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Außenwirtschaft

Globalisierung am Ende?

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Deutsche Investitionen: USA und Asien gewinnen an Bedeutung, Europa verliert an Attraktivität.

Kommt die Globalisierung zum Stillstand? Entwickeln sich die Wirtschaftsblöcke auseinander? Diese Befürchtungen stecken hinter dem Schlagwort von der Deglobalisierung, das derzeit die Runde macht. Wie sieht das Prof. Dr. Christian Rödl, Chef der Nürnberger Beratungs- und Prüfungskanzlei Rödl & Partner? Er kann beurteilen, wohin die Reise beim international aktiven Mittelstand geht. Denn seine über 5 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begleiten die Mandanten weltweit an 100 eigenen Standorten in rund 50 Ländern beim Auslandsgeschäft.

„Ich beobachte bei Mittelstand und Familienunternehmen eher das Gegenteil von Deglobalisierung“, sagt Rödl, der sich auch als Vizepräsident der IHK Nürnberg für Mittelfranken engagiert. Bereits seit mehreren Jahren investieren diese seiner Erfahrung nach mehr im Ausland als in Deutschland. Dafür gebe es je nach Weltregion gute Gründe: Nähe zu lokalen Märkten, bessere Rahmenbedingungen, geringere Energiekosten und gut ausgebildete Arbeitskräfte.

Rödl erkennt auch klare Trends, was die Attraktivität einzelner Weltregionen angeht: Die Mandanten von Rödl zeigten sich „begeistert“ von der Willkommenskultur in den USA. Dafür sorgt u. a. der im letzten Jahr verabschiedete US-Inflation Reduction Act, der unter anderem mit Subventionen und Steuergutschriften lockt. Belohnt wird beispielsweise die Produktion klimafreundlicher Energien und Güter wie Wärmepumpen, Batterien oder Solarzellen. Auch für den Kauf solcher Produkte bis hin zum E-Auto gibt es staatliche Prämien.

China, im letzten Jahr zum siebten Mal in Folge Deutschlands größter Handelspartner, steht bei den Familienunternehmen und Mittelständlern ebenfalls hoch im Kurs. Allerdings empfiehlt Rödl, Investitionen in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt sorgfältig zu planen und auch die politische Diskussion genau zu verfolgen. So werde derzeit intensiv darüber gestritten, wie China einzuschätzen sei: als Kooperationspartner, als Wettbewerber oder als Systemrivale? Auf jeden Fall sei ein Risikomanagement wichtig, wie auch die Zeit während der Corona-Lockdowns in China gezeigt habe: Beim sogenannten Derisking gehe es beispielsweise um diversifizierte Lieferketten, um nicht einseitig von der Vorproduktion in China abhängig zu sein. Ein Abkoppeln der deutschen oder europäischen Wirtschaft vom Reich der Mitte („Decoupling“) sei dagegen keine Perspektive. Vielmehr beobachtet Rödl bei seinen Mandanten Investitionen in neue Produktionen in China, um auch bei Handelsbeschränkungen weiter für die regionalen asiatischen Märkte produzieren zu können. Dabei geht es sowohl um Konsumgüter für den chinesischen Markt als auch um Vorprodukte für Maschinen und Anlagen, die in China hergestellt werden. Vom chinesischen Staat werden die Investitionen u. a. durch günstige Steuersätze gefördert.

Bei den deutschen Auslandsinvestitionen boomen Rödls Einschätzung zu Folge auch Vietnam, Indien und die Türkei mit ihren vielen jungen Konsumenten. Zahlreiche Familienunternehmen produzieren in Mexiko, um von dort aus Dank der Freihandelszone NAFTA (USA, Kanada und Mexiko) direkt in den US-amerikanischen Markt zu liefern. Gelobt werde dabei die Qualität der mexikanischen Arbeitskräfte, die so gut wie die in den USA seien.

Bei den Investitionen in Auslandsmärkte sollten Mittelständler zuerst mit dem Vertrieb beginnen, um die länderspezifischen Märkte zu testen, empfiehlt Rödl. So seien etwa in Indien andere Produkte erfolgversprechend als in China: „Eventuell sind Produkte oder Dienstleistungen für Indien im Vergleich ,overengineered‘. Gefragt ist dort aktuell eher Lowtech.“ Auch Länder mit starker Forschung und Innovation sind attraktive Standorte für Investitionen. Das gilt beispielsweise für China, wo die Ingenieurausbildung nach Angaben zahlreicher Rödl-Mandanten bereits einen sehr guten Ruf genießt. Dort mache oft auch die schiere Zahl der Ingenieure einen Unterschied – einer finde gewiss eine passende Lösung. Dem kann Christian Rödl angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland aber auch eine positive Seite abgewinnen: Entwicklungsaktivitäten an den Auslandsstandorten könnten die Mitarbeiter in den deutschen Werken entlasten. Unter dem Strich bewertet er aber den Standort Deutschland mit seiner immer noch starken Inlandsproduktion und hohen Fertigungstiefe als positiv.

Einschätzung der Weltmarktführer

Einen Überblick über wirtschafts- und finanzpolitische Trends gibt der „Weltmarktführerindex Deutschland“, den Rödl & Partner gemeinsam mit der schweizerischen Universität St. Gallen halbjährlich veröffentlicht. Befragt werden deutsche Weltmarktführer, die auf mindestens drei Kontinenten tätig sind, über 50 Mio. Euro umsetzen und einen Auslandsanteil von mindestens 50 Prozent aufweisen. Außerdem müssen sie in ihrem Bereich weltweit die Marktposition 1 oder 2 innehaben. Die Umfrage gibt auch Aufschluss darüber, wie Unternehmer den Standort Deutschland im internationalen Vergleich einschätzen: Demnach sei Deutschland in puncto Produktivität und Kosten kaum noch wettbewerbsfähig. Der Politik stellen die deutschen Weltmarktführer ein schlechtes Zeugnis aus: Gerade einmal ein gutes Fünftel bewertet die Lage als noch „akzeptabel“, bei der Umfrage im Frühjahr 2023 fanden das noch über 82 Prozent. Der aktuellen Umfrage zufolge leide der Standort Deutschland vor allem an zunehmender Bürokratie, Fachkräftemangel, hohen Energiepreisen und Produktionskosten. „Diese allgemeine Verunsicherung führt zu Investitionsverschiebungen“, folgert Christian Rödl. Bei den Zielregionen führen die Weltmarktführer erneut die USA als wichtigsten Markt im Ausland an. Aber auch die Weltregion Asien gewinnt weiter an Bedeutung, während Europa an Anziehungskraft einbüßt.

Für Rödl ist die anhaltende Internationalisierung von Mittelstand und Familienunternehmen trotzdem eher ein Zeichen der Stärke, um „Wachstumschancen in Märkten rund um den Globus auszunutzen“. „Deutschland als kranken Mann Europas zu bezeichnen, ist aus meiner Sicht übertrieben“, konstatiert er, wenngleich man vor dem drängenden Reform- und Investitionsstau hierzulande nicht die Augen verschließen dürfe. Als Beispiel für das, was möglich ist, nennt Rödl das schnelle Umsteuern bei den Energieimporten, wodurch die hohe Abhängigkeit von russischem Gas drastisch reduziert worden sei. Auch die Zukunftsperspektiven für den deutschen Mittelstand seien insgesamt positiv: „Die Stimmung ist schlechter als die Lage.“

Autor/in: 

(tt.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2023, Seite 44

 
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