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Das bessere Deutschland?

Die Österreicher sind stolz auf ihre wirtschaftlichen Leistungen, aber auch besorgt wegen der wirtschaftlichen Flaute im Nachbarland Deutschland.

Die Österreicher sind stolz auf ihre wirtschaftlichen Leistungen, aber auch besorgt wegen der wirtschaftlichen Flaute im Nachbarland Deutschland.

Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel strotzte beim Nationalfeiertag am 26. Oktober 2005 vor Selbstbewusstsein: Österreich sei zum „Vorzeigeland“ geworden. Die Einbindung in die EU habe Österreich vorangebracht, daher werde die Alpenrepublik während der EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2006 das übrige Europa voranbringen. Schenkt man einschlägigen Studien Glauben, so ist das forsche Auftreten des Kanzlers berechtigt: Kein anderes EU-Land ist mit mehr Wirtschaftsstandorten unter den Top 100 der 1207 EU-Regionen vertreten. Zurzeit sind es 18; lediglich das deutlich kleinere Irland schneidet mit seinen insgesamt acht Regionen noch besser ab.

Stefanie Wahl, Geschäftsführerin des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft (IWG) in Bonn, hat sich intensiv mit der wirtschaftlichen Situation in Deutschland, Österreich und der Schweiz befasst. Ein reizvoller Vergleich: Alle drei Länder haben viele Gemeinsamkeiten bei Sprache, Kultur und Geschichte. Doch vor allem bei den Arbeitslosenzahlen schneiden die kleinen Nachbarn schon seit Jahren besser ab als der einstige deutsche Musterknabe. Wahl gesteht zu, dass die Österreicher sehr vom Beitritt zur EU und von der Osterweiterung der Union profitiert hätten. Zudem müssten sie nicht die milliardenschweren Transferleistungen schultern, die die Deutschen wiedervereinigungsbedingt seit knapp 16 Jahren zahlen müssen.

Doch nach Ansicht der Bonner Wissenschaftlerin gibt es noch einen gravierenderen Unterschied zwischen „Ösis“ und „Piefkes“: Bei den einst so preußischen Deutschen mangele es an der richtigen Einstellung und am Mut. „Die meisten Österreicher vermitteln das Gefühl, dass sie stärker vorankommen wollen als ihre Nachbarn. Sie wollen ihr Land zukunftsfähig gestalten“, so Wahl. „Österreich war immer ein Land, das sich nach der Decke strecken musste. Es musste sich aktiv positionieren und sich auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen.“

Deutschland muss auch weiterhin für die Einheit bezahlen, und Österreich wird weiterhin davon profitieren, dass es durch den Beitritt zur EU und die Osterweiterung von der Peripherie ins Zentrum gerückt worden ist, so die Erwartung. Ausländische Investoren nutzen das kleine Land als Brückenkopf, um die Märkte in Mittel- und Osteuropa zu bedienen.

Mit Blick auf Deutschland unterstreichen österreichische Manager immer wieder, dass der Nachbar über großes Potenzial verfüge. Es beheimate viele Unternehmen mit internationaler Bedeutung und sei wegen seiner schieren Größe für ausländische Unternehmen ein interessanter Markt. Produktivität und Wachstum der österreichischen Wirtschaft hängen zudem stark von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen „Made in Germany“ ab, während es die heimische Forschung zu sehr wenigen Patentanmeldungen bringe. Wegen der großen Bedeutung Deutschlands werden aber die derzeitige Konjunkturschwäche und die strukturellen Probleme mit Sorge gesehen. Ein großes Manko sehen österreichische Unternehmer beim deutschen Arbeitsmarkt, den sie als zu inflexibel erachten. Außerdem ist die Jahresarbeitszeit in Österreich, aber auch in der Schweiz wesentlich länger als in Deutschland. Deshalb ist in der Alpenrepublik ein plakative These populär: Die Österreicher sind mittlerweile die besseren Deutschen.

Es gibt aber auch völlig gegensätzliche Meinungen: Die „Financial Times Deutschland“ hält diese Diagnose schlicht für „abwegig“. Bei einem „Reform-Check“ verschiedener europäischer Länder, die gemeinhin als Vorbilder für Reformeifer und wirtschaftliche Dynamik gelten, schneide Österreich „so schlecht ab wie kein anderer“: Vor allem hohe Staatsquote, zentralisierte Lohnverhandlungen und mangelnde Reformen im Gesundheitswesen könnten Deutschland nicht als Vorbild dienen. Das Wirtschaftswachstum sei im Schnitt der vergangenen Jahre nur unwesentlich höher gewesen als in Deutschland, die Arbeitslosigkeit sei nicht gesunken, sondern sogar gestiegen.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2005, Seite 20

 
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