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Wie innovativ ist die Automobilbranche?

Prof. Dr. Wolfgang Meinig ist Professor für Automobilwirtschaft an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Außerdem leitet er die Bamberger Forschungsstelle Automobilwirtschaft FAW. WiM fragte ihn nach der aktuellen Lage dieser Branche sowie nach den Trends bei Autoexport, Technologie und Vertrieb.

Die Automobilindustrie gilt in Deutschland als wichtiger Wachstumsmotor. Wie ist die aktuelle Branchenlage?

Die Zulassungszahlen für Neufahrzeuge sind in Deutschland seit drei Jahren rückläufig. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Stagnierendes verfügbares Einkommen der Haushalte, hohe Arbeitslosenquoten und nicht zuletzt die negative Informationspolitik der Bundesregierung, die zu starker Kaufzurückhaltung führt. Trotz des Höhenflugs des Euro kann ein Teil des genannten Effekts durch die Exporte der deutschen Automobilwirtschaft kompensiert werden. Zu bedenken ist, dass beim Rückgang der Produktionszahlen von Neufahrzeugen auch unmittelbar, d.h. proportional alle Zulieferbetriebe betroffen sind.

In welchen Ländern der Welt sehen Sie derzeit die größten Absatzmärkte für die deutschen Automobilhersteller?

Zielmärkte sind diejenigen Länder, die eine hohe Bevölkerungszahl aufweisen und derzeit noch eine geringe Fahrzeugdichte haben. Diese so genannten ungesättigten Märkte finden wir derzeit in Indien und der Volksrepublik China. Wegen der positiven Qualitätseinschätzung gehören auch die USA dazu.

Die Entwicklung vom klassischen Zulieferer zum Komponenten- und Systemhersteller wertet den Status der Zulieferer auf. Welche Chance haben die regionalen Automobilzulieferer, von diesem Wandel zu profitieren?

Grundsätzlich haben alle Zulieferer die Chance, vom Anbieter singulärer Teile den Weg über den Komponentenlieferanten zum Systemlieferanten zu gehen. Voraussetzung ist intensive Forschung und Entwicklung und die Beherrschung der Beschaffungs- und Fertigungsprozesse. Da sich die Automobilhersteller hauptsächlich als Systemintegrierer verstehen, müssen sich erfolgreiche Zulieferer als Glieder der Wertschöpfungskette mit hoher Kompetenz ausstatten und sowohl bei Produkten, als auch Prozessen Top-Qualität liefern. Selbstverständlich setzt dies hohe Investitionen voraus, was in diesen Zeiten nicht besonders leicht ist, weil Banken gerade vor dem Hintergrund der Basel-II-Richtlinien die Bonitätskriterien erhöhen und demzufolge sehr vorsichtig bei der Kreditvergabe sind.

Welche Bedeutung haben Nanotechnologie und Neue Materialien für die Automobilherstellung? Wo kommen diese verstärkt zum Einsatz?

Die Automobilwirtschaft ist derjenige Teilbereich unseres Wirtschaftssystems, in dem rund 80 Prozent der Innovationen geschaffen werden. Damit liegt die Automobilwirtschaft weit über der IT-Branche! Demzufolge sind die Automobilhersteller traditionell überdurchschnittlich aufgeschlossen für Innovationen aller Art, sowohl bei Zulieferprodukten wie auch bei Prozessinnovationen. Derzeit ist der Einsatz Neuer Materialien und der Nanotechnologie vor allem im Karosserieinnenraum, insbesondere bei der Gestaltung und Fertigung des Cockpit-Bereichs zu beobachten. Es geht u.a. um Gewichtsverringerung durch den Einsatz von Magnesium oder um einen verbesserten Kraftfluss, der durch die Klebetechnik bei Aluminium-Konstruktionen (z.B. bei der Smart-Tür) erzielt wird. Mit Hilfe der Nanotechnologie bleiben nicht nur Autolacke länger schön, auch die Innenräume profitieren, denn sie werden z.B. kratzfester und weniger schmutzempfindlich.

Diese Beispiele zeigen: Die Beschleunigung des technischen Fortschritts nimmt in der Automobilindustrie gravierend zu, d.h. wir werden in den nächsten vier Jahren mehr Innovationen im Fahrzeug realisieren, als in den vergangenen 40 Jahren! Die besondere Chance der regionalen Zulieferindustrie liegt insbesondere darin, hervorragende Qualität zu liefern und Vorkehrungen zu treffen, dass sämtliche mechanische und elektronische integralen Schnittstellen bewältigt werden. Die Automobilindustrie ist gerade angesichts der Zunahme der Rückrufaktionen nachhaltig daran interessiert, dass die ausgelieferten Fahrzeuge nicht zu „Testfahrzeugen“ werden.

Beim Neuwagenverkauf treten neuerdings Discounter wie Norma oder Lidl auf, die Automobile wie Lebensmittel anbieten. Demgegenüber gehen die Automobilhersteller mehr dazu über, den Autokauf zu inszenieren und ein nachhaltiges Erlebnis daraus zu machen. Dazwischen stehen die klassischen Autohändler. Welche Verkaufsstrategie wird sich in Zukunft durchsetzen?

Es wird nie so sein, dass Automobile wie Lebensmittel verkauft werden können. Bei Automobilen handelt es sich um Investitionen privater Haushalte, die im statistischen Mittel selbst die Investitionen für die Beschaffung von Wohnraum übersteigen. Fahrzeuge sind hochpreisig, technologisch hoch komplex, gefährlich und erklärungsbedürftig. Hinzu kommt ihre Wartungsbedürftigkeit.

Die Autofahrer haben dies längst begriffen, weshalb sie nach unseren neuesten Untersuchungen weniger daran interessiert sind, im Zusammenhang mit dem Kauf und der Inanspruchnahme von Service in Erlebniswelten einzutreten. Der Autofahrer ist daran interessiert, im Autohaus mit technisch und sozial kompetentem Verkaufspersonal und auch Werkstattmitarbeiter umzugehen. Er sucht ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und verzichtet auf alle anderen erlebnisorientierten Attribute, die nicht im direkten Zusammenhang mit dem Produkt „Automobil“ stehen. Der institutionelle Kfz-Handel wird seine Daseinsberechtigung behalten, auch wenn sich potenzielle Käufer erst einmal über das Internet schlau machen. Nur der Händler allein kann sicher stellen, dass der Interessent auch sachgerecht beraten wird und dass ihm das Fahrzeug durch Probefahrten nähergebracht wird. Auch künftig werden die Vertragshändler diese trotz Standardisierungsbemühungen im Rahmen der Corporate Identity einer Marke – in der Hauptsache ihren regionalen Markt um den Standort herum -ideenreich und konsequent bearbeiten müssen.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2004, Seite 22

 
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