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Corona-Krise

Der Weg zu einer „neuen Normalität“

Arbeiter Corona Masken © Blue Planet Studio - GettyImages.de

Die Pandemie in Schach halten und die Wirtschaft wieder anfahren: Welche Maßnahmen erleichtern den Neustart?

Die wirtschaftliche Aktivität in Deutschland ist seit März 2020 aufgrund der Corona-Pandemie stark eingeschränkt. Neben den Wirtschaftsbereichen, die direkt von behördlich verordneten Schließungen betroffen waren oder noch betroffen sind, wird auch in der Industrie deutlich weniger produziert.

Die Gründe für den Rückgang der Produktion sind vielfältig: Zum einen reagieren die Unternehmen auf einen Rückgang der Nachfrage. Dieser ist auf die behördliche Schließung von Verkaufsstellen für die Endprodukte zurückzuführen, aber auch auf die fehlende Exportnachfrage. Hinzu kommt eine generelle Zurückhaltung bei Konsumenten und Unternehmen aufgrund von Einkommenseinbußen und der Ungewissheit über die weitere Entwicklung bei Konsum und Investitionen.

Zum anderen schränken auch angebotsseitige Hemmnisse die Produktion ein. Weltweit kommt es zurzeit zu einer Unterbrechung der globalen Lieferketten. Viele Unternehmen sind auf Vorleistungen angewiesen und können ihre Produktion nicht aufrecht erhalten, wenn spezifische Vorleistungen fehlen. Die internationale Verflechtung der Lieferketten spielt insbesondere in der Europäischen Union eine wichtige Rolle.

Darüber hinaus sind auch die Arbeitnehmer nur eingeschränkt verfügbar. Durch die Schließung von Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen können viele Eltern nur eingeschränkt oder gar nicht arbeiten. Die Ausweitung der Notbetreuung und die Öffnung der Schulen geht nur langsam voran und garantiert oft auch keine Betreuung in dem ursprünglichen Umfang. Auch Infektionen mit dem Corona-Virus können die Produktion beeinträchtigen, wenn Arbeitnehmer wegen Erkrankung oder Quarantäne nicht arbeiten können. Viele Unternehmen haben ihre Tätigkeit vorübergehend eingeschränkt, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ansteckung zu schützen. Angesichts der erhöhten Unsicherheit und zum Teil unklarer Verantwortlichkeiten handeln Arbeitgeber dabei eher vorsichtig.

Die Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie betreffen somit weit mehr als nur die von behördlichen Schließungen unmittelbar betroffenen Bereiche, die rund zehn Prozent der Bruttowertschöpfung und etwa 16 Prozent der Beschäftigung in Deutschland ausmachen. Dies macht auch unmittelbar deutlich, dass die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Aktivitäten keineswegs behördlich beschlossen werden kann. Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen werden die Konjunkturprognosen in den vergangenen Wochen schrittweise deutlich nach unten korrigiert. Die aktuellen Prognosen für die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts sagen für Deutschland einen historischen Einbruch der Wirtschaftsleistung voraus und gehen von einer Reduktion von 6,3 Prozent (Prognose der Bundesregierung, 29. April 2020) bis sieben Prozent (Internationaler Währungsfonds IWF, 14. April 2020) gegenüber 2019 aus.

Ob diese Prognosen haltbar sind, ist von verschiedenen Faktoren abhängig, die nur zum Teil auf nationaler Ebene beeinflusst werden können. Neben der Effektivität der Anfang April unmittelbar beschlossenen Hilfspakete wird vieles davon abhängen, ob es in den kommenden ein bis zwei Jahren gelingt, Gesundheitsschutz mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten zu vereinbaren und verlässliche Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne einer „neuen Normalität“ zu etablieren.

Angesichts der geringen Wahrscheinlichkeit, dass ein Impfstoff oder wirksame Medikamente zeitnah verfügbar sind, gilt es, funktionsfähige Schutzkonzepte und Rahmenbedingungen zu schaffen. Diese müssen einerseits geeignet sein, die Pandemie in Schach zu halten, und andererseits für die Unternehmen Transparenz und Sicherheit bezüglich der Wiederaufnahme des Betriebs herstellen. Dabei sollten wir alle Register ziehen und verschiedene bereits diskutierte Ansätze wie den umfangreichen Einsatz von Tests, den Einsatz von Tracing-Apps, Schutzkonzepte für Risikogruppen und differenziertes „Social Distancing“ zielgerichtet kombinieren.

