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IHK-Gebäude

Nürnberger Tand geht durch alle Land

140918_gi_Kaufmannszug35 © Giulia Iancielli / IHK

Im Zuge der Bauarbeiten am „Haus der Wirtschaft“ restaurierte Andreas Wüst den historischen Kaufmannszug.

Ein Gebäude erzählt Geschichte: Georg Kellners „Kaufmannszug mit Geleite“ an der Fassade der IHK am Nürnberger Hauptmarkt.

Wenn das „Haus der Wirtschaft“ nach den Renovierungs- und Umbauarbeiten zum Jahreswechsel 2019/2020 neu eröffnet wird, erstrahlt auch ein äußeres Wahrzeichen in neuem Glanz: die Fassadenmalerei von Georg Kellner aus dem Jahr 1910. Vor über 100 Jahren, am 22. Oktober 1910, wurde das durch den Architekten Karl Peringer umgebaute und renovierte Gebäude, das sich in zentraler Lage zwischen Hauptmarkt, Rathaus und Sebalduskirche befindet, feierlich eingeweiht.

Die Neueröffnung ging einher mit der Feier zum 350-jährigen Bestehen des Handelsvorstands, der seit 1560 seinen Sitz in dem Gebäude hatte. Zu diesem Anlass wurde ein Fassadengemälde in Auftrag gegeben, das nach außen sichtbar die Funktion und Tradition des Hauses darstellen sollte. Der Künstler Georg Kellner (1874 – 1924) setzte sich in einem Wettbewerb mit einem Entwurf durch, der auf Nürnbergs weitreichende Handelsbeziehungen seit dem späten Mittelalter Bezug nahm.

Georg Kellner entstammte einer weitverzweigten Nürnberger Künstlerdynastie, deren Geschichte im 18. Jahrhundert mit der Gründung einer Werkstatt für Glasmalerei durch Johann Jakob Kellner (1788 – 1873) ihren Anfang nahm. Georg Kellners künstlerischer Werdegang verlief vor dem Hintergrund der um die Jahrhundertwende allgemein zu beobachtenden Emanzipation der Künstler von einer angewandten Gestaltung zu einem freien, modernen Kunstschaffen. Nach einem Studium an der Nürnberger Kunstgewerbeschule von 1890 bis 1892 schrieb er sich 1893 für weitere zwei Jahre an der Akademie der Bildenden Künste in München ein und rundete die Ausbildung mit einem sich anschließenden einjährigen Studienaufenthalt in Italien ab.

Ähnlich wie die Mitglieder der Nürnberger Malerfamilie Ritter genoss Georg Kellner als Künstler hohes Ansehen in der Stadt. Neben grafischen Entwürfen, so für das Germanische Nationalmuseum, fertigte er Bildnisse wichtiger Nürnberger Persönlichkeiten und bestärkte seine Position durch die Mitgliedschaft in verschiedenen Vereinigungen wie der Nürnberger Sezession, der „Hütte“ oder der Nürnberger Kunstgenossenschaft. Auch an der Eröffnung des Künstlerhauses 1910 war er sowohl als Organisator und Juror als auch als ausstellender Künstler maßgeblich mitbeteiligt.

Für die Fassadengestaltung entwarf Georg Kellner ein inhaltlich zweigeteiltes Gemälde: die Malerei an der Südfassade thematisiert Nürnbergs herausragende Stellung als Handelsstadt, von der aus Waren in die Welt geliefert wurden. Dagegen ziert die Ostfassade das Motiv eines Nürnberger Handelszuges. Mit beiden Darstellungen bezog sich der Künstler thematisch als auch stilistisch auf das Spätmittelalter am Übergang zur Frühen Neuzeit – die Epoche, in der Nürnberg in Kunst, Kultur, Wissenschaft und Handel seine Hochblüte erlebte und die unter anderem 1560 zur kaufmännischen Selbstverwaltung in der Reichsstadt führte.

