Religiosität und historisches Bewusstsein bedeuteten für Albrecht Dürer maximale Motivation und die
Herausforderung, immer wieder allerhöchste Ansprüche an sich selbst zu stellen. Sein Talent empfand er als ein
Geschenk Gottes. Kein geringerer als Christus, aber auch die größten Künstler aller Zeiten waren Dürers
Leitbilder und dienten ihm für die Projektion des eigenen Ich.
Taucht man weiter in die komplexe Materie ein, findet man sich wieder in den endlosen Tiefen der spannendsten
Grundfragen zur menschlichen Existenz und ihrer Bestimmung unter humanistischen wie philosophischen,
theologischen, psychologischen, historischen, künstlerischen oder anthropologischen Aspekten. Beim Lesen von
Fichtes Gedanken „Zur Bestimmung des Menschen“ von 1800 („...ich wollte nicht Natur, sondern
mein eigenes Werk sein; und ich bin es geworden, dadurch, dass ich es wollte.“), wiederentdeckt bei Peter
Sloterdijk, muss man doch besonders an Albrecht Dürer denken.
Die Humanisten Konrad Celtis und Erasmus von Rotterdam verglichen das Künstlergenie schon zu Lebzeiten mit dem
legendären, kongenialen griechischen Künstler Apelles (zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts v.Chr.). Als
berühmtester Maler der Antike wurde dieser von Alexander dem Großen auf Grund von brillanter Virtuosität,
philosophischer Geistesgabe und außergewöhnlichem Selbstbewusstsein besonders geschätzt. Dürers umfangreichster
Auftrag seines Lebens, die (nicht mehr erhaltene) Wandgestaltung des Nürnberger Rathauses, ist mit dem
„Triumphwagen Maximilians I.“ und der allegorischen Darstellung der „Verleumdung des
Apelles“ als Analogie zu verstehen. Dies war eine seiner vielen genialen Strategien, auch am eigenen Mythos
mitzuarbeiten.
Heute ist Dürer Teil unserer europäischen Geschichte, die Auseinandersetzung mit diesem Weltkünstler bietet
großes Potenzial, neue Visionen zu denken. Dürer-Weg, alljährliches Dürer-Fest und „das weltgrößte
Rasenstück“ für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zielen in diese Richtung. Immer wieder ist Dürer auch
heute Impuls für Arbeiten zeitgenössischer Künstler. Dürer-Hasen von Ottmar Hörl sind nach wie vor begehrte
„Kulturbotschafter“ auf der ganzen Welt. An der Fassade der Kunsthalle lässt uns Jochen Gerz über
Dürer, Geschichte und das Neue in der Kunst nachdenken. Im Neuen Museum Nürnberg hat Braco Dimitrijevic dem
Denkmal von Dürer das eines unbekannten, zufälligen Passanten zugeordnet. Es ist eine der interessantesten
Interpretationen zum Thema Gedächtnis der Menschheit.