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Bebauungsplan

Passend gemacht

Häufig verhindern Vorgaben in Bebauungsplänen, dass Bauprojekte wie geplant realisiert werden können. Wie können Bauherren reagieren? Von Herbert Kohler; Illustration: Anton Atzenhofer

Investoren und Bauherren erleben bei der Planung von Bauprojekten häufig eine Überraschung: Der Bebauungsplan, der für ihr Grundstück gilt, enthält Vorgaben, die nicht für das Projekt passen. Einige Beispiele: Das geplante Gebäude überschreitet eine Baugrenze oder soll nicht auf der festgesetzten Baulinie errichtet werden. Der Bauherr will mehr Geschosse errichten als im Bebauungsplan vorgesehen. In einem Gebiet, das als (eingeschränktes) Gewerbegebiet ausgewiesen ist, soll ein Wohngebäude errichtet werden. Weitere Beispiele für Inhalte (sogenannte Festsetzungen) des Bebauungsplanes, die möglicherweise mit den Absichten des Bauherren kollidieren: Verkehrs- und Versorgungsflächen, besondere Nutzungszwecke von Flächen, Maßnahmen zum Boden-, Natur- und Landschaftsschutz oder Flächen, die nicht bebaut werden dürfen.

Bauherren können beantragen, dass sie von bestimmten Festsetzungen eines Bebauungsplanes befreit werden. Die Bayerische Bauordnung (BayBO) regelt in Artikel 63 Abs. 2 , dass dieser Antrag mit dem Bauantrag gesondert schriftlich gestellt und begründet werden muss.

Voraussetzungen für eine Befreiung

Für eine Befreiung müssen drei Voraussetzungen gegeben sein, die in § 31 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) geregelt sind.

Grundzüge der Planung

Die erste Voraussetzung ist, dass durch die Befreiung die Grundzüge des Bebauungsplans nicht berührt werden. Damit sind nicht die Festsetzungen selbst gemeint, sondern die dahinterliegenden planerischen, städtebaulichen Überlegungen. Es müssen deshalb zwei Fragen geklärt werden: Warum ist die Festsetzung, von der befreit werden soll, erfolgt und wie wichtig ist sie für die planerische Konzeption? Maßgebliche Hinweise für die Beantwortung dieser Fragen liefert die Begründung des Bebauungsplanes.

Ob eine Befreiung möglich ist, bemisst sich auch daran, wie tief diese in die Grundzüge der Planung eingreifen würde. Die Befreiung kann schon dann verweigert werden, wenn diese Grundzüge nicht nur verletzt, sondern lediglich „berührt“ würden. Andererseits genügt für eine Ablehnung nicht jeder geringfügige Eingriff in das Geflecht der verschiedenen Interessen, die der Bebauungsplan in den getroffenen Festsetzungen ausgleichend berücksichtigen muss. Vielmehr muss der jeweils betroffene Belang „in rechtserheblicher Tiefe“ beeinträchtigt sein.

Einige Beispiele verdeutlichen, was in der Praxis damit gemeint ist: Je umfangreicher die erforderliche Befreiung ist (z.B. statt der festgesetzten zwei Vollgeschosse soll eine Befreiung für fünf Vollgeschosse erteilt werden) oder je mehr Befreiungen erteilt werden sollen (z.B. gleichzeitige Überschreitung der festgesetzten Baugrenze und Überschreitung der Zahl der festgesetzten Geschosse), desto eher sind die Grundzüge der Planung berührt. Wenn sich die beabsichtigte Befreiung auf die festgesetzte Art der baulichen Nutzung (z.B. Wohngebäude in einem eingeschränkten Gewerbegebiet) bezieht, wird nur in Ausnahmefällen davon ausgegangen, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden.

Drei mögliche Befreiungsgründe

Die zweite Voraussetzung für eine Befreiung ist, dass einer der drei folgenden, im Baugesetzbuch vorgesehenen Gründe vorliegt. Erster Befreiungsgrund: Das Allgemeinwohl spricht für die Befreiung. Das kann beispielsweise bei einem Feuerwehrgebäude oder einem Gebäude für soziale Zwecke (z.B. Kindertagesstätte) der Fall sein. Diese müssen oft eine bestimmte Größe haben, um ihren Zweck zu erfüllen, überschreiten damit aber bisweilen festgesetzte Baugrenzen.

Zweiter Befreiungsgrund: Die Abweichung ist städtebaulich vertretbar. Beispiel: Wenn anstelle von zwei Geschossen fünf festgesetzt werden sollen, muss geprüft werden, ob dies einer geordneten städtebaulichen Entwicklung entsprechen würde. Deshalb muss die Behörde alle betroffenen Belange gegeneinander abwägen (z.B. wirtschaftliche Interessen des Bauherren, Schaffung von zusätzlichem Wohnraum im Wege der Nachverdichtung, Interessen der betroffenen Nachbarn, Verkehrsanbindung, Veränderung des Straßenbildes). Gelangt sie dabei zum Ergebnis, dass der Erhöhung um drei Vollgeschosse kein gewichtiges Interesse entgegensteht, ist die entsprechende Festsetzung städtebaulich vertretbar.