Südfassade

Das Gemälde an der Südfassade ist als Band zwischen den Fenstern des ersten und zweiten Stockwerks angelegt, das von einer sich in der Vertikalachse erstreckenden Darstellung eines Handelsschiffes mit gesetzten Segeln überragt wird. Da Schiffe zur damaligen Zeit für den Fernhandel eingesetzt wurden, ist dieses Motiv vielfach als Thema der gesamten Darstellung an der Südfassade gedeutet worden. Die Inschrift „Der Handel begehrt‘ solche Leut / bei denen sei Aufrichtigkeit / in Wort und Werk das wohl vernim / auch Herz und Mund zusammenstim“ verweist jedoch auf den moralischen Impetus, den Georg Kellner hier artikulierte. Die zwei wohlhabenden Kaufleute, die zwischen sich eine Waage halten, in deren Schalen ihre Geschäftsbücher gewogen werden, beschreiben ebenfalls das Motiv des „Ehrbaren Kaufmanns“; ein Leitbild, das bis heute zum gesetzlich verankerten Auftrag für die Arbeit der Industrie- und Handelskammer gehört.

Ostfassade

Während die Malerei an der Südfassade einzelne Motive von meist paarweise angeordneten Figuren zeigt, trägt die Ostfassade mit der Darstellung des Handelszuges einen stärker erzählerischen Charakter. Die geleiteten Handelszüge etablierten sich bereits im 13. Jahrhundert. Es handelte sich dabei um Warenzüge, die ihre Güter zur Messe nach Frankfurt brachten und zum Schutz vor Raubüberfällen von bewaffneten Sicherungstruppen des Kaisers begleitet wurden. Kellner lässt eine Abfolge von hierarchisch geordneten Personengruppen hintereinander Aufstellung nehmen: den Fahnenschwinger, der den Zug mit dem Wappen der Reichsstadt Nürnberg anführt; ihm folgen Pfeifer und Trommler, die mit ihrem Lärm die Wegelagerer abschrecken sollten, sowie eine Fußgruppe von Spießgesellen. Ihnen schließt sich der vierspännige, voll beladene Planwagen mit den Geleitsreitern und Fuhrknechten an. Den Abschluss bildet der Reisewagen zweier vornehmer Kaufleute im Pelzrock, die neben ihrem Wagen stehend miteinander im Gespräch sind. Das unter dem Gemälde zu lesende Motto „Nürnberger Tand geht durch alle Land“ greift eine Verballhornung des seit dem 15. Jahrhunderts geläufigen Sprichwort „Nürnberger Hand geht durch alle Land“ auf, das sich im 19. Jahrhundert für die Waren des Handels, vor allem des Kleinmetallgewerbes, wie Spielzeug, Nadeln, Schellen, Besteck, Geschirr oder auch Waffen, in Nürnberg allgemein durchsetzte.

Beeindruckend ist die äußerst detaillierte Zeichnung der Figuren, für die Kellner im Vorfeld zahlreiche Studien ausarbeitete. Georg Kellner, der selbst Mitglied im Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg war und auch Kostüme für die Eröffnungsfeier des im selben Jahr eingeweihten Künstlerhauses entwarf, bewies in den Bildern eine große Kenntnis der historischen Mode. Für jede Figur fertigte er unbekleidete Körperstudien als auch bekleidete Entwürfe an, bei welchen er die standesgemäße Kleiderordnung vom einfachen Fußgesellen bis zum gutsituierten Kaufmann bis ins kleinste Detail ausformulierte.

Als Vorlage für die Gesichter dienten dem Künstler reale Zeitgenossen. Während er in den Figuren der Händler und Geleitsherren Malerkollegen verewigte – so Carl Dotzler (1874 – 1956) als Fahnenträger – hielt er in den zwei Kaufleuten den damaligen Oberbürgermeister Dr. Johann Georg Ritter von Schuh (1846 – 1918) und den Kommerzienrat Eugen Mayer (1849 – 1923) fest. Am Schluss des Zuges, mit einem schelmischen Blick aus dem Bild heraus, hat sich der Künstler selbst ein Denkmal gesetzt. Es sind die individuellen Figuren und der Detailreichtum der Darstellung, die tagtäglich eine ungemeine Anziehungskraft auf Einheimische und Touristen ausüben. Eingebettet in ein komplexes Bildprogramm, nahm Georg Kellner mit der Fassadenmalerei vielfältige Bezüge auf die Stadtgeschichte Nürnbergs, appellierte dabei an Moral und Ethik in Zeiten wirtschaftlichen Erfolgs – ein Grundsatz, der an Aktualität bis heute nichts eingebüßt hat.

Autor/in: 

Susann Scholl ist kommissarische Kuratorin der Sammlung der Nürnberger Kunstvilla in der Blumenstraße 17 (susann.scholl@stadt.nuernberg.de,
www.kunstkulturquartier.de).

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2019, Seite 44

 
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