Telefon: +49 911 1335-1335

Industrieversicherungen

Sensoren sorgen vor

Illu_WiM_0418 © Anton Atzenhofer

Das Konzept der vorausschauenden Wartung vermeidet Störungen in der Produktion und verhindert damit Versicherungsschäden.

Über 88 000 Ergebnisse liefert Google, wenn man in der Suchleiste die Begriffe „Umbruch“ und „Versicherungswirtschaft“ kombiniert. Offensichtlich durchlebt die Branche turbulente Zeiten: Niedrigzinsen, Margendruck, Marktkonsolidierung und Digitalisierung verändern die Wettbewerbslandschaft und das Produktportfolio der Versicherer. Der Wandel stellt die Versicherungswirtschaft in Deutschland vor die große Herausforderung, wie sie unter neuen Rahmenbedingungen ihre seit über 300 Jahren gewachsene Rolle ausfüllen kann: Personen, Sachwerte und Existenzen absichern. Mit über 431 Mio. Verträgen spannt die deutsche Versicherungsindustrie ein Netz für private und gewerbliche Kunden.

Gerade für Unternehmen ist der Versicherungsschutz eine Voraussetzung für Innovation und Weiterentwicklung. Industrieversicherer sind darauf spezialisiert, ihre Klienten durch maßgeschneiderte Lösungen beim Risikomanagement zu entlasten. Dazu gehören klassischerweise Haftpflichtversicherungen sowie Versicherungen gegen Feuer- und Wasserschäden; auch gegen Cyber-Attacken, Betriebsstillstand oder Transportschäden können sich Unternehmen absichern.

Neue Geschäftsmodelle

Das Segment Industrieversicherung ist in Bewegung geraten, denn die Digitalisierung verändert Geschäftsmodelle und Prozesse in Unternehmen, Stichwort Industrie 4.0. Diese Umwälzungen auf Kundenseite bringen die Industrieversicherer in Zugzwang. „Die Geschäftsmodelle unserer Kunden ändern sich dramatisch – und wir müssen reagieren“, erklärte Stefan Sigulla, Vorstand des Industrieversicherers HDI Global SE, in einem Interview. Für die Studie „State of Play – Digitalisierung in der deutschen Industrieversicherung“ haben der Industrieversicherungsmakler Marsh und die Strategieberatung Oliver Wyman Branchenakteure befragt. Fast 80 Prozent sagten eine Veränderung des eigenen Geschäftsmodells voraus. „Um schnell genug vollumfängliche Kundenlösungen anbieten zu können, müssen Versicherer offen gegenüber digitalen Innovationen, Ideen und Partnern sein“, so ein Fazit der vor Kurzem veröffentlichten Studie.

Smart Factory

Zu diesen „digitalen Innovationen“ gehört der Wandel zur Smart Factory, der sich derzeit in der Fertigung vollzieht. „Smart“ steht dabei für das Konzept einer Produktionsumgebung, in der sich Fertigungsanlagen und Logistiksysteme weitgehend selbst organisieren. Technische Grundlagen sind dabei cyber-physische Systeme (CPS); sie verknüpfen über eingebettete Software und Elektronik informationstechnische Komponenten mit mechanischen Bauteilen. Über eine Infrastruktur wie das Internet können Austausch und Analyse von Daten in Echtzeit erfolgen. CPS sind eine wesentliche Komponente für das Internet der Dinge (IoT), das wiederum die netzwerktechnische Basis für datengetriebene Ansätze darstellt. In diesem Konzept ist Predictive Maintenance (vorausschauende Wartung) ein wesentlicher Bestandteil der Smart Factory.

Mithilfe von Sensoren lassen sich Daten erfassen, die Einblick in das Innenleben von Maschinen und Anlagen erlauben. Anhand der zeitlichen Entwicklung von Merkmalen wie Temperatur, Vibration oder Geräuschentwicklung prognostizieren die Systeme, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Störung auftreten wird. So lassen sich Art und Zeitpunkt von Wartungs- und Reparaturarbeiten frühzeitig abschätzen – was die Wirtschaftlichkeit für Unternehmen erhöht. „Predictive Maintenance kann die restliche Lebensdauer von Maschinen prognostizieren und ungeplante Stillstände vermeiden“, erklärt Dr. Ronald Künneth, Experte für vernetzte Produktion im Geschäftsbereich Innovation | Umwelt der IHK Nürnberg für Mittelfranken.

