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Geschäftsmodelle

Den Betrieb neu denken

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Die Corona-Krise stellt Geschäftsmodelle noch schneller auf den Prüfstand. Wie richtet man sie rechtzeitig neu aus?

Die kommenden Jahre hätten auch ohne Corona-Krise genug Herausforderungen für die Unternehmen bereitgehalten: die fortschreitende Digitalisierung, neue Regulierungen und Compliance-Richtlinien, ein intensivierter Wettbewerb, zunehmende globale Spannungen und die Folgen des sich immer deutlicher abzeichnenden Klimawandels. Nun reift zudem die Erkenntnis: Egal, wann und wie die Corona-Krise endet, es wird wohl kein Zurück zur Zeit vor 2020 geben.

Die Corona-Krise hat viele Entwicklungen beschleunigt, z. B. die digitale Zusammenarbeit (Stichwörter Home-Office und Remote Work) sowie die Digitalisierung von Produkten und Services. Eine aktuelle Umfrage des Nürnberg Instituts für Marktentscheidungen (NIM) unter 400 Führungskräften aus mehreren Ländern zeigt, dass die Corona-Krise die "Lebenszeit" von Geschäftsmodellen auf 27 Monate verkürzt hat – ein Minus von 18 Prozent gegenüber der angenommenen Zeitspanne ohne Corona von durchschnittlich 33 Monaten. Spätestens dann müssen die Geschäftsmodelle durchgreifend überarbeitet werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Studie zeigt auch, wie wichtig die Fähigkeit zur Veränderung ist: Die erfolgreichsten Unternehmen sind fest darauf eingestellt, dass sie ihr Geschäftsmodell oder ihre Kernangebote in kürzeren Abständen grundlegend transformieren müssen.

Daraus sollte man den Schluss ziehen: In der aktuellen Situation ist der Glaube, nach der Corona-Krise werde man schon wieder zu einer beständigen Normalität zurückkehren, schlicht eine Gefahr für ein Unternehmen. Die kaufmännische Vorsicht gebietet es, sich jetzt zu hinterfragen und zu prüfen, welche der Annahmen, auf denen das eigene Geschäftsmodell und die Wertversprechen für die Kunden beruhen, morgen noch gelten werden.

Geschäftsmodelle bauen immer auf einer Reihe von Annahmen auf – beispielsweise über Kundenwünsche und -bedürfnisse, einzigartige Wertversprechen, Kernkompetenzen, Marktmechanismen sowie Trends und Technologien. Oft werden aber die Annahmen, die für das eigene Geschäftsmodell grundlegend sind, wie unwiderlegbare Fakten behandelt und kaum jemals überprüft. Dafür stehen Aussagen wie "Das ist genau die Art und Weise, wie unsere Branche arbeitet" oder "Sicherlich wollen unsere Kunden auch in Zukunft genau dieses Produkt in dieser Qualität". Sie täuschen dauerhafte Gültigkeit vor und verhindern damit das Nachdenken über Neuerungen und andere Perspektiven. Aber eigentlich müsste klar sein, dass Annahmen oder Hypothesen immer nur solange gelten, bis zu ihnen ein Gegenbeweis erbracht wird.

Toxische Annahmen

Solche ungeprüften Annahmen, die oft nicht mehr zutreffen und damit die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen gefährden, bezeichnen wir als "toxische Annahmen". Sie "vergiften" die Art und Weise, wie Entscheidungsträger innerhalb einer Organisation die Welt sehen und in ihr handeln. Dadurch wird die Fähigkeit der Führungskräfte gelähmt, strategische Bedrohungen rechtzeitig zu erkennen und die richtigen, eventuell radikal neuen Schritte einzuleiten. Das Festhalten an "toxischen Annahmen" hat dazu beigetragen, dass selbst einstige Branchengiganten wie Nokia, Kodak oder Blockbuster gescheitert sind. Sie haben ihre ehemals praktisch marktbeherrschenden Geschäftsmodelle nicht rechtzeitig grundlegend überdacht und konnten dann angesichts von rapiden Umbrüchen nicht schnell genug neue aufbauen.

