlich geringere Erfolgsaussichten, wodurch sich die Entwicklungschancen für Gewerbe und Handel verbessern. Allerdings bleibt es bei der stets kritischen Einhaltung des nächtlichen Wertes von 45 db(A).

Die Festlegung eines Urbanen Gebiets kann für die Städte und Gemeinden auch deshalb attraktiv sein, weil aufgrund der stärkeren Konzentration von Wohnen und Gewerbe möglicherweise das Verkehrsaufkommen reduziert wird. Unternehmen, Arbeitnehmer und Verbraucher sind enger zusammen – Wege verkürzen sich, für das Gewerbe ergeben sich bessere Absatzmöglichkeiten. In städtebaulicher Hinsicht sind aufgrund der verdichteten Bauweise Flächeneinsparungen zu erwarten. Durch die Urbanen Gebiete wird sich das „urbane Leben“ im Wortsinne stärker entwickeln: Viele Großstädte der Welt sind schon jetzt durch ein dichtes Nebeneinander von Wohnen, Arbeiten, Handel und Gewerbe gekennzeichnet – diese Entwicklung dürfte sich durch die Urbanen Gebiete auch in Deutschland verstärken.

Welche Vor- und Nachteile sich für Wirtschaft und Bevölkerung letztendlich wirklich ergeben, bleibt abzuwarten. Beachtung verdient die Frage, wie sich die verschärfte Lärmsituation auf die Gesundheit und die Lebensqualität auswirken. Vor diesem Hintergrund werden die Städte und Gemeinden sorgfältig zu prüfen haben, wie sie mit der Festsetzung von Urbanen Gebieten umgehen wollen und wie stark dieser neue Gebietstypus tatsächlich gebraucht wird.

Autor/in: 

Dr. Tobias Waldmann LL.M. ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Dr. Waldmann Kohler und Kollegen in Nürnberg (tobias.waldmann@waldmann-kohler.de; www.waldmann-kohler.de)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09|2017, Seite 2

 
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