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Insolvenzrecht

Wenn das Virus schuld ist

Sparschwein Schlachten Ersparnisse Rücklagen © Christian Horz - GettyImages.de

Zahlungsunfähig wegen der Corona-Krise: Der Gesetzgeber setzt die Pflicht zur Insolvenzanmeldung aus.

Die Coronavirus-Pandemie bringt viele Unternehmen unverschuldet in Liquiditätsschwierigkeiten, die teilweise die Existenz gefährden. Die Bundesregierung befreit nun betroffene Unternehmen bis zum 30. September 2020 von der Pflicht, einen regulären Insolvenzantrag zu stellen. Damit soll sichergestellt werden, dass an sich gesunde Unternehmen nicht allein wegen der Auswirkungen der Corona-Krise in die Insolvenz getrieben werden, etwa weil Aufträge vorübergehend wegbrechen, staatliche Hilfen aber erst verzögert fließen.

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie sind tiefgreifend: Viele kleine und mittlere Betriebe mussten aufgrund der Ausgangsbeschränkungen vorübergehend schließen. Fast immer ist dies mit Umsatzeinbrüchen verbunden, die in der Regel auch durch schnelle Reaktionen (z. B. Umstellung von Gastronomiebetrieben auf Lieferservice) nicht ansatzweise ausgeglichen werden können. Staatliche Hilfen oder Bankkredite zur Beseitigung der Liquiditätsengpässe kommen wegen der langen Bearbeitungsdauer teilweise zu spät. Deshalb sind aktuell viele Gesellschaften überschuldet oder zahlungsunfähig und müssten daher im Normalfall einen Insolvenzantrag stellen. Um massenhafte Insolvenzen zu vermeiden, setzt das Gesetz zur „Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ vom 27. März 2020 deshalb die Insolvenzantragspflicht für betroffene Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen bis zum 30. September 2020 aus.

Wichtig ist: Auf diese Begünstigung können sich nur Unternehmen berufen, deren finanzielle Schieflage tatsächlich durch die Corona-Krise verursacht wurde. Das Gesetz formuliert das in § 1 folgendermaßen:

„Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags [… ] ist bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Dies gilt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus (Covid-19-Pandemie) beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.“

Anders ausgedrückt: Grundsätzlich fallen Betriebe, die zum 31. Dezember 2019 noch nicht zahlungsunfähig waren, unter diese Regelung. Der Gesetzgeber macht aber eine Einschränkung: Ausgenommen von der Ausnahmeregelung sind demnach Unternehmen, bei denen die Covid-19-Pandemie zweifellos nicht die Ursache für die Zahlungsunfähigkeit ist und bei denen die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit nicht gelingen kann. Für Unternehmen, die schon im vergangenen Jahr in der Krise einen Insolvenzantrag hätten stellen müssen und aktuell noch zahlungsunfähig sind, gilt die Pflicht zur Insolvenzantragsstellung weiterhin.

Haftungsrisiken

Die Verletzung der Insolvenzantragspflicht ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen: Die Geschäftsführung eines Unternehmens, das nicht wegen der Corona-Krise in Schieflage geraten ist und den Geschäftsbetrieb dennoch ohne Antragstellung weiterführt, geht hohe Risiken ein. Neben strafrechtlichen Folgen wegen Insolvenzverschleppung droht eine persönliche Haftung für Zahlungen, die trotz der Antragspflicht getätigt werden. So gilt z. B. für die GmbH, dass die Geschäftsführer Zahlungen ersetzen müssen, „die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden“ (§ 64 GmbH-Gesetz). Eine Ausnahme gilt nach dem Gesetz nur für „Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind“. Damit sind Zahlungen gemeint, um das Unternehmen zu sichern (z. B. Begleichung von laufenden Wasser-, Strom- oder Heizkosten).

Unternehmen, deren Antragspflicht Corona-bedingt bis zum 30. September 2020 ausgesetzt ist, sind auch von der persönlichen Haftung vorübergehend befreit. Das ist nur konsequent, denn andernfalls wäre eine Fortführung des Unternehmens trotz ausgesetzter Antragspflicht für die Geschäftsführung weiterhin mit hohen Risiken verbunden.

