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Wie bestehe ich vor dem Publikum?

Der Zirndorfer Management-Berater Marc Minor hat für „WiM“ Beispiele aus seiner Praxis ausgesucht, die die Funktionsweise des Coachings beleuchten. In einer kleinen Serie gibt „WiM“ anonymisierte Gesprächsprotokolle wider, aus denen sich Lösungen für Konflikte des betrieblichen Alltags ableiten lassen.
In diesem Beitrag geht es um das Thema „Souverän und sicher präsentieren bzw. vortragen“. Dies ist eine wichtige Kompetenz für viele Führungskräfte - und doch kein Kinderspiel. Mit Lampenfieber beginnt für viele der Vortrag schon lange vor dem Vortrag. Dahinter steckt auch die Frage: Wie gehe ich mit eigenen Ängsten und Selbstzweifeln um?

Problemstellung des Einzelcoaching: „Ich mache mir fast in die Hosen vor Präsentationen und Vorträgen.“

Der konkrete Fall:
Eine Führungskraft (35) ist als bester Fachmann zum Bereichsleiter (BL) in einem mittelständischen Unternehmen geworden. Für das Coaching besteht ein schriftlicher Zielkontrakt mit Geschäftsführung/Personalleitung und dem Bereichsleiter. Im Wesentlichen geht es um die Professionalisierung und Unterstützung in seiner Führungsrolle. Dauer des Prozesses: sechs Monate. Ein Ziel des Coachings: Der Bereichsleiter soll vom Coach bei der Durchführung von Vorträgen und Präsentationen unterstützt werden, die einen wichtigen Teil seiner berufliche Rolle ausmachen. n

Der Fall im Gesprächsprotokoll:
Bereichsleiter (BL): Ich bin nicht sicher, ob es das normale Lampenfieber ist, das ja wahrscheinlich jeder kennt, der einen Vortrag hält. Es ist wirklich Angst...
Coach: Versuchen Sie einmal, die Angst zu beschreiben. Was läuft da in Ihnen ab?
Nun ja, ich kann Ihnen mal die körperlichen Symptome nennen. Es geht schon damit los, dass ich schlecht schlafe, wenn ich am nächsten Tag eine wichtige Präsentation halten muss. Ständig gehen mir Gedanken durch den Kopf, ob ich alles Nötige bereitgelegt habe, ob inhaltlich alles in Ordnung ist, ob ich wirklich gut bin. Dann werde ich nachts immer wieder wach...
Dazu kommt noch, dass ich überall Druck spüre, eigentlich am ganzen Körper. Ich empfinde es so, wie wenn ich regelrecht umklammert werden würde. Wenn ich anfange zu sprechen, spüre ich das noch ganz stark und nach einer Weile legt es sich. Wenn dann aber Nachfragen kommen, vielleicht sogar noch kritische, dann ist dieser Druck, dieser „eiserne Gürtel“ sofort wieder da und bleibt auch während des gesamten Vortrags.
Haben Sie eine Idee, wovor Sie Angst haben?
Ja, ich denke, es ist schon schlichtweg Versagensangst. Nicht gut genug zu sein...
Und verstandesmäßig wissen Sie, dass diese Selbstzweifel gar nicht nötig sind.
BL nickt.
Der Kopf sagt, klar ich hab‘s drauf und vermutlich legen Sie sich das selbst auch immer wieder zurecht - und doch funktioniert es nicht.
Keine Chance. Ich versuche das immer wieder, aber es klappt nicht.
Ich sehe hier zwei unterschiedliche Ebenen: Auf der intellektuellen Ebene haben Sie Klarheit über Ihre Kompetenz und auf der emotionalen Ebene liegen die Selbstzweifel. Das Problem dabei ist, dass Sie mit dem Intellekt nicht Ihre Gefühle dazu erreichen.
Stimmt. Genau so ist es.
Dann wird unsere Herausforderung darin liegen, diese beiden Ebenen sinnstiftend miteinander zu verbinden. Im ersten Schritt möchte ich Ihre rationale Seite ansprechen mit der Frage, ob diese Angst auch eine - vielleicht gut getarnte - positive Funktion hat?
Und im zweiten Schritt möchte ich Ihre emotionale, kritische Seite mit einer „Bilderarbeit“ ansprechen. Das kann Ihnen unmittelbar vor oder während einer Präsentation hilfreich sein. Einverstanden?
Sehr gerne.

