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Die Große Koalition steht sich selbst auf den Füßen

von Nikolaus Neumaier, Korrespondent des Bayerischen Rundfunks im ARD-Hauptstadtstudio Berlin

Die Kulissen glänzen noch, aber hinter den Fassaden bröckelt der Putz. Die Große Koalition ist nach ihrem fulminanten Start in den Niederungen angekommen. Die Umfragewerte sinken, das Reformtempo ist gebremst und die großen Reformprojekte warten auf dem Verschiebebahnhof. In Wahrheit liegen SPD, CDU und CSU weiter auseinander, als sie es den Wählern vormachen.

Die Koalitionspartner stehen sich selbst auf den Füßen. Bei der Gesundheitsreform gibt es kaum Bewegung. Hinter den Kulissen spekulieren SPD und Union bereits darüber, nur ein Reförmchen zu organisieren, um dann nach den nächsten Bundestagswahlen die Dinge nach ihrem Geschmack zu richten. Da muss man sich schon fragen, ob sich die Bürger so simpel täuschen, ob sie sich kleine Korrekturen als wirklichen Einstieg in den Systemwechsel verkaufen lassen. Düster sieht auch die Bilanz und die Zukunft in der Arbeitsmarktpolitik aus. Die Kosten für Hartz IV explodieren. Die Arbeitsmarktreformen werden zum unkalkulierbaren Milliardengrab, doch für grundlegende Korrekturen gibt es keine Mehrheit. Also doktert man eben mit Optimierungsgesetzen weiter und schiebt das Dilemma notfalls auf die alte rot-grüne Regierung.

Die Große Koalition tritt auf der Stelle - auch deswegen, weil noch keiner den anderen Partner beschädigen will. So wird es wohl auch auf absehbare Zeit keine Lockerung des Kündigungsschutzes geben, weil das die SPD nicht mitmacht. Hinter den Kulissen von Kanzleramt, Bundestag und Bundesrat knistert es also inzwischen gewaltig. Seit das umstrittene Antidiskriminierungsgesetz im Koalitionsausschuss so nebenbei durchgewinkt wurde, laufen die CDU-Ministerpräsidenten Sturm. Der Hesse Roland Koch schimpft über die „Krötenbrutstätte“ Koalitionsausschuss und der Kanzlerkandidat im Wartestand, Niedersachsens Christian Wulff, stichelt gegen die Kanzlerin und erklärt die Ministerpräsidenten zu den Garanten, dass das Profil der Union nicht noch weiter verwässert wird. Auch die CSU – deren Chef Edmund Stoiber im Koalitionsausschuss mitverhandelt – will keine weiteren Kröten mehr schlucken. Kein Unionsanhänger versteht, warum das Antidiskriminierungsgesetz, gegen das man noch im Wahlkampf Sturm gelaufen war, so geräuschlos abgesegnet wurde. Künftig will man darum klare Kante zeigen, hat der Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion, Joachim Herrmann, bei einem Besuch in Berlin erklärt und klargestellt, dass auch aus Bayern der Wind wieder rauer Richtung Berlin wehen wird.

SPD, CDU und CSU freuen sich derzeit über kleine Punktsiege. Die Sozialdemokraten jubeln über das Gleichstellungsgesetz, die Union feiert das Elterngeld und beim Thema Mehrwertsteuer pressen alle die Zähne zusammen und erklären kleinlaut: Sorry, wir können leider nicht anders. Doch die Kampagne gegen die Mehrwertsteuer hat auf SPD- wie auf Unionsseite schon begonnen. Und weil für den dreiprozentigen Zuschlag der Bundesrat gebraucht wird, laufen sich auch schon die Ministerpräsidenten warm. Wenn jetzt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers beteuert, er habe immer schon Nein zur Steuererhöhung gesagt, ist das nur ein Vorgeschmack auf die kommenden Auseinandersetzungen.

Für Angela Merkel wird es also schattig auf dem Sonnendeck. Die Kanzlerin, die ja die Dinge so gern laufen lässt, muss jetzt Führungsqualitäten zeigen. Gegenüber der SPD, gegenüber den eigenen Leuten. Und sie muss beweisen, dass sie es ernst meint mit ihrer Ankündigung, in kleinen Schritten die enormen Probleme zu bewältigen. Es ist die Verantwortung dieser Großen Koalition, die Baustellen Gesundheit, Rente und Arbeitsmarkt konsequent abzuarbeiten. Leider aber sieht es derzeit danach aus, als würden die Baustellen nur etwas umgeräumt, als gebe man sich mit Flickwerk zufrieden. Die Koalition muss die wenige Zeit, die sie hat, nutzen. Damit die Bürger glauben können, dass man es ernst meint in Berlin, braucht es jetzt klare Signale. Ein solches Signal wäre ein deutliches Ja zur Föderalismusreform. Die Staatsreform, die Bund, Ländern und Kommunen mehr Luft und mehr Schwung verschaffen könnte, darf nicht mehr zerredet werden. Wenn sie bis zum Sommer verabschiedet wird, kann die Koalition zeigen, dass die Kulissen nicht nur Staffage sind.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2006, Seite 28

 
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