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Reformbedarf in Deutschland bleibt groß

von Ludwig Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK)

von Ludwig Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK)

Deutschland zu einem der drei weltweit führenden Wirtschaftsstandorte machen – dieses Ziel unterstützt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zusammen mit den Industrie- und Handelskammern (IHKs) und den Auslandshandelskammern (AHKs). Im „Jahr der Standortpolitik“ der IHK-Organisation wollen wir in Deutschland Veranstaltungen anbieten, um deutlich zu machen, was getan werden muss, um wieder mehr Investitionen nach Deutschland zu bringen und unternehmerisches Engagement in Deutschland zu fördern.
Nach der insgesamt vielversprechenden Steuerreform im Jahre 2000 hatten die Unternehmen gehofft, die Wirtschaftspolitik sei auf dem richtigen Wege. Doch das vergangene Jahr ist ernüchternd: Die Bundesregierung beschloss eine weitere Bürokratisierung des Arbeitsrechts, eine weitere Erhöhung der Ökosteuer, höhere Tabak- und Versicherungssteuern. All dies geschah, obwohl das deutsche Arbeits- und Steuerrecht ohnehin große Nachteile für Deutschland im internationalen Wettbewerb enthält. Die Ankündigung, die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent des Bruttolohns zu senken, blieb bislang ein ungehaltenes Versprechen. Im Bundestagswahljahr muss die Wirtschaft der Politik sagen, wo die größten Versäumnisse liegen. Was geändert werden muss, soll der Standort Deutschland nicht in ein Mittelfeld der Wirtschaftsnationen abrutschen.

Zwischen Standortwerbung
und Standortkritik

Die IHK-Organisation nimmt in der Standortpolitik eine Doppelrolle wahr: Über die Auslandshandelskammern werben wir um Investoren für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Sie bringen willkommenes Kapital, Know-how und nicht zuletzt einen reichen Erfahrungsschatz in unsere Wirtschaft. Die AHKs informieren über die Chancen und Stärken der heimischen Märkte und ermutigen Unternehmen aus aller Welt, bei uns tätig zu werden. Gleichzeitig ist der DIHK kritischer Begleiter der Wirtschaftspolitik. Dazu gehört, auf Schwächen des Standorts Deutschland hinzuweisen, um sie nach dem Dialog mit der Politik zu beseitigen. Wir wissen, dass diese beiden Rollen, die Rolle des Werbenden und die Rolle des Kritikers, bisweilen als widersprüchlich empfunden werden. Sie scheinen nicht zueinander zu passen. Doch gerade in dieser Doppelrolle besteht unsere Aufgabe auch im Jahr der Standortpolitik. Unsere Glaubwürdigkeit bei den Unternehmen und bei den Entscheidern der Politik beruht auf Wissen um unsere Stärken wie auch um unsere Schwächen.
Im internationalen Vergleich steht Deutschland insgesamt noch gut da. Der „Global Competitiveness Report“ setzt Deutschland im Jahr 2001 auf Rang vier der Wirtschaftsstandorte. Das hört sich zunächst ganz gut an, auch wenn es schon nicht mehr unserem Anspruch entspricht, mindestens unter den drei Erstplatzierten zu sein, wie noch ein Jahr zuvor. Beim zukunftsorientierten Wachstumsranking liegt unser Standort aber nur noch auf dem 17. Rang. Offenbar machen wir zu wenig aus unseren Möglichkeiten.