Lösungsebene 1:
Positive Funktionen der Angst

Gut. Dann sammeln wir mal hier gemeinsam, was denn möglicherweise die positiven Funktionen Ihrer Angst und Ihres Druckgefühls sein könnten. Das Ergebnis halten wir schriftlich - zum Mitnehmen für Sie - auf dem Flipchart fest.
Also, ich weiß ja nicht, wozu die Angst gut sein soll?... (Pause, er lächelt) Na ja, es ist schon ein echt guter Adrenalinstoß.
Und was bewirkt der?
Der sorgt auf jeden Fall schon einmal dafür, dass ich mich wirklich anstrenge, etwas Gutes zu leisten. Ich nehme es dadurch nicht auf die leichte Schulter.
Eine Funktion der Angst ist also die „positive Aktivierung“. Vielleicht fällt Ihnen noch etwas ein. Welche Vorteile hat es für Sie und Ihre Firma, dass Sie in der Lage sind, dieses Gefühl zu erzeugen?
Es hat den Vorteil, dass ich meine Sache perfekt machen will.
Genau. Da „Perfektion“ mit einem hohen Leistungsanspruch verbunden ist, der Sie möglicherweise weiter unter Druck setzt, mildern wir das sehr anspruchsvolle Perfektsein zu...
...zu einer professionellen Vorbereitung! (denkt eine Weile nach)...Ja, ich nehme die Sache ernst. Ich kümmere mich damit um meine Kunden, weil ich ja auch die Angst habe, durch eine schlechte Leistung den Kunden zu verlieren.
Wandeln Sie das mal ins Positive.
Ich denke, das ist konsequente Kundenorientierung.
Genau. Spürt Ihr Kunde, dass Sie ihn ernst nehmen?
Absolut. Da bin ich mir ganz sicher.
Ich denke auch. Der Kontrast zu Ihnen wäre so eine „Ist-mir-doch-egal“-Haltung, nach dem Motto: Komme ich heut‘ nicht, komme ich morgen.
Ja, das stimmt. Ich würde zum Beispiel nie mehr versprechen, als ich auch halten kann. Mir ist Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit schon sehr wichtig. Auch intern mit meinen Mitarbeitern. Ich nehme die auch sehr ernst und kümmere mich um sie. Wenn ich das jetzt nicht Angst nennen würde, sondern einfach eine große Sensibilität, dann wäre das auch sehr positiv.
Und bei Präsentationen nehmen Sie die Sache so wichtig, dass Sie schon am Vorabend anfangen, sich um Ihren Kunden zu kümmern.
BL lacht.
Angenommen, Sie würden das in der Beurteilung eines Mitarbeiters lesen: Wie fänden Sie das?
...ich fände das richtig gut...
Was ist gerade bei Ihnen?
Ich merke, dass ich zu meiner Schwäche, die ich richtig an mir verachtet habe, ein anderes Gefühl kriege. Ja, ich hab eigentlich immer nur das Negative, Unangenehme, Schlechte gesehen. Und jetzt kommt auf einmal ein Stolzgefühl auf, im Sinne, dass diese Angst oder Sensibilität sogar nützlich ist...
Können Sie das noch etwas näher beschreiben, was zu diesem Stolz geführt hat, was nun hinzugekommen ist?
Ja, ich denke, dass ich die Angst - oder zumindest Teilaspekte dieser Angst - zu schätzen lerne. Wenn die Angst wiederkommt, und sie wird sicher wieder auftreten, dann gelingt es mir vielleicht, das auch als einen Teil von mir zu akzeptieren, der mich schließlich so weit gebracht hat. Die positive Wirkung davon zu sehen. Anstatt immer mehr Angst vor der Angst zu kriegen.
Sie sind sehr sensibel, innere Abläufe und Erkenntnisse genau und präzise wahrzunehmen. Sie nehmen Ihre eigenen Gefühle gut und klar wahr und das können wir hier gut nutzen. Ich möchte dieses Gefühl von Ihnen noch weiter verdichten. Was wäre denn eine gute Möglichkeit, wie Sie bei der nächsten Präsentation bereits am Abend vorher mit Ihren „Einschlaf-Herausforderungen“ umgehen können?
Im Prinzip ist es ja klar: Wenn ich merke, dass die Angst kommt und das merke ich ganz gut, könnte ich vielleicht sagen: „Hallo Partner, da meldest du dich ja wieder...“ (lächelt) - mein kleiner „Erfolgspartner“ meldet sich bei mir.
Genau, das Wegdrücken und Ausblenden funktioniert nicht und mit dieser Haltung erkennen Sie auch Ihre unangenehmen Gefühle als wichtigen Teil von Ihnen an. Und damit bin ich sehr zuversichtlich, weil in dem Moment automatisch schon ein anderes Gefühl eintritt. Oder anders formuliert: Wenn es einen Teufelskreis gibt, muss es auch als Gegenteil einen „Engelskreis“ oder eine Erfolgsspirale geben. Und die lösen Sie damit aus. Nebenbei: Schön, dass Sie vom „kleinen“ Partner sprechen. Ein Hinweis dafür, dass die Angst kleiner wird und auch, dass diese Angst nur ein Teil Ihres Erfolges ist.
Ja, ich bin bis heute immer davon ausgegangen, wenn ich diese Angst nicht hätte, dann wäre alles besser! So im Sinne, dann wäre es ja phantastisch. Ich würde Vorträge halten, alle würden begeistert sein. Fast kindisch: ich wäre einer, der permanent in der Zeitung steht, den alle Welt kennt. Ich hatte immer das Gefühl, wenn ich das mit der Angst nicht bald ablege, dann schaffe ich es nie.
Und jetzt?
Na klar, jetzt weiß ich, es ist einer meiner Erfolgsfaktoren – und kein Hindernis.

