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Offener Himmel

Der Wettbewerb hat die Luftfahrtbranche durcheinander gewirbelt. Luftfahrtallianzen und die neuen Anbieter von Billigflügen haben in den letzten Jahren den europäischen Markt geprägt.

Erst war es der Traum vom Fliegen, dann der vom billigen Fliegen. Inzwischen gibt es die ersten kostenlosen Flüge. Icelandair war in den 60er Jahren ab Luxemburg der günstigste Anbieter für USA-Flüge. Sir Freddy Laker bot in den 70er Jahren mit seinem Skytrain zwischen London und New York billige Flüge an. Natürlich gab es auch damals schon Wettbewerb. In Deutschland waren es Chartergesellschaften wie Condor und LTU, die billige Pauschalreisen anboten und auf vielen Strecken mit den Liniengesellschaften erfolgreich konkurrierten. Sie hatten einen Marktanteil von etwa 50 Prozent. Das atemberaubende Tempo der Veränderungen für Kunden, Unternehmen und Genehmigungsbehörden hält an und macht die Branche zu einem der spannendsten Wirtschaftszweige. Die Branche wächst immer noch im Durchschnitt mit rund fünf Prozent pro Jahr – 2005 sind weltweit über zwei Mrd. Menschen geflogen.

Wettbewerb ist das Schlüsselwort für die Entwicklung und Innovationskraft in der Luftfahrtbranche. Das gilt für alle Bereiche des Luftverkehrs gleichermaßen, allen voran für Fluggesellschaften, aber auch für Flughäfen, Hersteller von Flugzeugen und Triebwerken und inzwischen auch für europäische Flugsicherungsdienste. Letztere werden im Rahmen des Single European Sky-Vorhabens der EU-Kommission schrittweise liberalisiert. Gemeinsames Ziel: die Effizienz, Wettbewerbsfähigkeit und Servicequalität zu verbessern und die Kosten zu senken. Damit können sich die Kunden über eine große Angebotsvielfalt und sinkende Flugpreise und Frachtraten freuen.

Beigetragen zum Wettbewerb haben die Unternehmen zunächst selbst, die Fluggäste konnten von Anfang an für ihre Reisen unter verschiedenen Anbietern wählen. Auch heute noch ist ein Umsteigeflug über ein Drittland manchmal billiger als der Nonstopflug. Im nächsten Schritt wurden die zwischenstaatlichen Vereinbarungen wie die Luftverkehrsabkommen, welche die Einzelheiten (z.B. Anzahl der zugelassenen Fluggesellschaften, Flüge oder Sitzplätze, eingesetztes Fluggerät, Streckenführung und Preise) regelten, stufenweise liberalisiert. Heute fallen die meisten Abkommen unter den Begriff Open Sky-Vereinbarung. Sie überlassen den Unternehmen statt den Regierungen die Entscheidung über ihr Streckenangebot und den Preis. Regional gab es ebenfalls mehr Spielraum im Wettbewerb: 1978 lockerten die USA mit dem Deregulations Act ihren Inlandsverkehr, die EU folgte mit drei Liberalisierungspaketen, die den Luftverkehr innerhalb der EU stufenweise bis zum 1. April 1997 von den staatlichen Restriktionen befreite.

Überlebensstrategien
Heute sind die unterschiedlichen Angebote der Fluggesellschaften ein beliebtes Thema für Testberichte: Wo gibt es die billigsten Preise, wer fliegt am häufigsten, wie weit ist die Anreise zum Flughafen, wer hat den besten Sitzabstand und Service? Früher gab es mit zwei Kategorien eine ziemlich klare Aufteilung im Luftverkehr: Auf der einen Seite die traditionellen Liniengesellschaften mit einem großen Streckennetz, teureren Tickets und einem umfassenden Umsteige- und Serviceangebot, auf der anderen Seite die Chartergesellschaften mit billigeren Pauschalreiseangeboten für Urlaubsflüge. Das hat sich inzwischen gründlich geändert: Die neu gegründeten „Low Cost Carrier“ oder „No Frills“ mit begrenztem regionalen Streckennetz und fast ohne kostenlose Serviceelemente haben den Wettbewerb im Luftverkehr verschärft.

In allen Testberichten findet sich deshalb der gleiche Hinweis: Wer günstig fliegen will, braucht Zeit – zum Vergleichen der Angebote. Neben deutschen Unternehmen gibt es natürlich noch eine Vielzahl europäischer und internationaler Gesellschaften, die auch deutsche Flughäfen anfliegen. Günstige Flugpreise bieten alle, leider nicht immer auf der gewünschten Strecke oder zu den gewünschten Zeiten.

Entscheidend für eine Fluggesellschaft ist nicht der einzelne Flugpreis, sondern der Durchschnittsertrag pro Flug. Das ist diese berühmte Frage an den Sitznachbarn – wie viel haben Sie eigentlich für den Flug bezahlt? Hier liegen die Durchschnitterträge zwischen 41 und 268 Euro – je nach Fluggesellschaft. Wer ganz billig fliegen will, muss meist früh oder „Last Minute“ buchen. Eine hervorragende Marktübersicht bieten die zahlreichen Webadressen für Tarifvergleiche oder gute Reisebüros. Wichtig ist es, dass die Flugpreise aller wichtigen Fluggesellschaften verglichen werden, egal ob Billigflieger oder traditionelle Liniengesellschaft.

Um sich am Markt zu behaupten, verfolgen die Fluggesellschaften unterschiedliche Strategien. Einige setzen auf ein Angebot mit großem Streckennetz, umfassendem Service und auf Allianzpartner (so genannte Network Carrier), andere bieten minimalen Service und Flüge von meist abgelegenen Flughäfen (No Frills Carrier) und wieder andere sind als kleine Anbieter nur begrenzt tätig (Regional Carrier).