Selbst scheinbar unverrückbare "Fakten" müssen also in Frage gestellt und mit der Realität oder empirischen Belegen verglichen werden. So kann man eine falsche Strategie erkennen und handeln, bevor es zu spät ist. Der vom Philosophen Daniel Dennett eingeführte "Sicherlich-Alarm" ("Surely Alarm") kann eine gute Richtschnur sein, um ungetestete Annahmen zu erkennen. Probieren Sie es einmal aus: Wenn jemand sagt "Sicherlich ist es so, dass ...", sollten Sie genau darauf achten, welche Tatsache da wirklich genannt wird, und die Frage stellen, wie "sicher" die aufgestellte Behauptung ist und worauf sich diese Sicherheit stützt. Und genau diese Fragen sollte man sich bei allen Annahmen stellen, die im Unternehmen als scheinbar sicher gelten.

Um es mit dem Management-Vordenker Peter F. Drucker auszudrücken: "Je früher Chancen erkannt werden, desto früher können die Gelegenheiten, die sie hervorbringen, in Innovationen umgesetzt werden." Dafür ist ein beständiger Realitätscheck nötig – idealerweise mit empirischen Daten, um eigenen toxischen Annahmen und Vorurteilen Einhalt zu gebieten. Das Ziel muss lauten: Nicht einfach so lange weiterzumachen, wie es möglich ist, sondern Veränderungen, die strategische Auswirkungen haben, rechtzeitig zu erkennen. Dann die Möglichkeiten und Risiken realistisch abschätzen und strategische Maßnahmen einleiten.

Glaubenssätze schrittweise überprüfen

Dabei empfiehlt sich beispielsweise folgende Vorgehensweise:

  • Sammeln Sie alle Annahmen, die im Unternehmen dazu bestehen, wie das Geschäftsmodell funktioniert, was die Kunden schätzen, wie die Branche arbeitet, wer die Konkurrenten sind usw.
  • Erheben Sie empirische Daten und analysieren Sie auf dieser Basis systematisch, ob diese Annahmen haltbar sind oder nicht.
  • Setzen Sie sich kreativ mit der Zukunft auseinander und suchen Sie nach potenziellen Disruptionen – also Entwicklungen, die das aktuelle Geschäftsmodell umstürzen könnten. Dies kann z. B. anhand der Frage geschehen, ob es plausible und schlüssige Zukunftsszenarien geben könnte, in denen die Welt gänzlich anders aussieht als heute angenommen. Denken Sie dabei daran, dass die Welt, in der wir heute leben, vor zehn oder 20 Jahren womöglich auch nicht das wahrscheinlichste aller Szenarien war.
  • Suchen Sie systematisch nach Trends in Gesellschaft, Technologie und Wirtschaft, die auf mögliche Entwicklungspfade für die Zukunft hinweisen. Halten Sie dabei auch Ausschau nach "schwachen Signalen" und frühen Vorboten. Stellen Sie die Frage: Von wem bzw. aus welcher Richtung könnten Anstöße für radikale Neuerungen kommen?

Um tiefer in mögliche Zukunftsszenarien und in das Thema toxische Annahmen einzutauchen, bieten sich Workshops an. Dabei werden in der Gruppe Grundannahmen des Unternehmens und der Branche identifiziert und kategorisiert. Auf dieser Basis wird dann das aktuelle Geschäftsmodell auf seine Herausforderungen und Chancen abgeklopft. Und darauf wiederum kann das Team neue Strategien aufbauen, die das Unternehmen zukunftsfähig machen.

Autor/in: 

Dr. Fabian Buder ist Leiter der Zukunfts- und Trendforschung im Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (früher GfK Verein).

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2020, Seite 28

 
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