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Unternehmenskritik mit Schneeballeffekt

Alle Firmen müssen mit Kritikern leben. Früher ein Einzelphänomen, ist im Webzeitalter heute jeder Kunde ein potenzieller öffentlicher Kritiker – im Internet sorgen Firmenhasser-Foren, Kritiker-Blogs und Verbraucherportale für viel Zoff.

„Der Hass ist so gut erlaubt als die Liebe“, schrieb Georg Büchner einmal. Zu seiner Zeit galt der Hass als äußerste Gefühlsempfindung, die öffentlich zu äußern sehr gewagt war. Das hat sich massiv geändert, wie ein Blick in die Auslagen des Buchhandels zeigt: „Hasser-Bücher“ haben Konjunktur. Manchmal sind sie ironisch gemeint, aber zunehmend setzen sie durchaus ernst gemeinte Zeichen. Zum Beispiel gegen Firmen, die den Zorn vieler potenzieller Leser auf sich gezogen haben.

Die Hasser-Bücher sind ein markanter Ausdruck eines relativ neuen Phänomens: Kunden und Konsumenten machen nicht mehr nur durch ihre eigene Wahl von ihrer Marktmacht Gebrauch, sondern beeinflussen selbst massiv Kundenströme. Sie tun es oft einfach aus Wut. Die entstandene Szenerie wird zunehmend auch von Multiplikatoren verwertet, die die Wut anderer Konsumenten vor allem im Internet kanalisieren: Kritiker-Blogs, Testbörsen und Hasser-Foren sind drei der neuen Formen.

„Ich hasse die Deutsche Bahn und am meisten diesen verschrumpelten Schaffner aus dem Regionalexpress von Frankfurt nach Nürnberg.“ So wie hier „Lara“ im „Bahnhasser-Forum“ ihren Ärger in drastische Worte fasst, geht es den Unternehmen meist unverblümt an den Kragen. Manchmal ist die Kritik auch substanzieller: „Ein ICE, dessen Klimaanlage nicht funktioniert, blieb wegen Triebwagenschäden stehen, verharrte fast 90 Minuten in dieser Position, zuckelte dann zurück zu einem anderen Bahnhof, brauchte dafür das Dreifache der normalen Zeit und ließ die Fahrgäste völlig allein mit ihrem Schicksal…“, fasst ein angefressener Reisender eine unliebsame Erfahrung zusammen. Und ein anderer ergänzt: „Bei meinen letzten drei Zugfahrten ging drei Mal die Klimaanlage nicht. Blöd, dass man bei den modernen Zügen auch kein Fenster aufmachen kann…“ Ob die Kritik angemessen ist oder nicht: Den angegriffenen Unternehmen bleibt nichts anderes übrig, als das neue Medium bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit im Auge zu behalten. Sonst droht das mühsam aufgebaute Corporate Image dauerhaft Schaden zu nehmen. So mahnt Claus-Peter Huttner in seinem „Bahnhasser-Buch“ an, dass sich die Manager in die Lage der Kunden hineinversetzen müssen, um deren Kritik an betrieblichen Abläufen und angeblich mangelnder Serviceorientierung tatsächlich verstehen zu können.

Für die betroffenen Firmen am schlimmsten ist, dass sich Nachrichten im Internet schneeballartig verbreiten. Den Kundenservice eines amerikanischen Sportartikelherstellers etwa hatte vor einigen Jahren das Schicksal ereilt, dass einer seiner Briefwechsel mit einem Kunden im Netz kursierte. Angestellte hatten einen Kundenwunsch immer wieder abgelehnt – dieser hatte auf die Kinderarbeit in der Firma aufmerksam machen wollen. Die Auseinandersetzung geriet zu einem negativen PR-Selbstläufer, woraufhin die Firma schließlich unter anderem virtuelle Besichtigungstouren durch ihre asiatischen Fabriken einrichtete.

