Plötzlich ist Nürnbergs Schöner Brunnen in allen Medien, seit er von einer 17 Meter hohen Installation des Münchner Künstlers Olaf Metzel für zwei Monate verdeckt ist. Sie besteht aus 1 000 ausgemusterten Stühlen des Berliner Olympiastadions, die sich als Doppelhelix um den Brunnen windet. Das vom DFB finanzierte Kunstwerk mit dem Titel Auf Wiedersehen gehört zum offiziellen Kulturprogramm während der Fußball-WM.
Freudloses Wiedersehen
Eine erste Konsequenz aus der Aktion in der Stadt, die sich gern fränkische Metropole nennt, besteht darin, dass
Der Schöne Brunnen durch das Vorhaben seiner Verdeckung plötzlich als das bildnerische Ereignis verstanden wird,
das er tatsächlich ist. Die Verdeckung veranlasst ein Entdecken. Errichtet zwischen 1385 und 1396, wahrscheinlich
von einem Prager Meister, vielleicht sogar einem der berühmten Parler, zeigt das die Zusammenführung von Altem
und Neuem Testament thematisierende Bildprogramm auf mehreren, ringförmig angelegten Ebenen, die zur krönenden
Kreuzblume hin aufsteigen, in Goldtöne gefasste weltliche und kirchliche Protagonisten: über sieben Kurfürsten
und neun jüdischen, heidnischen und christlichen Helden erscheinen Moses und die sieben Propheten, am Beckenrand
die Kirchenväter und die Evangelisten. (...)
Die Befristung der Verwandlung kann jedoch die Kritiker des Projekts nicht beruhigen. Ihre Reaktionen vor Ort und in den lokalen Zeitungen, die Intoleranz, die blinde Wut, und ja: der Hass, die sich in vielen Äußerungen gegen den Künstler richten, sind das andere, fatal bemerkenswerte Ergebnis von Metzels künstlerischer Setzung. Sie treibt hervor, was an Vorurteilen und an Verachtung, bis hin zu Vorwürfen der „Entartung“, gegen die Moderne im Publikum immer noch (oder wieder) erschreckend wirksam ist. Eine Wiederkehr der unerfreulichsten Art. Die hässliche Resonanz übertrifft selbst Metzels schlimmste Befürchtungen. Es kann einem in Nürnberg in diesen Tagen wirklich Hören und Sehen vergehen.
Frankfurter Rundschau, 26. April 2006
Kunst als PR-Konstrukt
Nun also: Nürnberg. Dort streitet man sich um die Stuhl-Skulptur von Olaf Metzel. Wobei auch hier die Front nur
scheinbar eindeutig verläuft. Auf der einen Seite müssten demnach – wenn es denn nur so eindeutig wäre
– die üblichen Kunst-Banausen stehen, die immer gleich „Verschandelung“ blöken, aber eine
Fettecke im Museum nicht vom Frittenfett in der Pommesbude unterscheiden können. Auf der anderen Seite müsste
– wenn es denn immer noch so eindeutig wäre – die feinsinnige Feuilleton-Klientel stehen, die sich
furchtlos vor die Straßenreinigung wirft, um die Kunst vor dem ignoranten Pöbel zu retten. Leider sind derartige
Ideal-Konstellationen selten. Und das gilt auch für Nürnberg. Zwar hat man es hier auf der einen Seite mit einem
bedeutenden Künstler und auf der anderen Seite mit teilweise stumpfsinnigen, fast schon militant formulierten
Ressentiments zu tun – dennoch ist die Sache kompliziert. Klar ist allenfalls das Urteil über die Aktion:
die Stuhl-Skulptur ist überflüssig. Ohne ästhetischen Gewinn. Ohne Bedeutung. Nicht aber, weil die temporär
geplante Einhausung des Schönen Brunnens so überaus stadtbildfeindlich geraten könnte und daher dem Tourismus
abträglich wäre. Sondern im Gegenteil: diese Kunstaktion ist eben keine der Kunst, sondern ein PR-Konstrukt, das
sich vor allem aus Städtemarketing-Aspekten und WM-Logo-Inflation speist.