Lösungsebene 2:
Arbeit mit inneren Bildern

Als Unterstützung für Ihre alltäglichen Situationen würde ich gerne noch die „Bilderarbeit“ machen, die Ihre intellektuelle Erkenntnis auf der emotionalen Ebene verdichtet.
Was heißt nun „Bilderarbeit“? Sie kennen dieses Phänomen wahrscheinlich schon vom Sport. Wenn Sie zum Beispiel einen Bobfahrer vor dem Start beobachten, werden Sie feststellen, dass er die Augen geschlossen hat und im Geiste, vor seinem inneren Auge, noch einmal die gesamte Strecke abfährt. Im Sport nennt man das mentale Vorbereitung, mit dem „inneren Erfolg“ – ich sehe mich bereits erfolgreich in dieser Situation – versucht man den äußeren Erfolg zu erreichen. Das ist auch eine „Arbeit mit Bildern“. So ähnlich möchte ich auch Ihren „inneren Erfolg“ visualisieren.
Gelingt es Ihnen, Ihr bisheriges Angstgefühl in irgendeiner Form zu visualisieren? Als Bild oder Figur vor sich zu sehen?
Nein, eine Figur sehe ich nicht. Mir kommt eher ein konkretes Bild in den Sinn. Es ist so eine Vortragssituation - dunkles Auditorium – da sitzen vielleicht 50 Personen. Das klingt blöd, aber ich sehe die alle mit so einer Halloween-Maske dasitzen und lachen, was aber eher wie ein Auslachen wirkt. Ich fühle mich dann ganz klein, unsicher und bedroht.
Gut. Schauen wir mal, ob wir zu dem Bild und den Gefühlen, die Sie da haben, auch Ergänzungsbilder finden können. Wir können ja auch selbst Regisseur unserer eigenen Bilder sein. Vielleicht schließen Sie mal kurz die Augen, dann finden Sie leichter Zugang zu Ihren inneren Bildern.
Stellen Sie sich mal einen Vortragsraum vor, so wie er für Sie freundlich ist - vielleicht mit hellen, warmen Farben - oder ganz so, wie es für Sie angenehm wäre... und stellen Sie sich nun vor, dass Sie als Regisseur ganz weit hinten in diesem Saal sitzen und sich von dort das Szenario anschauen... Und nun sehen Sie sich selbst vorne als Redner, wie Sie gelassen, gesammelt, nach vorne gehen, Sie schauen in klare, freundliche Gesichter mit freundlichen Augen, die Ihnen wohlwollend zunicken... Sie entwickeln selbst ein Gefühl von Freude, dass Sie da sind und vielleicht den einen oder anderen Gedanken für das Publikum haben, der gut und plausibel ist.
Und je konkreter Sie Gesichter, wahrhafte Menschen mit einem Lächeln sehen, desto leichter wird die Atmosphäre in dem Raum. Und vielleicht sehen Sie auch den Regisseur, wie er mit Zuversicht und einem Wohlwollen auf Sie schaut... Sie gehen nach vorne vielleicht kennen Sie das eine oder andere Gesicht, Sie spüren auch das Wohlwollen, das jedem Redner entgegengebracht wird.
Und dann sind Sie wieder der Regisseur, der sich das von außen anschaut, wie jemand vorne ganz langsam losspricht und durch das Sprechen auch ein Gefühl von Ruhe und Aufmerksamkeit im Raum entsteht. Und der Regisseur schaut sich an, wie das Publikum und der Redner in einem Dialog sind, der so wirkt, wie bei einem ganz normalen Gespräch unter Fachleuten... Und Sie spüren, dass ein leiser Stolz in Ihnen entsteht. Dann bedanken Sie sich dafür, dass man Ihnen Vertrauen und Zeit geschenkt hat und gehen ganz langsam wieder aus dem Raum raus... Natürlich kommen Sie an Ihrem Regisseur vorbei, Sie spüren, wie der Regisseur Ihnen auf die Schulter klopft und sagt, gut gemacht. Und so verlassen Sie zufrieden den Raum und sind genauso gesammelt wie vorher...
Ja, jetzt war ich ganz tief drin und denke, so ist es einfach eine gute Programmierung.