Keine der Maßnahmen ist für sich genommen eine Allzweckwaffe gegen die Pandemie, in ihrer Kombination haben sie aber das Potenzial, im Rahmen einer flexiblen, risikoadaptierten Strategie langfristig effektiv zu wirken. Neue Erkenntnisse, sowohl über das Virus als auch über die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen, sollten kontinuierlich genutzt werden, um weitere Lockerungen vorzunehmen oder wo nötig punktuell Maßnahmen zu verschärfen. So kann bei kontinuierlich hohem Gesundheitsschutz immer mehr wirtschaftliche und gesellschaftliche Aktivität stattfinden. Entscheidend ist es, eine zweite Welle der Pandemie möglichst zu verhindern, beziehungsweise so vorbereitet zu sein, dass eine zweite Welle nicht mit den gleichen Einschränkungen der wirtschaftlichen Aktivitäten einhergeht wie im März und April.

Die Wiederbelebung der Wirtschaft kann zudem nicht im nationalen Alleingang geschehen. Die internationale Arbeitsteilung und globale Absatzmärkte erfordern eine internationale Koordination. Besonders stark sind die Abhängigkeiten innerhalb der Europäischen Union. Der Vorleistungsanteil im Verarbeitenden Gewerbe der meisten Staaten liegt bei 60 bis 80 Prozent, wovon ein bedeutender Anteil importiert wird. In den EU-Staaten importieren Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes durchschnittlich 20 Prozent ihres Produktionswerts in Form von Vorleistungen aus der EU. Für Deutschland wird der hohe Grad an internationaler Verknüpfung auf der Exportseite besonders deutlich. Die Sektoren mit hohem Anteil an der deutschen Bruttowertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe, wie zum Beispiel der Maschinenbau, die Automobil- und Zulieferindustrie oder die Chemische Industrie, weisen allesamt einen hohen Exportanteil von über 50 Prozent auf. Daher wird die Wiederaufnahme der Produktion ganz wesentlich davon abhängen, ob und wann auch die internationalen Lieferketten wieder funktionieren.

Vorschläge für ein Konjunkturpaket

Der deutsche Staat hat sehr schnell und in nie da gewesenem Ausmaß reagiert, um die Zeit der wirtschaftlichen Beschränkungen mit Hilfen für Unternehmen und Haushalte zu überbrücken. Dennoch wird die wirtschaftliche Lage auch nach den erfolgten und angekündigten Lockerungen mit Unsicherheit belastet bleiben. Um eine langanhaltende Rezession zu vermeiden, bedarf es daher fiskalischer Impulse, die die Auftragslage der Unternehmen stützen, die konjunkturelle Erholung beschleunigen und Wachstumsimpulse setzen. Die Politik sollte sich dabei nicht von den zahlreichen Wünschen einzelner Branchen leiten lassen, die oft bestehende Strukturen festigen würden, ohne die erwünschte Wirkung auf die Konjunktur zu entfalten.

Im Zentrum eines Konjunkturpakets könnten vor allem drei Maßnahmen stehen, die zielgenau wirken, die wirtschaftliche Erholung unterstützen und den Strukturwandel begleiten: Dazu zählen die Ausweitung der Möglichkeiten zum steuerlichen Verlustrücktrag und -vortrag, eine Energiepreisreform sowie die Förderung privater und öffentlicher Investitionen. Mit einem Maßnahmenpaket, das mit der Lockerungsstrategie abgestimmt ist, kann die wirtschaftliche Erholung unterstützt und zugleich dauerhafte Anreize für die Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit der deutschen Volkswirtschaft gesetzt werden.

Autor/in: 

Prof. Dr. Veronika Grimm ist Professorin für Volkswirtschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und berät die Bundesregierung als Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (veronika.grimm@fau.de).

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2020, Seite 30

 
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