Versicherer als Technologiepartner

Die Generierung und Analyse von Produktionsdaten, auf denen das Predictive-Maintenance-Konzept basiert, schaffen für Industrieversicherer neue Möglichkeiten des Produktdesigns: Sogenannte Pre-Claim-/Pre-Loss-Services sollen durch präventive Maßnahmen den Eintritt eines Schadens verhindern oder zumindest sein Ausmaß begrenzen. Dieser vorbeugende Ansatz wird u. a. durch Echtzeitdaten sowie die Analyse und Teilung von Erfahrungswerten ermöglicht. Die Richtung dieser innovativen Geschäftsmodelle deutet auch einen Wandel im Rollenverständnis der Versicherer an – vom Policenverkäufer zum Technologiepartner. Diese Entwicklung bringt neue Chancen: „Risikoberatungs- und Präventionsdienste ergänzen die Kernleistung im reinen Produktgeschäft (...). So können Versicherer sich im Wettbewerb mit einem erweiterten Mehrwertversprechen differenzieren“, so eine Analyse im „Zukunftsszenario Versicherung 2025“ von Oliver Wyman.

Um die Chancen der Digitalisierung beim Design neuer Geschäftsmodelle zu nutzen, gewinnen für Versicherer Kooperationen an Bedeutung. Zum einen geht es um die Erhebung und Analyse von Big Data: Beispielsweise stellt MindSphere, das cloudbasierte, offene IoT-Betriebssystem von Siemens, über offene Schnittstellen Informationen aus dem Internet der Dinge (z. B. Sensordaten von Maschinen) zur Verfügung. Auf Basis dieser Daten wären Industrieversicherer in der Lage, ihre Risikomodelle zu aktualisieren oder völlig neue Produkte zu entwickeln. Zum anderen könnten Versicherer künftig auch gemeinsam mit Technologie-Anbietern im Markt agieren. So haben die Munich Re, die weltweit zu den international führenden Rückversicherern zählt, und der Technologie- und Dienstleistungskonzern Bosch im Februar 2018 einen Kooperationsvertrag unterzeichnet. Ziel der Zusammenarbeit sei die Entwicklung „neuer Lösungspakete für die vernetzte Fertigung“, wie es in einer Presseerklärung heißt. „Zu viele Unternehmen scheuen den Einstieg in die vernetzte Produktion noch, weil sie Sorge vor finanziellen Risiken haben. Dieses Problem gehen wir an. Bosch und Munich Re werden intelligente Lösungen entwickeln, die den Kunden den Einstieg in die vernetzte Fertigung erleichtern“, erklärte Dr. Stefan Hartung, Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH.

Smart Building

Das Thema Digitalisierung ist für die Versicherungswirtschaft auch im Immobiliensektor spannend. Ein Beispiel für künftige Optionen ist das Konzept des „digitalen Zwillings“. Mithilfe einer Building-Information-Modeling (BIM)-Datenbank lassen sich nicht nur die räumliche Lage und die Ausdehnung von Objekten erfassen und darstellen, sondern auch die zugehörigen Messwerte. „Der digitale Zwilling verfügt über Schnittstellen zur Messdatenerfassung des Gebäudes und nutzt als weitere Datenquelle Berechnungsergebnisse von Vorhersagemodellen und Simulationswerkzeugen“, so die Beschreibung des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP. Anhand der Datenbasis eines „digital twins“ könnten Versicherer nachverfolgen, ob Vertragsbestandteile wie Brandschutzauflagen oder regelmäßige Wartungen durchgeführt werden. Außerdem ließen sich die Daten zur Entwicklung neuer Versicherungsprodukte nutzen.

Für Privatkunden, die ihre Häuser mit intelligenten Technologien ausstatten, haben Hausratsversicherer bereits spezielle Leistungspakete geschnürt. Eine Reihe von Versicherern, darunter Axa, Allianz, Ergo, CosmosDirect und die Generali Gruppe, kooperieren mit Anbietern von Smart-Home-Lösungen. Auch hier verschiebt sich der Fokus in den Geschäftsmodellen der Assekuranz von der Schadensregulierung zur Prävention. Vereinfacht gesagt: Schlagen die Sensoren in der Haustechnik Alarm, etwa bei einem drohenden Kurzschluss oder Wasserrohrbruch, wird der Versicherer aktiv und alarmiert die Handwerker.

Autor/in: 

Von Andrea Wiedemann

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 04|2018, Seite 32

 
Device Index

Alle Ansprechpartner/innen auf einen Blick