Gerhard Matzig, Süddeutsche Zeitung, 25. April 2006
Unverständnis für WM-Kunstaktion in Nürnberg
Hamburger Abendblatt, 25. April 2006
Brunnenstreit: Kein gülden Ringlein hilft
Berliner Zeitung, 25. April 2006
Auf Wiedersehen, schöner Brunnen
Weil hier nicht irgendein amtlich gesegnetes Stadtmöbel abgestellt wird, sondern der Künstler sein Atelier an
Ort und Stelle verlegt hat, rühren sich Proteste. Nichts Ungewöhnliches, wo Kunst in die Stadt zieht und der
Künstler genau hinschaut. Dabei, das findet auch Metzel, ist es doch ein gutes Zeichen, wenn rund um den Brunnen,
der als einziges Bauwerk die Bombardierungen des zweiten Weltkriegs überstanden hatte, diskutiert wird und die
Nürnberger ihr Kleinod verteidigen. Doch wo etwas spielerisch und virtuos verdeckt wird, um etwas aufzudecken, wo
Sitzschalen aus dem Warenkorb der Alltagsästhetik ans Politische rühren, da hören Sport und Spaß auf.
Denn plötzlich liegt über allem Volksfest dieser skulpturale Wirbel. Und der könnte ja von der aufgeheizten Luft sportbegeisterter und von der Politik instrumentalisierter Massen gebildet worden sein. Er könnte die Spielformen der Bildhauerei nutzen, um mit Blick auf Historische für einen kurzen Moment ein gar kritisches Bild unserer Zeit aufzurichten – jenseits des Biegarten-Großbildleinwand-Würstelbuden-WM-Programms. Alle Ballack-Fans aufgepasst: Keiner schlägt den tödlichen Pass in den möblierten Stadtraum wie Olaf Metzel.
F.A.Z., 26. April 2006
Rostbratwurst und tausend Stühle aus Berlin
Der Bildhauer Olaf Metzel baut auf dem Nürnberger Hauptmarkt an einer 17 Meter hohen Skulptur. Nach der
Fußball-WM wird sie wieder entfernt. Momentan aber verdeckt sie Nürnbergs Bürgerstolz: den Schönen Brunnen. Da
köchelt die fränkische Volksseele a wengerl. (...). In Berlin hat Metzel einmal einen Turm von Absperrgittern
errichtet – gedacht als Kommentar zu den Kreuzberger Straßenschlachten. Irgendwie haben die Demonstranten
das in den falschen Hals bekommen, am Ende musste Metzel von der Polizei sogar verteidigt werden. Das hat er als
nette Ironie gedeutet. Die Nürnberger aber meinen es ernst mit ihrem Protest, und der Oberbürgermeister Maly
(SPD) bittet fast jeden Tag darum, die Kirche im Dorf zu lassen, weil er findet, dass Kunst nicht jedem gefallen
dürfe, sonst werde sie gefällig. Was man halt so sagt als Mann von Welt. Die wirkliche Intention von Olaf Metzel
vermag wohl auch Maly nicht zu deuten. Möglicherweise kommt er selber aber noch einmal in größere Erklärungsnot.
Wenn die WM läuft, werden auf dem Hauptmarkt in Nürnberg die Spiele auf Großleinwänden übertragen. Man erwartet
da 20 000 Zuschauer, und es ist nicht auszuschließen, dass der ein oder andere aus einer Laune heraus beschließt,
sich einmal intensiver als bisher mit moderner Kunst zu beschäftigen.
Stuttgarter Zeitung, 27. April 2006
Nürnberg streitet über Fußball-Kunst
Kölner Stadt-Anzeiger, 22. April 2006
Nürnberger Provinzposse? Streit um Kunst im öffentlichen Raum zur Fußball-WM
Badische Neueste Nachrichten, Karlsruhe, 22. April 2006