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Flaneur in der Pflicht

Als Wirtschaftssenator von Berlin muss PDS-Mann Gregor Gysi das erste Mal beweisen, dass er mehr kann als gut reden. Nicht unwahrscheinlich, dass er bei diesem Versuch scheitert – und damit entzaubert wird.

Manchmal kann es sehr beruhigend sein, dass die Großen, Bedeutsamen, Klugen und Kundigen einen ziemlichen Unsinn erzählen, der sich nicht wesentlich von den kurzen Gedanken unterscheidet, die unsereins bisher den großen Aufstieg verwehrt haben. Sprach also Hilmar Kopper als einer von vielen in den letzten Tagen zu dem Umstand, dass spektakulärerweise PDS-Mann Gregor Gysi in Berlin Wirtschaftssenator geworden ist. Der Aufsichtsratchef der Deutschen Bank, der sich schon mit anderen Äußerungen ins ewige Bewusstsein des Landes gebrannt hat, kam zu der Einschätzung, dass Gregor Gysi und die PDS ganz allgemein für die Bundeshauptstadt Berlin kein Problem darstelle. Jedenfalls, was die Investitionslust ausländischer
Unternehmen anlangt. „Berlin“, so ließ uns Kopper an seinen luziden Gedanken in offizieller Eigenschaft als Beauftragter für Auslandsinvestitionen in Deutschland teilhaben, „Berlin ist nur ein kleines Bundesland, das für ausländische Investoren nicht im Mittelpunkt steht.“
Das nun ist die mit Abstand skurrilste Analyse auf diesem Feld. Die Berliner, die für ihre Kodderschnauze nicht ohne Grund berühmt sind, werden sie sich ins einfache Deutsch zu übersetzen wissen. Und da heißt das: In Berlin ist eh nichts zu holen, da kann man eigentlich hinsetzen, wen man will. Und: Wo nichts ist, da kann auch keiner Schaden anrichten.
Tatsächlich ist die pikante Personalie Gysi etwas vielschichtiger zu betrachten, als es der Fachmann hier vorgenommen hat. Zunächst einmal wird sich erweisen, dass Gregor Gysi keine Kontaktprobleme in der ihm neuen Welt der Wirtschaft haben wird. Die Herrn (und Damen) dort sind nicht minder eitel als jene in der Politik, und so werden sie sich im Glanze des bekannten Talk-Show-Gastes und brillanten Redners sonnen, und sei es auch ein schillernd Licht, das er wirft. Empfänge wiederum dürften Gregor Gysi seinem Wesen nach keine allzu großen Probleme bereiten. Als Klimatisator also dürfte er sich ganz prächtig machen.
Etwas trister sieht es bei der Sacharbeit aus. Aus glaubhaften Quellen verlautete, dass Herr Gysi im Lauf der Koalitionsverhandlungen erst lernte, was sich hinter dem Begriff „KW“ verbirgt, wenn dieses Kürzel in einem Personalplan auftaucht. Man tritt dem wortwendigen Juristen auch nicht zu nahe, wenn man unterstellt, dass in seinen bisherigen politischen Tätigkeiten die akribische Sacharbeit seine Sache nicht war, vielleicht, weil sie dem großen Wort auch nur im Weg gestanden wäre. Pointiert formuliert muss Gregor Gysi jetzt nachweisen, dass er nicht nur ein politischer Flaneur zwischen den Talkshows ist, in denen er außer Zweifel zu brillieren weiß. Er muss zeigen, dass er exekutiv Politik zu machen imstande ist. Das, so stöhnen auch diejenigen, die in Berlin 1998 die ganz große Regierung übernommen haben, ist eine durchaus prägende Erfahrung nach langen Jahren der Opposition.
Jeder muss im Übrigen die Chance bekommen, sich zu beweisen, auch in Positionen, in denen man ihn nicht unmittelbar erwartet hätte. Allerdings hat Gregor Gysi schon in den ersten Tagen seiner Amtszeit Anlass dafür geboten, dass er noch nicht begriffen hat, dass die wunderbare Zeit des grundsätzlichen Dagegenseins vorbei ist. Nachdem die rot-rote Berliner Regierung beschlossen hatte, auch Krankenhäuser nicht von dem harten Sparkurs auszunehmen, erklärte sich Gysi erst einmal solidarisch mit der Klinik-Belegschaft. Ein menschlich anrührender Akt, politisch aber hoch heuchlerisch und bigott. Er muss sich auch im Klaren darüber sein, dass sein Verhalten oder Fehlverhalten mindestens so penibel verfolgt wird wie jenes des Regierenden Bürgermeister, der besser auch keinen Champagner aus einem Damenschuh geschlürft hätte. Eine Fondsanlage bei einer Bank, die mit der Berliner Bankgesellschaft zusammenhängt, macht ihm jetzt schon zu schaffen. Als „Maulheld der Arbeit“ begrüßte ihn dieser Tage die Zeitung mit den großen Buchstaben auf Seite 1 unter der Rubrik „Verlierer des Tages“. Demnach hätte Gysi seinen ersten Termin als Wirtschaftssenator beim Neujahrsempfang von Siemens ausfallen lassen (16 300 Jobs, stand vorwurfsvoll in Klammern), um statt dessen bei Alfred Bioleks Talk in Köln zu sein.
Autor/in: Christoph Schwennicke,Christoph Schwennicke (35) ist leitender Redakteur im Parlamentsbüro der Süddeutschen Zeitung in Berlin
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2002, Seite 26

 
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