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IHK Kammergespräch

Was bewegt den Arbeitsmarkt?

BA-Chef Detlef Scheele bei seinem Vortrag.

Detlef Scheele, Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA): Wie stemmt man die Herausforderungen Demografie und Fachkräftesicherung?

Die aktuelle Konjunkturdelle dürfte dem Arbeitsmarkt wenig anhaben: Davon zeigte sich BA-Vorstandschef Detlef Scheele beim 159. IHK Kammergespräch überzeugt. Diese Einschätzung werde auch durch die Wissenschaftler des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gestützt, das bei der BA in Nürnberg angesiedelt ist. Sie gingen davon aus, dass sich die deutsche Volkswirtschaft im zweiten oder dritten Quartal 2020 wieder erholen wird. „Wir sollten die Konjunktur nicht kaputtreden. Auch der Brexit ist nicht das Problem“, so Scheele. Problematisch könnte es allerdings werden, sollte sich der Handelskonflikt zwischen den USA und China verschärfen oder sogar ein Handelskonflikt zwischen den USA und der EU heraufziehen. Sehr erfreulich sei, dass die Zahl der Beschäftigten mit über 45 Mio. einen neuen Höchststand erreicht habe. Eine konjunkturelle Eintrübung dürfte schon deshalb keine allzu großen Auswirkungen haben, weil sich der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren zunehmend von der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts entkoppelt habe. Anders ausgedrückt: Kommt es zu einer Flaute, schlägt sich dies in weitaus geringerem Maße auf die Arbeitslosenzahlen nieder, als dies früher der Fall war. Scheele nannte Gründe für diese Entwicklung: Zwar gebe es derzeit einen deutlichen Rückgang bei den Zeitarbeitsstellen und ein nicht so ausgeprägtes Minus im exportorientierten, verarbeitenden Gewerbe, dem stehe aber ein Stellenzuwachs in konjunkturunabhängigen Bereichen wie Erziehung oder Pflege gegenüber. Grundsätzlich seien die Arbeitgeber deutlich zurückhaltender mit Entlassungen als früher, weil sie fürchten, nach dem Ende einer Flaute keine Fachkräfte mehr zu finden. Bezeichnend sei auch, dass die Zahl der Kurzarbeiter mit derzeit rund 44 000 sehr niedrig sei – in früheren Jahren seien rund 100 000 Kurzarbeiter normal gewesen. Es gebe auch noch keinen größeren Anstieg bei den Anträgen auf Kurzarbeit. Sollte es doch wieder zu einer tieferen Wirtschaftskrise kommen, sieht Scheele die Arbeitsverwaltung gut aufgestellt. Man könne dann auf die Erfahrungen aus der Finanzkrise vor zehn Jahren zurückgreifen, in der man erfolgreich Kurzarbeit und Qualifizierung kombiniert habe.

Digitalisierung

„Die Digitalisierung sehen wir als Chance“, unterstrich der BA-Chef mit Hinblick auf die landläufigen Befürchtungen, die neuen Informationstechnologien würden massiv Arbeitsplätze kosten. Diese zuversichtliche Einschätzung untermauerte er ebenfalls mit Erkenntnissen der IAB-Wissenschaftler, die rund 400 Ausbildungsberufe auf ihre Zukunftssicherheit hin überprüft haben. Das Ergebnis laut Scheele: „Es fällt wahrscheinlich kein einziger dieser Berufe durch die Digitalisierung weg, aber kein Beruf wird unverändert bleiben. Deshalb ist Weiterbildung das A und O.“ Es gebe schon jetzt vielfältige Möglichkeiten, sich für die digitale Welt zu qualifizieren, diese müssten aber noch ausgebaut werden. In diesem Zusammenhang appellierte er an die Arbeitgeber, sich hier noch stärker einzubringen. Denn nur sie könnten aufgrund ihrer Marktkenntnisse wissen, wie sich der Qualifizierungsbedarf entwickelt und welche Angebote die Arbeitsagenturen machen sollten.

Demografie

Als das größte arbeitsmarktpolitische Problem sieht Scheele die Demografie: „Sie ist die größte Bremse der kommenden Jahre.“ Der Mangel an Fachkräften werde noch spürbarer werden, weil die Zahl der Rentner die Zahl der Menschen übersteige, die neu ins Berufsleben starten oder etwa nach einer Familienpause wieder in den Beruf zurückkehren. Es gelte deshalb an erster Stelle, das inländische Potenzial an Menschen voll auszuschöpfen. Damit könne man nicht früh genug anfangen – beispielsweise durch frühkindliche Bildung, Kita-Besuch besonders auch von Migrantenkindern und Sprachförderung. Viel vorgenommen hat sich die Arbeitsverwaltung auch, um Jugendliche besser bei Berufsorientierung und Berufswahl zu unterstützen. „Der Übergang von der Schule in den Beruf ist ein Gesamtkunstwerk“, sagte Scheele mit Blick auf die große Palette der BA-Aktivitäten in diesem Bereich – u. a. deutschlandweit 950 zusätzliche Ausbildungsberater, verstärkte Berufsorientierung für Gymnasiasten, Ansprechen von Studienabbrechern usw.

Konsequentes Handeln und die „fürsorgliche Belagerung von Familien“, die sich nicht ausreichend um ihre Kinder kümmern, seien ebenfalls nötig. Hier sei man vorangekommen, indem man nun EDV-technisch besser mit Jugendämtern und Schulen vernetzt sei. Erfolgversprechend seien auch Modellprojekte in einigen Regionen: Die dortigen Jobcenter seien stärker als Kümmerer in den Haushalten tätig, um beispielsweise Alleinerziehende konkret zu unterstützen (Suche nach einem Kita-Platz für die Kinder, Verhandlungen mit den Arbeitgeber über flexible Arbeitszeiten usw.). In diesen Regionen habe man die Integrationsquote im Vergleich zu anderen Jobcentern teilweise verdoppelt. Auch mit dem „Spätstarter-Programm“, das Menschen zwischen 25 bis 35 Jahren das Nachholen einer Ausbildung ermöglicht, habe man „erstaunliche Erfolge“ erzielt.

Eine „große Baustelle“ ist nach Worten des BA-Chefs das Thema Zuwanderung von Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten. Hier hakt es u. a. oft wegen der zögerlichen Vergabe von Visa durch die deutschen Auslandsvertretungen. Das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz, das zum 1. März 2020 in Kraft tritt und die Bereiche Aufenthaltsrecht und Förderung verschränkt, stelle einen Fortschritt dar, sei aber noch nicht ausreichend, um genügend ausländische Fachkräfte zu gewinnen.

Scheele wandte sich in diesem Zusammenhang an IHK-Präsident Dirk von Vopelius, der die Gäste des IHK Kammergesprächs im Historischen Rathaussaal begrüßt hatte: Deutschlandweit sei die Kooperation mit den IHKs sehr gut. Dies gelte insbesondere auch für die Zusammenarbeit zwischen der BA und der IHK Nürnberg, etwa bei Projekten zur Integration von Flüchtlingen. Vorbildlich sei auch die deutschlandweit tätige Anerkennungsstelle IHK Fosa in Nürnberg, die für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse in den IHK-Berufen zuständig ist.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2019, Seite 22

 
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