Unmutsäußerungen können problemlos publiziert werden. Gleichzeitig steigen die Kundenerwartungen und setzen die Firmen unter Druck. Und gefunden wird die Kritik auch leichter als früher. Ein Blick in eine Verbraucherbörse reicht – und das erwogene Produkt kann sofort als zu schlecht befunden werden, weil ein anderer Kunde seinem Ärger Luft gemacht hat. Die Mutter zum Beispiel ist wütend, weil eine Sportartikelfirma einen Trendschuh nicht zurücknimmt, nachdem der schon beim ersten Sportversuch platzte. Die Kundin eines Versandhauses kehrt dem Unternehmen den Rücken, weil die bestellte Sauna erst nach zwölf Wochen geliefert wird und wichtige Teile fehlen. Und der Markenkamera-Fotograf ist sauer wegen eines Sandschadens, den die Firma nicht übernehmen will: „Ich werde mir kein Produkt von denen mehr kaufen und rate auch allen davon ab, dies zu tun.“

Weil Boykottaufrufe wie dieser möglicherweise der Firma schaden, beauftragen Unternehmen inzwischen Aufpasser-Dienste, die die multiplikatorischen Auswirkungen verhindern sollen. Einer dieser Dienste nennt sich „Gridpatrol“ und gehört der Firma „mediatime“ aus Hamburg. Hier hat man die Erfahrung gemacht, dass Gerüchte und Aussagen zum Beispiel von Weblogs sowohl von anderen Internet-Usern als auch von den herkömmlichen Medien unreflektiert übernommen werden. Außerdem legt „mediatime“ seinen Auftraggebern die Namen von verärgerten Leuten vor, die auf Hass-Seiten die Firma durch den Kakao ziehen. Allerdings hat Geschäftsführer Sten Franke auch schon festgestellt, dass dies nicht nur frustrierte Kunden tun: „Häufig werden PR-Kriege zwischen Unternehmen in Blogs ausgetragen.“ Das heißt, dass die Firmen Leute beauftragen, um auf gut besuchten Websites „private“ Kommentare zu Produkten abzugeben – tolle für die eigenen und schlechte für die der Konkurrenz.

Scharmützel und strafrechtliche Auseinandersetzungen sind das eine. Was aber ist mit der Ursachenbekämpfung des Missstands in den Betrieben? „Die Unternehmen scheinen mit dem Tempo der Entwicklung der Kundenerwartungen nicht Schritt halten zu können“, meint Christian Hogertz, Geschäftsführer der Kölner Unternehmensberatung „comcheck“, die sich auf die Qualität von Kundenkontakten spezialisiert hat. Beim so genannten „Mystery Shopping“ stellen die Testkäufer der Firma immer wieder fest, dass es in der Beziehung zum Kunden erheblich hapert. Nach ihren insgesamt 5 200 Anfragen bei einer Testaktion der Frankfurter Unternehmensberatung „Tellsell“ kommt Beraterin Monique Steudel insgesamt zu dem Ergebnis, dass ein Großteil der Probanden selbst bei einfachsten Geschäftsvorfällen versagt.

Kein Wunder, wenn enttäuschte Kunden dann meckern. Aber ist es nötig, ihnen dafür Bühnen wie Hasser-Portale und ähnliche zu bieten? Besteht nicht die Gefahr, dass diese Foren aus dem Ruder laufen? Initiator Claus-Peter Hutter wiegelt ab: „Die Foren können nicht aus dem Ruder laufen, weil sich Kritiker ebenso wie Befürworter gleichermaßen einbringen können. Würden wir Ansätze erkennen, dass sich eine Hass-Kultur statt eines konstruktiven Dialogs entwickelt, würden die Foren abgeschaltet.“ In der Tat folgt auf manch eine Beschwerde ein nützlicher Tipp.

Hutter selbst empfindet seine Hasser-Serienattacken ohnehin nur als augenzwinkernde Kritik im Sinne einer besseren Servicegesellschaft. Tatsächlich zwinkern bereits die Buchumschläge: Zug, Briefkasten und Telefon, die abgebildet sind, tragen Hörner. Die Wendung „jemandem die Hörner zeigen“ bezieht sich zwar darauf, dass Böcke, Stiere und andere Tiere den Kopf senken, um den Gegner auf die Hörner zu nehmen. In diesem Fall wirken die neckischen Hörnchen aber zugleich wie Gänsefüßchen für das harte Wort „Hass“.

Autor/in: 
Achim Bertenburg
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2006, Seite 24

 
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