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Moderne Nomaden

Wie wird es aussehen, das Büro des neuen Jahrhunderts, das „Office 21“? Dieser Frage widmet sich ein Projekt des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart seit zehn Jahren.

Wie moderne Büroarbeit aussehen kann, demonstrieren die Projektpartner im Stuttgarter „Office Innovation Center“ am praktischen Beispiel. Gleich am Eingang fällt die offene Bauweise auf, dort wird ein breiter Flur mit kleinen Tischen und Kaffee-Bar zum Ort der Begegnung und Kommunikation. Die Büros sind nur mit Glaswänden abgetrennt, jeder Mitarbeiter soll sich als Teil des Teams fühlen können. Nach einer Umfrage der DEGI Research ist bei Büroimmobilien der Anteil an „kommunikationswirksamen Flächen“ innerhalb von nur fünf Jahren um mehr als ein Drittel gestiegen. Dazu zählen nicht nur Konferenz- und Besprechungsräume, sondern auch Gemeinschafts- und Verkehrsflächen.

Ungewöhnlicher noch als die Innenarchitektur ist allerdings die Arbeitsweise der Fraunhofer-Crew: Im Office Innovation Center hat niemand einen festen Arbeitsplatz. Jeder wählt den Schreibtisch, der ihm für seine jeweilige Aufgabe am zweckmäßigsten erscheint. Da gibt es zum Beispiel die „Denkerzelle“, einen kleinen Raum mit spartanischer Ausstattung, oder klassische Zellenbüros, in denen sich zwei Kollegen gegenübersitzen. Ein Teambüro, mehrere Projekträume und verschiedene Besprechungsräume stehen zur Wahl.

Nach Erkenntnissen der Fraunhofer-Forscher fördert das Pendeln zwischen den Arbeitsplätzen die Kommunikation und Effektivität der Arbeit, erfordert allerdings auch ein Höchstmaß an „Digitalität“ der Arbeit. Das heißt, ein gutes elektronisches Prozess- und Dokumentenmanagement sowie eine perfekte Infrastruktur für das mobile Arbeiten sind unverzichtbar.

Viele Unternehmen in Deutschland stehen unter Kostendruck, den dieses so genannte „Sharing Office“ abfangen soll. In manchen Branchen sind ständig bis zu 40 Prozent der Mitarbeiter auf Dienstreise, krank oder im Urlaub, auf Weiterbildungsseminaren oder bei Besprechungen, so dass viele Büros leer stehen. Die braucht man theoretisch nicht mehr, wenn die Mitarbeiter ohnehin von einem Schreibtisch zum anderen pendeln.

Eine aktuelle Studie aus dem Verbundforschungsprojekt „Office 21“ zeigt zudem, dass viele Besprechungsräume den heutigen Anforderungen nicht mehr genügen und dass moderne Technologien und Medien bislang kaum genutzt werden. Dabei verbringt der durchschnittliche Wissensmitarbeiter etwa ein Fünftel seiner Arbeitszeit in Besprechungen, Führungskräfte sogar bis zu 60 Prozent. Zwar nehmen an rund zwei Drittel aller Besprechungen höchsten vier Personen teil, aber 80 Prozent der Besprechungsräume haben eine Kapazität von fünf und mehr Personen, sind also zu groß. Das Fraunhofer-Konzept sieht deshalb vor, die zu großen altmodischen Räume durch kleinere, hochmoderne zu ersetzen.

Praktische Beispiele
Wie das Büro des Jahres 2010 aussehen kann, probieren einige Unternehmen wie B. Braun Melsungen oder Siemens bereits seit Jahren. Nach dem Motto „Your office is where you are“, arbeiten die Mitarbeiter der Verwaltungsorganisation der B. Braun Melsungen AG seit August 2001 in so genannten non-territorialen Arbeitsbereichen. Nach Angaben des Unternehmens, dessen Vorstandsvorsitzender DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun ist, gibt es verschiedene Arbeitsbereiche für Kommunikation und Information, außerdem „Cockpits“ für konzentriertes Arbeiten, Projektarbeitsplätze und Besprechungsräume sowie Lounges, Team-, Service- und Technikräume. Auch der Cafeteria als dominanten Punkt auf jeder Etage kommt eine wichtige Funktion zu. Das wesentliche Kriterium im Konzept ist, dass persönliche Arbeitsplätze überflüssig werden und damit entfallen. Jeder Mitarbeiter hat den Freiraum zu entscheiden, an welchem Arbeitsplatz er am besten arbeiten kann.

Auch in der Münchener Siemens-Zweigniederlassung sorgt ein innovatives Bürokonzept für schlankere Arbeitsabläufe und reduzierte Mietkosten. Zum einen mit Hilfe von Desk-Sharing (also Schreibtischen, die von verschiedenen Mitarbeitern genutzt werden) und einem webbasierten Buchungssystem zur Reservierung von Büroressourcen, zum anderen durch den Einsatz von „Communication over IP“ als neuer integrierter Kommunikationstechnologie. Mit diesem flexiblen Büro lassen sich nach Unternehmensangaben allein an diesem Standort jährlich 1,1 Mio. Euro an Kosten sparen.

