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Wirtschaftspolitik

Was lehrt uns die Krise?

Die Soziale Marktwirtschaft „Made in Germany“ gilt international zu Recht als Erfolgsmodell. Daran ändert die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise nichts. Von Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie

Der Zusammenbruch der amerikanischen Bank Lehman-Brothers hat das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der weltweiten Finanzmärkte schwer erschüttert. In der Folge rutschte die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession. Das hat Debatten darüber ausgelöst, ob die Marktwirtschaft als System selbst entscheidend zur krisenhaften Entwicklung beigetragen hat und wenn ja, welche Alternative an ihre Stelle treten könnte.

Schon die Fragestellung ist in meinen Augen falsch. Nicht die Soziale Marktwirtschaft hat die Krise ausgelöst. Vielmehr glaubten manche Akteure, grundlegende Prinzipien der Marktwirtschaft außer Kraft setzen zu können. Dies erwies sich als fataler Trugschluss. So hat zum Beispiel die übermäßig expansive Geldpolitik in den USA das Gespür für Risiken getrübt. Hinzu kamen Fehlanreize für die Immobilienfinanzierung, die – teilweise politisch motiviert – eine übermäßige Vergabe von Krediten an amerikanische Haushalte mit geringer Bonität begünstigten. Die Finanzmarktregulierung hat weltweit zu wenig Gewicht auf Markttransparenz sowie auf die Haftung für die Konsequenzen eigener Handlungen gelegt. Die exportorientierte Entwicklungsstrategie vieler asiatischer Staaten ist von künstlich verzerrten Währungsrelationen begleitet worden. Dies mündete in falsche Anreizsysteme, eine unzureichende Risikoanalyse sowie in den Aufbau eines unregulierten Schattenbankensystems.

Die erste Lehre
Um Transparenz, Glaubwürdigkeit und Vertrauen auf den Finanzmärkten wieder herzustellen, brauchen wir keine neue Wirtschaftsordnung und vor allem keinen neuen Staatsinterventionismus. Denn wenn der Staat vom Schiedsrichter zum Mitspieler wird, um eine Metapher von Ludwig Erhard zu verwenden, dann steht auch die Glaubwürdigkeit und Unparteilichkeit des Staates auf dem Spiel.

Die zweite Lehre
Wir befinden uns zwar in einer Wirtschaftskrise, aber nicht in einer Systemkrise. Der durch die weltweite Finanzkrise ausgelöste konjunkturelle Abschwung trifft zwar in Deutschland auf eine zunehmende Skepsis gegenüber der Sozialen Marktwirtschaft. Aber die Soziale Marktwirtschaft ist zeitgemäß, weil sie auf Werte setzt, die zeitlos sind: Eigeninitiative, Selbstentfaltung, Freiheit und Selbstverantwortung. Sie ist keine Leerformel, sondern liefert konkrete Handlungsanweisungen.

Die dritte Lehre
Die politische Reaktion auf die krisenhafte Zuspitzung der wirtschaftlichen Lage in den vergangenen Monaten war richtig. Aber der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Im Gegenteil: Bei verstärkter, dauerhafter staatlicher Einmischung besteht die Gefahr, dass wesentliche Anreizmechanismen, wie die Haftung für unternehmerische Entscheidungen, außer Kraft gesetzt werden. Es kommt zu Fehlentscheidungen zu Lasten der Steuerzahler. Von kommunalen Wohnungsunternehmen über die Deutsche Bundesbahn und den Baukonzern Holzmann bis zu den Landesbanken: Die Bilanz des Staates als Unternehmer oder vermeintlicher Unternehmensretter ist nicht überzeugend. Deutschland darf sich nicht an das süße Gift der Subventionen gewöhnen. Auch beim Versuch, Märkte zu steuern, kann der Staat schnell überfordert sein, wie die Erfahrung zeigt. Zu viele Eingriffe in Konsum- und Investitionsentscheidungen der Bürger verursachen nicht nur immense Kontrollkosten, sondern können wegen der unvermeidlichen Fehleinschätzungen zu gravierenden Fehlentwicklungen führen. Insbesondere Zukunftsmärkte können wir nur im Wettbewerb voll erschließen. Das gilt zum Beispiel für den Ausbau der digitalen Hochleistungsnetze. Mein wirtschaftspolitisches Handeln baut deshalb auf die Vorzüge der Sozialen Marktwirtschaft:

  • Freie Märkte können keine Märkte ohne Regeln sein. Wir brauchen nicht unbedingt mehr oder detailliertere Regeln; wir brauchen vor allem intelligentere Regeln.
  • Kurzfristig angelegte Impulsmaßnahmen müssen die Ausnahme sein. Keinesfalls darf es zu einem Perpetuum Mobile von kurzatmigem Aktionismus kommen. Vielmehr muss die nachhaltige Förderung des Wachstums weiterhin im Mittelpunkt stehen. Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz und den Verbesserungen beim Wirtschaftsfonds Deutschland speziell für den Mittelstand befinden wir uns da auf einem guten Weg.
  • Der Ausstieg des Staates aus finanziellen Engagements und Rettungsaktionen ist jetzt mit klaren Regeln zu planen. Ich will weder eine Staatsbankenwirtschaft noch staatliche zwangsverordnete Einheitsversicherungen oder einen Finanzmarkt, auf dem nur noch Staatspapiere gehandelt werden.
  • Wir brauchen offene Märkte und einfachen Marktzutritt. Maßnahmen zur Stützung der nationalen Volkswirtschaften bergen immer die Gefahr der Abschottung von Märkten. Die industriepolitischen Ansätze wichtiger deutscher Handelspartner erfüllen mich deshalb mit Sorge. Ich setze auf den Wettbewerb, gerade auch im Interesse des Mittelstands. Deshalb werde ich das Bundeskartellamt stärken und deshalb wollen wir als Ultima Ratio ein Entflechtungsinstrument in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen integrieren. Wir brauchen Vertrauen in die Regeln, die wir uns in guten Zeiten selbst gesetzt haben, ob bei der Welthandelsorganisation WTO, in der EU-Beihilfenkontrolle, in der Wettbewerbspolitik oder mit dem Europäischen Stabilitätspakt. Nicht zu vergessen: Auch Bürokratiekosten sind Marktzutrittsschranken gerade für den Mittelstand. Wir müssen deshalb den Bürokratieabbau beschleunigt fortsetzen, vor allem auf EU-Ebene.

Gemeinsam mit der Wirtschaft möchte ich daran arbeiten, dass Freiheit und Verantwortung von den Menschen – ob als Unternehmer, als Manager oder als Konsumenten – als zwei untrennbar verbundene Seiten einer Medaille begriffen werden. Die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland ist dabei kein starres Modell, sondern ein lernendes System. Ihre Ordnungsprinzipien bilden einen flexiblen Rahmen, der sich im Laufe der Zeit an die veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten anpassen lässt. Nicht zuletzt dieser Dynamik ist es zu verdanken, dass die Soziale Marktwirtschaft „Made in Germany“ auch international zu Recht als Erfolgsmodell gilt. Ich bin sicher, dass sich diese Einschätzung nach Überwindung der Krise bestätigen wird.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2010, Seite 18

 
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