Erklärungen zu Lösungsebene 1:
Im Coaching geht es gar nicht darum, als kluger Ratgeber revolutionäre Ideen zu äußern, sondern zur bisherigen Sichtweise einen neuen Blickwinkel, eine neue Perspektive hinzuzufügen.
Da „Angst“ immer eine Funktion hat, ging es hier darum, zur bisherigen, ausschließlich negativen Betrachtungsweise, den Blick auf die „Funktion“ der Angst zu lenken: Wozu verhilft mir die Angst? Welchen „Nutzen“ hat die Angst auch für mich? Diese neue Perspektive ermöglicht dem Klienten einen anderen Zugang zu seinem Anliegen.
Den daraus resultierenden Effekt kennt sicherlich fast jeder: Ein neuer, plausibler Gedanke kann die persönliche Einstellung und das Verhalten entscheidend verändern - ohne, dass sich die Sache selbst verändert.
In diesem Fall: Durch das Anerkennen und sogar Wertschätzen dessen, was als Manko und Problem angesehen wurde, hat sich das Problem in Luft aufgelöst, wie der Klient auch in der Praxis nach seinen nächsten Vorträgen bestätigte.

Erklärungen zu Lösungsebene 2:
Gerade bei Angst und Unsicherheit erzeugen Menschen innerhalb kürzester Zeit - in Zehntelsekunden – Negativbilder. Dieser Vorgang geschieht auch nicht bewusst. In der Folge sieht man im Auditorium nur gesichtslose Menschen oder wie in diesem Fall Halloween-Masken vor sich. Dies wirkt natürlich bedrohlich. Selbst, wenn die Bilder wieder verschwinden - das ungute Gefühl bleibt.
Die geführte Phantasiereise soll den Klienten - als Kontrast zu seinen Gewohnheitsbildern - vor Augen führen, wie die konkrete Situation auch ganz anders ablaufen kann. Je konkreter und klarer er diese Bilder imaginieren und auch fühlen kann, desto größer die Aussicht auf Umsetzung und Erfolg.

Wie ging es weiter?
Im Rahmen des Coaching wurden ganz pragmatisch zwei anstehende Vorträge vorbereitet. Zudem gab es eine Live-Begleitung. Dazu aufgenommene Tonbänder wurden unter den Blickwinkeln bearbeitet: Wie kommt die Botschaft „rüber“? Wie bringe ich nicht nur Inhalte, sondern gewinne auch die Zuhörer? Was ist der Nutzen für die Zuhörer? Wie übersichtlich, bildhaft und logisch sind meine Gedankengänge dargestellt? Marc Minor
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2002, Seite 20

 
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