Dritter Befreiungsgrund: Die Durchführung des Bebauungsplanes würde zu einer nicht beabsichtigten Härte führen. Dies ist insbesondere bei atypischen Grundstückssituationen der Fall. Beispiel: Eine Hanglage oder schräg verlaufende Grundstücksgrenzen verhindern, dass das Vorhaben so wie im Bebauungsplan festgesetzt realisiert werden kann.

Interessen der Nachbarn

Die dritte Voraussetzung für eine Befreiung ist, dass dabei die Interessen der Nachbarn beachtet werden und dass sie mit öffentlichen Belangen vereinbar ist. Die Behörde muss überprüfen, welche Belange des Nachbarn beeinträchtigt würden und in welchem Umfang dies geschehen würde. Je mehr eine Befreiung in das Interessengeflecht des Bebauungsplanes eingreifen würde, desto mehr stehen einer Befreiung öffentliche Belange entgegen. Es sind also ähnliche Überlegungen anzustellen wie bei der Prüfung, ob die Befreiung grundlegende Ziele des Bebauungsplanes berühren würde.

Die Behörde hat dabei insbesondere zu ermitteln und zu bewerten, ob sich durch das Bauprojekt Auswirkungen auf die Bebauung und Nutzung der Nachbargrundstücke ergeben würden. Beispiel: Der Bauherr beantragt, dass er die Zahl der erlaubten Geschosse erhöhen darf. Dadurch würden weitaus mehr Wohnungen entstehen als im Bebauungsplan vorgesehen. Zu klären wäre dann beispielsweise, ob dadurch die Nachbargrundstücke einem größeren Verkehrslärm ausgesetzt würden und ob Besonnung, Belichtung und Belüftung der Nachbargrundstücke noch ausreichend gegeben sind.

Kein Anspruch auf Befreiung

Von entscheidender Bedeutung ist, dass es sich bei § 31 Abs. 2 BauGB um eine „Kann-Vorschrift“ handelt, die der Baugenehmigungsbehörde ein Ermessen einräumt. Der Bauherr hat also keinen Anspruch auf eine Befreiung, sondern lediglich darauf, dass die Bauaufsichtsbehörde über seinen Antrag entscheidet. Diesen Anspruch auf eine sogenannte ermessensfehlerfreie Entscheidung kann der Bauherr allerdings auch gerichtlich geltend machen. Ermessensfehlerfrei ist die Entscheidung der Behörde dann, wenn sie den Sachverhalt zutreffend ermittelt, in ihrer Entscheidung alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt und die Gründe für und gegen eine Befreiung gewichtet und abwägt. Außerdem muss die Behörde alle Bauherren gleich behandeln. Damit sie zu einem abgewogenen Urteil kommen kann, müssen die Bauherren ihren Antrag sorgfältig begründen.

Änderung des Bebauungsplanes

Liegen die Voraussetzungen für eine Befreiung nicht vor, bleibt dem Bauherren nur eine Möglichkeit: bei der Kommune darauf hinzuwirken, dass die entsprechende Festsetzung im Bebauungsplan geändert wird. Dafür muss ein sogenanntes Änderungsverfahren eingeleitet werden, das im Wesentlichen so abläuft wie die Aufstellung des Bebauungsplans. Die Durchführung dieses Änderungsverfahrens kann jedoch erhebliche Zeit in Anspruch nehmen und das Bauvorhaben deutlich verzögern.

Klagemöglichkeit des Nachbarn

Auch wenn dem Bauherrn eine Befreiung erteilt wurde und er von der Festsetzung des Bebauungsplanes abweichen darf, ist er noch nicht ganz auf der sicheren Seite. Denn es könnte noch die Klage eines Nachbarn drohen. Ob eine solche Klage erfolgversprechend ist, hängt vom Einzelfall ab. Vorgehen kann der Nachbar selbstverständlich gegen eine Befreiung, die fehlerhaft ist. Auch wenn im Bebauungsplan besondere Festsetzungen enthalten sind, mit denen Nachbarn geschützt werden sollen, und diese durch die Befreiung konterkariert wird, kann eine Klage erfolgreich sein.

Selbst wenn keine sogenannte nachbarschützende Festsetzung im Bebauungsplan enthalten war, muss die Behörde bei einer Befreiung die Interessen der Nachbarn mit einbeziehen und bei ihrer Entscheidung auf die Nachbarbebauung Rücksicht nehmen. Bauherren sollten deshalb ihren Befreiungsantrag aus zwei Gründen sorgfältig begründen: Zum einen, um der Behörde eine gute Entscheidungsgrundlage an die Hand zu geben. Zum anderen, um Ansatzpunkte für Klagen der Nachbarn möglichst von vorneherein zu vermeiden.

Autor/in: 

Rechtsanwalt Herbert Kohler

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ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der Kanzlei Dr. Waldmann, Kohler & Kollegen in Nürnberg (kanzlei@waldmann-kohler.de, www.waldmann-kohler.de).
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09|2014, Seite 102

 
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