Von den insgesamt 340 Mitarbeitern des Siemens-Bereichs ICN gelten 200 als mobile Mitarbeiter, denen 110 feste Schreibtische zur Verfügung stehen. Kaufleute, Entwickler, Teamassistenten und Sekretärinnen – also alle Mitarbeiter, deren ganztägiger Arbeitsmittelpunkt das Büro ist, haben nach wie vor ihren fest zugeordneten „stationären“ Arbeitsplatz.

Wenn „mobile“ Mitarbeiter im Büro arbeiten wollen, reservieren sie sich vorher über eine webbasierte Software einen Arbeitsplatz. Auch von unterwegs oder von zuhause ist per Notebook die Einwahl ins Firmennetz und die Nutzung des Reservierungsprogramms möglich. Auf dem Bildschirm des Mitarbeiters erscheint dann sofort ein Grundriss des Büros, in dem die Lage der einzelnen Schreibtische eingezeichnet ist. Wenn die „Desk-Sharer“ ins Büro kommen, führt der erste Weg in der Regel zur so genannten „Caddy-Garage“. Dort steht ein Rollcontainer, in dem ihre häufig benötigten Arbeitsunterlagen untergebracht sind. Zusammen mit dem persönlichen Notebook zählt dieser Caddy zu den wesentlichen Elementen der Arbeitsplatzausstattung. Die Räumlichkeiten sind so aufgeteilt, dass jede Abteilung einen „Heimathafen“ hat. In dieser „Home Base“ sind die Arbeitsplätze der stationären Mitarbeiter – zum Beispiel Kaufleute, Produktspezialisten, Vorgesetzte und Teamassistenten – untergebracht. Die Desk-Sharer gruppieren sich um diese Plätze herum. So bleiben bestehende Teamstrukturen erhalten. Dem befürchteten Verlust an sozialen Beziehungen – ein häufiges Argument gegen flexible Büroorganisationen – werde dadurch erfolgreich entgegengewirkt.

Eine so genannte „Flexible Office Managerin“ steht als Ansprechpartnerin in allen Fragen der Büroorganisation zur Verfügung. Darüber hinaus hat sie auch die Aufgabe, für die Einhaltung der Regularien zu sorgen, ohne die ein solches Konzept nicht funktioniert. So überprüft sie beispielsweise stichprobenartig, ob die reservierten Schreibtische auch tatsächlich von den angemeldeten Mitarbeitern belegt sind.

Vorbehalte bei Mitarbeitern
In Deutschland fällt es nach Einschätzung der Organisationsforscher des Fraunhofer-Instituts „vielleicht schwerer als anderswo, die Vorzüge dieses Konzepts ins rechte Licht zu rücken“. Bis heute drücke sich in deutschen Unternehmen die altväterlich geprägte Unternehmenskultur in einer Raumverteilung aus, die in der Regel von oben nach unten organisiert ist: Das Beste und Größte für den Chef und seine Managerriege, das Durchschnittliche für den Rest des Unternehmens. „Die verschwenderische Chefetage, das Furcht einflößende Vorstandszimmer – alles räumliche Mittel der Macht: Sie sollen imponieren, repräsentieren“, meint die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“.

Diese Büromentalität fördert den Flächenkonsum, deutsche Arbeitnehmer verfügen nach einer aktuellen Untersuchung des Immobilienberatungsunternehmens Cushman & Wakefield europaweit über den meisten Platz im Büro. Im Schnitt 30 Quadratmeter Mietfläche gönnen sie sich, darin sind allerdings anteilig die Gemeinschaftsflächen wie Konferenzräume, Kaffeeküchen und Empfangsräume enthalten. Damit übertreffen deutsche Büro-Arbeiter den europäischen Durchschnittsverbrauch, der bei 14 Quadratmetern liegt, erheblich. Die Verteilung nach Branchen bei der Untersuchung zeigt, dass europäische Rechtsanwälte mit ihren Mitarbeitern am großzügigsten umgehen, ähnlich spendabel zeigten sich Banken und IT-Unternehmen.

Mit neuen Konzepten kann also erheblich gespart werden, meinen Experten, und nach Auffassung der Fraunhofer-Forscher „verhilft eine sinnvolle Bürogestaltung zu einer schlanken Verwaltung und letztlich dazu, Arbeitsplätze in Deutschland zu halten“. Allerdings haben die Wissenschaftler Vorbehalte bei den Beschäftigten ausgemacht: „Die Kuschelatmosphäre mit Kinderfotos und anderem persönlichem Inventar kann das flexible Büro nicht bieten.“ Doch nach ihren Erfahrungen fühlen sich die Mitarbeiter schon nach kurzer Eingewöhnung wohl. Gerade große Unternehmen werden deshalb zunehmend auf Flexibilität bei der Büroarbeit setzen.

Autor/in: 
hpw.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 11|2006, Seite 44

 
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