Der Low Cost Bereich macht heute 18 Prozent des Luftverkehrsmarktes in Europa aus, bis 2010 sollen es 24 Prozent werden; 2001 waren es nur sieben Prozent. Zwischen 2004 und 2010 wird in Europa ein Wachstum von 13 Prozent für die Low Cost Carrier erwartet, für die Liniengesellschaften und für den Charterbereich jeweils rund vier Prozent.

Wer fliegt mit den „No Frills“?
Interessant ist die Frage: Woher kommt die Masse der Fluggäste der No Frills-Gesellschaften? Sind sie vorher anders gereist oder konnten neue Käuferschichten für den Luftverkehr erschlossen werden? Die Monitor Group in München hat dieses Thema untersucht: Der Studie zufolge hätten 59 Prozent der heutigen Billigflieger-Kunden eine derartige Flugreise gar nicht absolviert, nur 37 Prozent wechselten innerhalb des Flugmarktes. Mehr als zwei Drittel dieser Neukunden wären ohne Niedrigpreis-Fluglinie überhaupt nicht verreist, 15 Prozent mit dem Auto gefahren und sechs Prozent hätten den Zug benutzt.

Die gleiche Untersuchung befasste sich auch mit der Frage, warum die Tickets der No Frills Carrier so viel billiger sein können. Ihre Kostenstruktur ist mit sechs Eurocent je Sitzplatzkilometer um die Hälfte günstiger als die der klassischen Liniengesellschaften mit zwölf Eurocent. Der Unterschied liegt im Verzicht auf viele gewohnte und bequeme Serviceelemente, „no frills“ eben (zu deutsch: „kein Firlefanz“). Bei diesen Kostenelementen sind sie günstiger: Flugzeugeinsatz/Sitzplatzdichte, Flughafengebühren/Abfertigung Bordverpflegung/ Nebenleistungen, Vertrieb/Reservierungssysteme, Personal/Bodenservice sowie einheitlicher Flugzeugtyp.

Das Beratungsunternehmen McKinsey hat im Juni 2005 eine Studie mit dem Thema „Billigflieger in Europa – eine Boombranche vor dem Wendepunkt“ veröffentlicht. Das Resümee der Studie:

  • Die Wachstumsaussichten für Billigflieger haben sich deutlich abgeschwächt. Die Nachfragestimulation wird zunehmend durch einen Verdrängungswettbewerb ersetzt.
  • Die Angebote der Fluggesellschaften werden immer homogener. Billigflieger, Charter und Linien-Airlines kämpfen um die gleichen preissensitiven Kundengruppen.
  • Das Segment der Billigflieger wird weiter ein Experimentierfeld für neue Konzepte bleiben.
  • Der Markt der Billigflieger wird sich weiter konsolidieren, bis 2010 werden nur zwei bis drei Fluggesellschaften nachhaltig profitabel sein.

Wettbewerbsverzerrungen
Die Diskussion über Subventionen und Wettbewerbsverzerrungen im Luftverkehr hat eine neue Stufe erreicht. Früher waren die staatlichen Subventionen für Fluggesellschaften wie Air France, Iberia oder Alitalia ein wettbewerbsverzerrender Faktor. Inzwischen hat die EU-Kommission dies mit strengen Genehmigungskriterien („one time – last time“) weitgehend unterbunden. Heute liegt das Wettbewerbsproblem mehr auf der Flughafenseite. Hier werden häufig öffentliche Gelder eingesetzt, um nicht nachfragegerechte Ausbauvorhaben zu finanzieren oder Fluggesellschaften mit nicht kostendeckenden Gebühren anzulocken. Gerade in Deutschland ist dies ein Problem, weil es zu viele kleine Flughäfen gibt. Ihr Einzugsgebiet reicht nicht aus, um wirtschaftlich arbeiten zu können, und die Nachbarflughäfen sind zu nah, so dass der entstehende Kannibalisierungseffekt letztlich allen schadet. Die EU-Kommission versucht auch im Bereich Flughäfen Subventionen und Beihilfen einzudämmen. Sie hat einen Richtlinienentwurf veröffentlicht, der 2007 umgesetzt werden soll.

Zwei Punkte sind für die künftige Entwicklung wichtig: Wie gestalten die Regierungen die Rahmenbedingungen, um einen fairen Wettbewerb im Luftfahrtgeschäft zu gewährleisten? Und welche Strategien verfolgen die Unternehmen, um sich im Markt zu behaupten? Im Blick auf die massiven Verluste der Luftfahrtbranche in den letzten fünf Jahren ist ein Umfeld wichtig, das wirtschaftliches Arbeiten ermöglicht und eine gesunde finanzielle Basis schafft. Wettbewerbsverzerrungen durch Subventionen, staatlichen Protektionismus oder durch regionale steuerliche Belastungen sind Gift für eine gesunde Entwicklung. Bislang fehlen zum Beispiel auch Regelungen, die eine Konsolidierung der zersplitterten Branche erlauben. Der Marktaustritt für Fluggesellschaften muss genauso einfach werden wie der Markteintritt. Bislang verhindern dies die Nationalitätsklauseln in den Luftverkehrsabkommen.

Die Kunden werden auch künftig vom Wettbewerb im Luftverkehr profitieren, denn die positive Entwicklung wird weiter anhalten. Wie immer die Strategien der Unternehmen und die politisch gewollten Veränderungen der Rahmenbedingungen in Zukunft aussehen – eines darf sich nicht ändern: der hohe Sicherheitsmaßstab im Luftverkehr, der den Luftverkehr zum sichersten Verkehrsträger gemacht hat.

Externer Kontakt: Michael W. Uhlmann, mwuhlmann@hotmail.com
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2006, Seite 32

 
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