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Ukraine

Wirtschaft als Kriegsziel

MARKT_Wirtschaft-als-Kriegsziel-WiM-11-22-Foto-GettyImages-den-belitsky-592032234 © den-belitsky/GettyImages.de

Mariupol in der südlichen Ukraine: der Hafen und das Asow-Stahlwerk vor der Zerstörung.

Wie behaupten sich die ukrainischen Unternehmen im Krieg? Erfahrungsbericht im IHK-Außenwirtschaftsausschuss.

Viele Menschen leben auch im westlichen Teil der Ukraine unter ständiger Bedrohung. Häufiger Sirenenalarm und Luftangriffe gehören zum Alltag – auch für die Mitarbeiter der Deutsch-Ukrainischen Auslandshandelskammer (AHK) in Kiev, neben der Mitte Oktober eine russische Rakete einschlug. Es sei schwer zu sagen, ob der Angriff der Kammer galt, um damit den deutsch-ukrainischen Wirtschaftsaustausch zu treffen, so AHK-Geschäftsführer Dr. Sergiy Lisnichenko vor dem IHK-Außenwirtschaftsausschuss.

Der Wirtschaftsexperte beschrieb den drastischen Einbruch der ukrainischen Wirtschaft mit zahlreichen Beispielen: Einschneidend sind die Zerstörung vieler Unternehmen und die russischen Angriffe auf die Energie- und Verkehrsinfrastruktur. So war das zerstörte Asow-Stahlwerk in Mariupol ein wichtiger Produktions- und Exportstandort und der Hafen der Stadt am Asowschen Meer ein wichtiges Logistikzentrum. Vor dem Angriffskrieg, den die wenigsten Ukrainer laut Lisnichenko tatsächlich erwartet hätten, hatte das Land eine Rekordernte eingefahren. Durch den Krieg und die Seeblockade sind die Ausfuhren der ukrainischen Landwirtschaft eingebrochen, die ein wichtiges Standbein der Wirtschaft und ein bedeutender Abnehmer deutscher Anlagen und Landmaschinen ist.

Er berichtete aber auch von der Wendigkeit und vom Improvisationsgeschick der ukrainischen Unternehmen, die sich dabei teilweise auf Erfahrungen seit 2014 stützen können. Denn schon damals mussten viele Betriebe wegen der Konflikte im Donbass nach Westen verlagert werden. Und aus den jahrelangen russischen Hackerangriffen hat man die Lehre gezogen, auf möglichst dezentrale IT-Lösungen zu setzen und die Cyber-Sicherheit zu stärken.

Auch wenn der Krieg noch in vollem Gange ist, ist die AHK nach Worten Lisnichenkos weiterhin in regem Kontakt mit deutschen Unternehmen: Sie versuchen ihre Geschäftsaktivitäten so weit wie möglich aufrecht zu erhalten, viele informieren sich bereits über mögliche Aufträge beim Wiederaufbau des Landes. In diesem Zusammenhang legte der Außenwirtschaftsexperte aber auch schonungslos die Schwächen des Landes offen, insbesondere die zahlreichen Oligopole etwa im Energiesektor und in der Agrarwirtschaft sowie die grassierende Korruption. Bei öffentlichen Aufträgen müsse man damit rechnen, dass 30 bis 40 Prozent der Mittel in dunklen Kanälen verschwinden. Hier seien große Anstrengungen der Regierung erforderlich, um den Wiederaufbau nicht zu gefährden.

Auf eines legte der AHK-Geschäftsführer großen Wert: Deutschland genieße in der Ukraine – entgegen dem vorherrschenden Eindruck – großes Ansehen. Das liege nicht zuletzt an den engen Verbindungen seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991: Beide Seiten unterhielten vielfältige politische und wirtschaftliche Kontakte, außerdem engagiere sich Deutschland in hohem Maße humanitär, kulturell und durch Städtepartnerschaften (wie zwischen Nürnberg und Charkiv).

Wirtschaftspartner Marokko

Über einen zunehmend wichtigen Wirtschaftspartner berichtete vor dem IHK-Außenwirtschaftsausschuss Andreas Wenzel, Geschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Marokko (AHK), die ihren Sitz in Casablanca hat. Die Kammer verzeichnet aus mehreren Gründen ein zunehmendes Interesse deutscher Unternehmen an dem nordafrikanischen Land, so Wenzel: Das Königreich wird zwar autoritär regiert, aber das Wirtschaftssystem ist sehr liberal und die Verkehrs- und Energieinfrastruktur laut AHK auf europäischem Niveau.

Strategisch positioniert hat sich Marokko mit dem Hafen "Tanger Med", der die spanischen Häfen bereits überflügelt hat und als größer Hafen in Afrika und im Mittelmeerraum gilt. Seit Jahren betreibt die Regierung die Transformation von einem Agrar- in ein Industrieland. Diese Anstrengungen tragen laut Wenzel sichtbare Früchte: Der Maghreb-Staat sei nicht mehr nur verlängerte Werkbank, sondern bereits Forschungs- und High-Tech-Standort. Diese Entwicklung treibt die marokkanische Regierung voran, indem sie seit Jahren Industriezonen ausweist und damit beispielsweise sogar Investoren aus der Luftfahrtbranche anzieht. Französische Automobilhersteller haben das Land als attraktiven Standort entdeckt und machen es zum wichtigsten Kfz-Hersteller in Afrika – noch vor dem lange führenden Südafrika. Große Fortschritte bescheinigt der AHK-Geschäftsführer dem Land auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Es sei das erklärte Ziel der Regierung, in diesem Bereich ein wichtiger Partner Europas zu werden – nicht zuletzt beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.

Zunehmend etabliert sich Marokko als Sprungbrett in andere afrikanische Länder – etwa in den Senegal oder die Elfenbeinküste. Für deutsche Unternehmen, die das westliche Afrika erschließen wollen, bietet sich deshalb die Zusammenarbeit mit marokkanischen Partnern an. Erleichtert wird ein Engagement in Marokko dadurch, dass Französisch die Verwaltungssprache ist und in vielen Unternehmen Englisch gesprochen wird. Die Verwaltung präsentiert sich nach Wenzels Erfahrungen zweischneidig: Zahlreiche Verwaltungsverfahren seien umständlich, dagegen würden andere zügig und digital abgewickelt. Auf jeden Fall entdecken viele Unternehmen das Land für das sogenannte Near-Shoring – also als Standort in der Nachbarschaft Europas und mit akzeptablen Transportzeiten. Dies sei ein wichtiges Argument in Zeiten unsicherer Lieferketten, so der AHK-Geschäftsführer.     

Autor/in: 

(bec.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 11|2022, Seite 28

 
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