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Ängste ernst nehmen

Unter dem Banner „Laptop und Lederhose“ war in den vergangenen Jahrzehnten eine beispiellose Erfolgsgeschichte zu beobachten. Bayern mauserte sich vom Agrarland zum führenden High-Tech-Standort der Republik. Doch ob Franke, Bayer oder Schwabe, die Bewohner des Freistaates hielten an ihren liebgewordenen Gewohnheiten und liebenswerten Schrulligkeiten fest. Neben den Biotech-Firmen in Martinsried gab und gibt es immer noch den altmodischen Bauern auf der Alm. Dem Freistaat schien es ohne nennenswerte Schwierigkeiten zu gelingen, Tradition und Moderne miteinander zu verknüpfen. Die Verbundenheit mit den kulturellen Überlieferungen vertrug sich bestens mit dem modernen Internet-Zeitalter.
Doch das schöne Bild hat Risse bekommen. Ausgerechnet im Freistaat formiert sich eine neue Protestbewegung: Angst vor den elektromagnetischen Strahlen der Mobilfunkanlagen und Handys lässt viele Bürger nicht mehr ruhig schlafen. Während sich im Norden der Republik kaum jemand an den Sendemasten der Mobilfunker stört, sieht es in Bayern ganz anders aus. Schon vor fünf Jahren gründete sich die „Bürgerwelle“ als Dachorganisation der mobilfunkkritischen Initiativen, rund 800 Gruppen sind dort inzwischen registriert, und über die tatsächliche Zahl im Freistaat lässt sich nur noch spekulieren. Tatsächlich kann man heute kaum noch über ein Straßenest bummeln, ohne das man von Mobilfunkgegnern angesprochen wird. Für die Mobilfunkfirmen wird die Skepsis der Bayern zu einem Problem.
Bundesweit sind noch rund 15 000 Antennen für den Aufbau des neuen UMTS-Netzes nötig. In Bayern wird es besonders in ländlichen Gebieten bereits schwierig, einen geeigneten Standort zu finden. Erste Städte wie etwa Regensburg haben, um auf die Besorgnisse der Bürger einzugehen, bereits kommunale Grundstücke zu antennenfreien Zonen erklärt. Die flächendeckende Versorgung mit UMTS-Diensten, aber auch dem normalen Mobilfunk ist nach Aussagen von Telekommunikationsfirmen im Freistaat gefährdet. Selbst für die Landeshauptstadt München werden bereits Löcher in der Mobilfunk-Abdeckung befürchtet.
Ob die Strahlenangst der Bürger berechtigt ist, lässt sich schwer sagen. Noch sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien nicht aussagekräftig genug, um eine tatsächliche gesundheitliche Gefahr nachzuweisen oder zu widerlegen. Die neuen UMTS-Netze sind zudem bisher nicht installiert, Feldstudien also noch nicht möglich. Doch allein die Angst vieler Bürger gefährdet den Wirtschaftsstandort Bayern. Das Modell „Laptop und Lederhose“ ist bedroht - den traditionsbewussten Bayern fehlt das Vertrauen in die Macher der neuen, hochtechnologisierten Welt.
Da hilft es wenig, der Bürgerwelle zu unterstellen, dass hier nur einige Unverbesserliche ihr radikales Süppchen kochen, wie es beispielsweise aus Kreisen des neugegründeten Informationszentrums Mobilfunk zu hören ist. Die Angst der Bürger ist echt. Und sie speist sich aus einem erschreckendem Misstrauen gegenüber Politikern und Unternehmern. Das Vertrauen, dass Wirtschaft und Politik verantwortungsbewusst neue Technologien auf schädliche Auswirkungen prüfen, ist verbraucht. Die technische Elite hat es augenscheinlich versäumt, große Teile der Bevölkerung auf die Reise in eine hochtechnologisierte Welt mitzunehmen. Das Risiko neuer Technologien tragen alle, die Entscheidung in welche Richtung Forschung und Entwicklung laufen, treffen dagegen nur wenige. Technologie wird zu einer gesellschaftlichen Entscheidung, die auch politisch diskutiert werden muss. Wer selbstbewusst in seiner Tradition verwurzelt ist, möchte ein Wörtchen mitreden, wenn vor seiner Haustür Sendeanlagen errichtet werden.
Das verlorene Vertrauen wieder aufzubauen, wird nicht leicht werden. Aber es geht nicht nur um den Mobilfunk und die bunte, neue Welt der UMTS-Übertragungstechnik, der Widerstand kann schnell auch auf andere Felder wie etwa die Biotechnologie überspringen. Die Entscheidung, in rund 60 Gemeinden und Städten Runde Tische einzurichten, bei denen alle Beteiligten zusammen kommen, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aufgabe der Wirtschaft ist es außerdem, zu zeigen, dass nicht nur Shareholder Value und Gewinne, sondern auch soziale Verantwortung das Handeln der Unternehmer bestimmt - nur so lässt sich das Misstrauen bekämpfen.
Autor/in: Andreas Klähn,Andreas Klähn ist Redakteur der Tageszeitung 'Die Welt' in München. Er schreibt für die bayerische Regionalausgabe über wirtschaftliche Themen.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 11|2001, Seite 20

 
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