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Fragen an Christian Schmidt

Wo steht Bosnien-Herzegowina?

Bosnien-Herzegowina © stefanopolitimarkovin-GettyImages

Sarajewo, Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina.

Attraktiver Beschaffungsmarkt, aber mit politischen Krisen: Fragen an Christian Schmidt, Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina.

WiM: Die Wirtschaft in Bosnien-Herzegowina hat sich in den letzten Jahren auch vor Corona nur schleppend entwickelt. Sehen Sie dennoch gute Chancen für deutsche Unternehmen?

Christian Schmidt: Deutschland ist bereits der größte Handelspartner und der fünftgrößte Investor hier. Ich bin nicht die richtige Person, um detaillierte wirtschaftspolitische Analysen zu geben, aber es ist offenkundig, dass arbeitsintensive Branchen wie die Produktion von Elektrogeräten, Automobilteilen und Textilien attraktiv sind. Das Pfund, mit dem deutsche Unternehmen in Bosnien-Herzegowina wuchern können, ist das außerordentlich positive Bild, das die Menschen hier von Deutschland haben, übrigens in allen Teilen des Landes. Fast jeder hat einen Bezug zu Deutschland, sei es durch Verwandte, die dort leben, oder durch Aufenthalte als Flüchtling in Kriegszeiten. Viele sprechen Deutsch und haben großes Interesse, bei einer deutschen Firma zu arbeiten. Die Deutschen gelten als sehr faire und zuverlässige Arbeitgeber. Im Wettbewerb um Arbeitskräfte ist das nicht ganz unwichtig, denn auch in Bosnien-Herzegowina gibt es in bestimmten Bereichen einen Facharbeitermangel. Ein weiterer Anreiz sind die vielen gut vernetzten Anlaufstellen im Land, die ausländische Unternehmen bei der Ansiedlung und der Arbeit vor Ort unterstützen: Dazu gehören die Foreign Investment Promotion Agency und die Foreign Trade Chamber sowie der Foreign Investors Council, der die Interessen von Investoren vertritt. Man kann also schon vorab das Terrain sondieren und viele Informationen einholen.

Welche Stärken hat der Standort und in welchen Bereichen sehen Sie den größten Handlungsbedarf, um die Investitionsbedingungen zu verbessern?

Es stimmt, wirtschaftlich könnte in Bosnien-Herzegowina vieles besser laufen. Die Gründe dafür sind oft hausgemacht, aber es liegt auch daran, dass viele Investoren die Chancen nicht nutzen, die dieses Land zu bieten hat. Dabei ist klar, welche Vorzüge Bosnien-Herzegowina für Investoren auszeichnen: Es grenzt an die EU und ist geografisch ein Schnittpunkt zwischen Ost, West und Süden. Es gibt immense natürliche Ressourcen, dazu zähle ich auch ausdrücklich die Menschen, die gut ausgebildet und fleißig sind. Außerdem finden Unternehmen hier eine intakte Infrastruktur vor. Strom fließt zuverlässig, das Verkehrsnetz wird ständig ausgebaut und das Internet funktioniert in Bosnien-Herzegowina mitunter besser als in so manchen Gegenden meiner fränkischen Heimat, wenn man ehrlich ist.

Trotz einer schwelenden Staatskrise funktionieren die Institutionen, die die Stabilität des Geld-, Steuer- und Finanzsektors gewährleisten. Und es gibt die stabilste Währung des Westbalkans: die konvertible Mark, die zum Kurs der Deutschen Mark an den Euro-Kurs gekoppelt ist. Dementsprechend gibt es einen verlässlichen und liquiden, vom Ausland dominierten Bankensektor. Zudem sind die Steuersätze mit zehn Prozent Gewinnsteuer und 17 Prozent Mehrwertsteuer günstig. 92 Prozent der ausländischen Investoren in Bosnien-Herzegowina würden dieses Land anderen Investoren empfehlen, 65 Prozent der ausländischen Investoren wollen in den nächsten drei Jahren weiter in Bosnien-Herzegowina investieren. Ich denke, das spricht für sich. Was wir brauchen, um noch mehr Investoren zu interessieren, ist mit einem Wort umschrieben: Rechtssicherheit. Um es klar zu sagen: Auf administrativer Ebene arbeiten die verschiedenen Landesteile gut zusammen, da sitzen Fachleute mit Expertise und sind professionell. Leider blockieren, bremsen und verunsichern die politischen Spitzen ihre eigene Verwaltung gelegentlich. Da werden mit Absicht konkurrierende Gesetze beschlossen oder, jüngstes Beispiel, gegenseitig Dokumente nicht anerkannt. In diesem speziellen Fall will gerade die Föderation die Arbeitserlaubnispapiere der Republika Srpska nicht auf ihrem Territorium anerkennen, was natürlich grober Unfug ist. Im parteipolitischen Klein-Klein verlieren manche Akteure hier den Blick für das Wesentliche und das ist die Notwendigkeit, die Wirtschaft anzukurbeln, um den Menschen eine Perspektive zu bieten. Und das geht nur mit ausländischen Investoren.

