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Für eine neue Schulpolitik!

Der Bildungsausschuss des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) fordert in einer Stellungnahme zu den Ergebnissen der OECD-Schulvergleichsstudie „Pisa“ eine „neue Schulpolitik“. Im Folgenden der Beitrag der DIHK-Bildu

Der Bildungsausschuss des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) fordert in einer Stellungnahme zu den Ergebnissen der OECD-Schulvergleichsstudie „Pisa“ eine „neue Schulpolitik“. Im Folgenden der Beitrag der DIHK-Bildungsexperten im Wortlaut.

Der 4. Dezember 2001 ist in die Bildungsgeschichte eingegangen. Das schlechte Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler bei der OECD-Vergleichsstudie Pisa hat grundlegende Schwierigkeiten unseres Bildungssystems, eine umfassende und gründliche Schulbildung zu vermitteln, offen gelegt. Die Leistungen deutscher Schüler reichten weltweit nur, um ins letzte Drittel der Testteilnehmer zu kommen. Im Lesen, in Mathematik und in den Naturwissenschaften sind deutsche Schüler schlechter als ihre Altersgenossen in fast allen anderen vergleichbaren Nationen.
Viele Jugendliche erreichen mit ihrer schulischen Allgemeinbildung nicht einmal mehr die Mindestanforderungen, die bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz erforderlich sind. Die Chance, am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, wird diesen Jugendlichen verbaut. Die Ergebnisse von Pisa bestätigen die seit Jahren vorliegenden Erfahrungen zahlreicher Unternehmen und Betriebe, dass die Schulabgänger in Deutschland immer häufiger nicht ausbildungsfähig sind.
Offensichtlich sind viele deutsche allgemeinbildende Schulen zunehmend nicht mehr in der Lage, Kindern und Jugendlichen das notwendige Rüstzeug für ein erfolgreiche Ausbildung und ein zielgerichtetes Studium mit auf den Weg zu geben. Unsere Schulen brauchen Hilfe, um die immer stärker werdende Abkoppelung von den tatsächlichen Erfordernissen der Arbeitswelt aufzuhalten. Auch sind die Eltern wieder stärker in die Verantwortung zu nehmen, ihren Erziehungsauftrag zu erfüllen und den Bildungsweg ihrer Kinder aktiv zu unterstützen. Die Erziehungsverantwortung darf nicht an die Schulen bloß abgeben werden. Nicht nur über Bildung, sondern über Erziehung muss in unserer Gesellschaft neu debattiert werden.
Wir brauchen sofort neue Anstrengungen für eine wirklich umfassende und flächendeckende Qualitätsverbesserung an allen Schulen. Bildung ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland die wertvollste Ressource. Die ausbildenden Unternehmen in Deutschland stellen zu Recht Ansprüche an die Schulabgänger und die Qualität ihrer Schulbildung. Berufsausbildung muss auf einer soliden schulischen Grundlage aufbauen können. Ausbilder und Berufsschullehrer sind nicht in der Lage, bei der Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten ständig Reparaturleistungen durchzuführen.
Die deutsche Wirtschaft erwartet daher, dass am Ende der allgemeinen Schulausbildung die Grundlagen für Lern- und Leistungsbereitschaft gelegt sind und dass grundlegende Kenntnisse und Kompetenzen in allen wichtigen Fächern erworben wurden. Die Ergebnisse der OECD-Schulvergleichsstudie Pisa verlangen ein entschlossenes und auf nachhaltige Wirkung zielendes Handeln der Kultusminister. Der am 6. Dezember 2001 von der Kultusministerkonferenz veröffentlichte Maßnahmenkatalog kann nur ein erster Schritt sein. Die Kultusminister sind aufgefordert, den mit der nationalen Testerweiterung Pisa-E möglichen Vergleich unter den Bundesländern so rasch wie möglich zu veröffentlichen.
Der Bildungsausschuss des DIHK sieht in folgenden Feldern dringenden Handlungsbedarf:

Mehr fördern!
E Verbesserung der vorschulischen Erziehung durch eine kindgerechte Pädagogik und durch den Einsatz akademisch geschulten Betreuungspersonals
E Verbesserung von Text- und Leseverständnis sowie Rechtschreibfähigkeiten in allen Schulstufen, Stärkung der Leseförderung in allen Bereichen, Förderung von Kritik- und Selbstkritikfähigkeit der Schüler
E gezielte Fördermaßnahmen für lern- und leistungsschwächere Schüler, d.h. auch bessere Förderkonzepte für Haupt- und Förderschulen, mehr Förderkurse für ausländische und bildungsbenachteiligte Kinder, Ausbau der Schulsozialarbeit, Einführung geeigneter Instrumente zur Verbesserung der Disziplin an Schulen
E bessere und gezieltere Förderung von Hochbegabten und leistungsstarken Schülern

Unterrichtsqualität steigern und Lehrerausbildung verbessern!
E Methodische und didaktische Verbesserung des Unterrichts in Mathematik und Naturwissenschaften, Hebung des Stellenwertes naturwissenschaftlicher Bildung
E Stärkung des Fremdsprachenunterrichts, erste Fremdsprache in der Grundschule und nach dem Beispiel mehrerer europäischer Länder auch schon in der Vorschulphase, mehr zweisprachige Schulangebote
E Festlegung verbindlicher Bildungsinhalte, Kerncurricula in Deutsch, Mathematik und Fremdsprache, Straffung der Unterrichtsinhalte, mehr Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse durch zentrale Abschlussprüfungen in allen Schulformen (mindestens in den Kernfächern), Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur
E Neuorientierung der Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte in allen Schulformen, früherer Praxisbezug, Stärkung der Kompetenz der Lehrer, Lern- und Leistungsschwächen zu entdecken

Schulreform voranbringen!
E Selbst die Sache anpacken: die Schulen - Lehrer, Eltern und Schüler gemeinsam - gehen mit gutem Beispiel voran und nehmen Fragen der Unterrichtsqualität und Leistungsverbesserung selbst in die Hand. In einem ersten Schritt muss eine Bestandsaufnahme des Leistungsstandes der Schule und der einzelnen Schüler erfolgen. Die Schwachstellen sind öffentlich zu machen, um ihnen unverzüglich im Unterricht entgegenwirken zu können.
E Einführung eines unabhängigen Systems der Qualitätskontrolle („Schul-TÜV“), das sicherstellt, dass die Leistungsfähigkeit jeder einzelnen Schule in regelmäßigen Abständen überprüft wird und dass die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden
E Entwicklung verbindlicher Standards für die Schulqualität, z.B. durch Zielvereinbarungen zwischen Schule und Lehrern, Stärkung der Autonomie des Lernortes Schule, mehr Personal- und Finanzfreiheit in der Schulorganisation, Einführung von Instrumenten moderner Personalentwicklung, Konzentration des Staates auf die Schulaufsicht, mehr Förderung gemeinnütziger Schulträger
E Ansehen des Lehrerberufs heben, leistungsorientiertere Bezahlung der Lehrer
E Überprüfung der bisherigen Schullaufbahn-Regelungen, insbesondere hinsichtlich früherer Einschulung, Klassenwiederholung, Übergangsentscheidung
E Möglichst flächendeckender Ausbau von schulischen und außerschulischen Ganztagsangeboten.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2002, Seite 9

 
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