Deutschland bietet Vorzüge
Dabei hat Deutschland internationalen Investoren einiges zu bieten. Der deutsche Binnenmarkt ist mit 82 Mio. Einwohnern der größte in Europa. Durch die zentrale Lage im Herzen Europas kann der gesamte europäische Markt kostengünstig versorgt und beliefert werden. Gerade diese enge Beziehung zu den Reformländern in Mittel- und Osteuropa macht Deutschland zu einem Focus des innereuropäischen Handels. Die Infrastruktur ist zuverlässig. Die hohe Motivation und die Zuverlässigkeit der deutschen Arbeitskräfte tragen dazu bei, dass die Produktivität in Deutschland höher liegt als bei unseren wichtigsten Konkurrenten. In Deutschland hergestellte Produkte genießen international immer noch einen exzellenten Ruf. Die politischen Rahmenbedingungen sind stabil. Gewerkschaften, Arbeitgeber und die Politik gehen auch bei recht unterschiedlichen Auffassungen aufeinander zu und begegnen den meisten Herausforderungen durch die Suche nach einem tragfähigen Konsens.
Trotz mancher politischer Fortschritte gibt es in zahlreichen Politikbereichen nach wie vor einen gewaltigen Reformstau. Das deutsche Bildungssystem ist international ins Mittelmaß abgerutscht. Ich sehe das als größte Herausforderung. Denn bei der Bildung entscheidet sich der Standortwettbewerb der nächsten Jahrzehnte. Was ist zu tun? Die Hochschulen müssen sich ihre Studenten selbst aussuchen können und in Zukunft miteinander im Wettbewerb um die besten Studenten stehen. Dieser Wettbewerb muss für die Hochschulen auch finanzielle Konsequenzen haben. Die Atmosphäre an den Bildungsstätten wirkt sich stark auf die Einstellung der Absolventen aus. Ungefähr die Hälfte der Uni-Absolventen strebt eine Laufbahn im Öffentlichen Dienst an. Das trifft eine Wirtschaftsordnung, die ihre Anstöße aus dem innovativen Unternehmertum bezieht, in ihrem Kern. Mittelmaß und Bürokratisierung schrecken auch ausländische Hochbegabte davor ab, in Deutschland zu studieren. Aber nur mit den besten Köpfen werden wir unsere unabhängige Stellung in der Weltwirtschaft behalten können.
Zur Bildung gehört auch die berufliche Bildung. Das duale System – Ausbildung in Betrieb und Schule – hat sich bewährt. Und dies trotz mannigfacher Versuche, es zu ändern. Viele Länder beneiden uns um diese Form der Ausbildung, weil wir nachweisen können, wie flexibel es sich den Anforderungen aus der Wirtschaft anpasst. Schon jeder achte Jugendliche schließt heute einen Ausbildungsvertrag in ganz neuen Berufen ab, besonders in den IT-Berufen. Entscheidend ist auch, wie wir es schaffen, trotz der negativen demographischen Entwicklung eine ausreichende Zahl fähiger Facharbeitskräfte zu mobilisieren. Dies ist und bleibt eine zentrale Aufgabe, gerade auch in kommenden Zeiten schwacher Geburtenjahrgänge. Ich denke besonders aber auch an die Frauen. Hier haben wir ein beachtliches und zum Teil leider ungenutztes Reservoir an Humanvermögen. Dieses Reservoir gilt es stärker zu nutzen. Dazu gehören flexiblere und bessere Kinderbetreuungsangebote. Bei der Entwicklung von Modellen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist mehr Fantasie gefragt. So sollten wir die guten Erfahrungen mit einem dichten Netz an Kindertagesstätten in den neuen Bundesländern auch für ganz Deutschland nutzen.

Nicht nur auf
die große Politik warten

Zu den zentralen Herausforderungen in Deutschland gehören die Haushaltskonsolidierung und Haushaltssanierung, wobei gleichzeitig die Aufgabe zu lösen bleibt, das im internationalen Vergleich immer noch viel zu hohe Steuerniveau zu senken. Dass die Haushaltskonsolidierung eine Grundvoraussetzung für einen handlungsfähigen Staat ist, steht für mich außer Zweifel. Gleichwohl müssen wir die Struktur der öffentlichen Haushalte so verändern, dass mehr Spielräume für Investitionen in Infrastruktur und Steuersenkungen entstehen. Der Staatsanteil am Bruttoinlandsprodukt mit 48 Prozent ist wesentlich zu hoch und entspricht schon nicht mehr den Kriterien einer sozialen Marktwirtschaft. Erfahrungsgemäß sind die Wirtschaftsstandorte am dynamischsten, wo der Staat den geringsten Teil am Bruttoinlandsprodukt beansprucht.
Aber Unternehmer sollten nicht nur darauf warten, wie die große Politik die Bedingungen für wirtschaftliches Handeln verbessert. Vieles können sie selbst tun und viele Probleme sind vor Ort, ja in den Unternehmen zu lösen. In meinem Unternehmen arbeiten Betriebsrat und Unternehmensführung sehr eng zusammen. Für eine unkomplizierte Lösung in den Unternehmen muss man aufeinander zugehen, gemeinsam überlegen, wie man einen regionalen Standort sichern kann. Mir selbst ist dies für zwei Unternehmen meiner Gruppe in Deutschland gelungen – gemeinsam mit dem Betriebsrat. Dies ist die Schaffung von Rahmenbedingungen, die wir selbst in der Hand haben. Alle Unternehmen sollten diese Möglichkeiten vor Ort noch stärker als bislang nutzen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein erfolgreiches Jahr der Standortpolitik 2002.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2002, Seite 14

 
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