Können ausländische Unternehmen davon ausgehen, dass sie in den beiden Landesteilen Bosnisch-Kroatische Föderation (FBiH) und Serbische Republik (Republika Srpska) dieselben wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vorfinden? Oder gibt es Unterschiede, die es zu beachten gilt?

Leider muss ich sagen, dass das große Potenzial dieses Landes nicht selten von der Politik kompromittiert wird. Es gibt immer wieder Versuche, die Grundlagen des Staates zu untergraben und 27 Jahre Frieden und Fortschritt zu gefährden. Politische Instabilität ist jedoch nicht das einzige Problem. Bosnien-Herzegowina muss, wie ich bereits angedeutet habe, verhindern, zu einem fragmentierten Wirtschaftsraum zu werden, in der institutionelle Widersprüchlichkeiten und Dysfunktionalitäten Investoren an ihrer Arbeit hindern. Wir brauchen mehr Berechenbarkeit und Abstimmung, auch beim Ausbau der Infrastruktur. Im Moment haben wir das Problem, dass die Föderation sich oft selbst blockiert und die Republika Srpska mit eher erratischen Ankündigungen eines Ausbaus der Autonomie für Verwirrung sorgt.

Für die Investoren gibt es zudem die Fallstricke des ungeklärten Status des ehemaligen jugoslawischen Staatsbesitzes. Es gibt immer noch kein Gesetz dazu, was aber beide Entitäten nicht daran hindert, diese Liegenschaften zu nutzen. Ich bin gerade dabei, das Thema lösbar zu machen. Für potenzielle Investoren eine große Gefahr, weil sie unter Umständen Land unrechtmäßig erwerben, ohne dass ihnen das bewusst ist. Es kann durchaus geschehen, dass es in Zukunft zu Rückforderungen und Prozessen kommt.

Dabei sind, wie erwähnt, die zuständigen Fachleute in den Verwaltungen nicht das Problem. Ich habe mit vielen von ihnen in beiden Entitäten gesprochen. Das sind in der Regel Pragmatiker, die versuchen, das Bestmögliche aus der Lage zu machen. Die Probleme finden sich auf politischem Niveau. Um positiv zu bleiben: Gerade in der Frage des ehemaligen jugoslawischen Staatseigentums tut sich etwas, ich bin zuversichtlich, dass es zu einer vernünftigen und rechtlich einwandfreien Regelung kommt.

Im Gefolge des russischen Krieges gegen die Ukraine nehmen auch in Bosnien-Herzegowina Konflikte wieder zu. Wie kann die internationale Gemeinschaft dazu beitragen, die Lage zu entspannen und damit auch die Wirtschaft zu stabilisieren?

Der Krieg in der Ukraine war, so scheint mir, ein heilsamer Schock für Bosnien-Herzegowina. Wir sprechen von einem Land, in dem vor einer Generation ein blutiger Krieg getobt hat, der 100 000 Menschen das Leben gekostet hat und Millionen ihre Heimat. Das steckt den Menschen in den Knochen und niemand hier, auch nicht in der Republika Srpska, hat die geringste Sehnsucht danach, dass sich so etwas hier wiederholt. Es ist mir wichtig, etwas klarzustellen: Es gibt politische Probleme in Bosnien-Herzegowina, aber derzeit keinerlei Anzeichen für gewaltsame Konflikte. Das eine sind die rhetorischen Schlammschlachten der Politiker, der Alltag ist etwas anderes. Die Menschen haben hier im täglichen Miteinander keine Probleme.

Damit das aber so bleibt, brauchen wir nicht nur das politische Engagement der internationalen Gemeinschaft. Die Menschen hier brauchen eine Perspektive, dazu gehört auch die Chance, einen vernünftigen Job zu finden, von dem man anständig leben kann. Das können letztlich nur ausländische Investoren ermöglichen, indem sie Bewegung in dieses Land tragen. Auch die populistischen Nationalisten hier hören sehr genau hin, wenn Investoren erklären, welches Umfeld, welche Rechtsgrundlagen sie brauchen, denn alle hier sind darauf angewiesen, dass die Wirtschaft endlich Fahrt aufnimmt. Im Grunde ist es also so, dass jeder Unternehmer alleine mit seinem Interesse und seinen Vorstellungen zu Stabilität und Entwicklung Bosnien-Herzegowinas beitragen kann. Durch unternehmerische Tätigkeit wird dieses Land also unternehmerfreundlicher werden. Oder wie Franz Kafka einmal geschrieben hat: "Wege entstehen, indem man sie geht." Dieses Land hat gewaltiges Potenzial, gut ausgebildete Menschen und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, die ununterbrochen Reformen und Fortschritt einfordert. Es lohnt sich also für deutsche Investoren, einen Blick auf Bosnien-Herzegowina zu werfen, ein Land, das nur eine Flugstunde entfernt ist.

Die Fragen stellte Hartmut Beck.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2022, Seite 26

 
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