Was sollten Unternehmen jetzt tun?

Für Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten stellt sich aktuell die Frage, wie mit dem neuen Gesetz umzugehen ist. Sinnvollerweise führt die Geschäftsführung eine dreistufige Prüfung nach folgendem Muster durch:

Insolvenzgründe prüfen: Im ersten Schritt sollte geklärt werden, ob die Gesellschaft aktuell überschuldet oder zahlungsunfähig ist. Eine Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt – es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Diese Fortführungsprognose, die sich auf das laufende und das kommende Geschäftsjahr erstreckt, ist der zentrale Bestandteil der Überschuldungsprüfung. Das Problem in der Praxis: Diese Prognose dürfte derzeit angesichts der Unwägbarkeiten der Corona-Krise kaum sinnvoll durchzuführen sein.

Viel relevanter wird in der Praxis deshalb der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit sein. Sie liegt vor, wenn zu einem bestimmten Stichtag eine Gegenüberstellung aller fälligen Forderungen und aller fälligen Verbindlichkeiten über einen Zeitraum von drei Wochen eine Liquiditätslücke von über zehn Prozent ergibt. In diesem Fall kann nur unter zwei Voraussetzungen davon ausgegangen werden, dass doch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt: Es muss „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ zu erwarten sein, dass diese Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird. Außerdem muss für die Gläubiger ein weiteres Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zumutbar sein.

Prüfung, ob die Aussetzung der Insolvenzanmeldepflicht für das eigene Unternehmen gilt: Wenn mindestens einer der beiden Insolvenzgründe Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit vorliegt, muss geprüft werden, ob das Unternehmen zum 31. Dezember 2019 noch nicht zahlungsunfähig war. Denn nur dann gilt die Vermutung, dass die Corona-Krise die Ursache für die wirtschaftlichen Probleme ist. Und nur dann gilt auch die grundsätzliche Befreiung von der Insolvenzanmeldepflicht.

Lag keine Zahlungsunfähigkeit vor, spricht sehr viel dafür, dass die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages bis zum 30. September 2020 ausgesetzt ist. Lag aber bereits am 31. Dezember 2019 Zahlungsunfähigkeit vor, spricht dagegen sehr viel dafür, dass unverzüglich ein Insolvenzantrag gestellt werden muss. Bei Zweifeln ist dringend zu empfehlen, einen qualifizierten Berater um Rat zu fragen.

Kontinuierliche Prüfung: Die Geschäftsführung darf aber selbst dann nicht untätig bleiben, wenn die Insolvenzantragspflicht für das eigene Unternehmen vorübergehend aufgehoben ist. Sie ist vielmehr verpflichtet, die wirtschaftlichen Verhältnisse kontinuierlich zu prüfen und zu beobachten, wie man einer aktuellen Schieflage optimal begegnen kann. Denn sollte sich die Lage so verschlechtern, dass „unter keinen Umständen mehr eine Aussicht auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit besteht“, ist die Antragspflicht nicht mehr aufgeschoben.

Deshalb der dringende Rat: Die aktuelle Privilegierung, die der Gesetzgeber eingeführt hat, sollte nicht um jeden Preis ausgereizt werden. Dafür sprechen nicht nur die Haftungsrisiken, denen man sich damit aussetzt. Denn statt den Betrieb wie gehabt fortzuführen und sich dabei andauernd am Rande der Antragspflicht zu bewegen, kann ein Insolvenzverfahren langfristig sogar der bessere Weg sein. Erfahrungsgemäß eröffnet es häufig gute Chancen, um zusammen mit dem Insolvenzverwalter und mit den Geschäftspartnern ein tragfähiges Sanierungskonzept zu erarbeiten und das Unternehmen nachhaltig zu sichern.

Autor/in: 

Rechtsanwalt Rainer Schaaf ist Gründungspartner der Kanzlei Theopark in Nürnberg und berät schwerpunktmäßig im Insolvenzrecht und bei Transaktionen (www.theopark.com, rainer.schaaf@theopark.com).

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2020, Seite 20

 
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