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Stadt aus Tuch und Holz

Mehr als 200 Markthändler haben sich in diesem Jahr wieder auf den Ansturm von zwei Mio. Besuchern vorbereitet.

Rot und weiß die Stoffbahnen, in Jahrzehnten gedunkelt die Bretter, tief geduckt ins machtvolle Hauptmarkt-Geviert stehen sie, die 180 Holzbuden, wenn auch noch eine Prise Schnee liegt – was könnte schöner sein! Wer aber sind die Produzenten von soviel Herrlichkeit auf dem „Kindles-Marcks“ (so der Name in der ersten urkundlichen Erwähnung 1628)? Von wem kommen all die Produkte, die wir nicht wirklich brauchen, die uns aber an Kindheitsglück erinnern, an Tradition, die gut und schön und beinah ewig erscheint?

Was wäre der Markt ohne Glühwein und seinen Duft? Für Claudia Blokesch, Chefin von Vollrath, gehört das – betriebswirtschaftlich ausgedrückt – zum Kerngeschäft. „Beste Zutaten sind wichtig, 100 Prozent Wildbeeren, keine Nachzüchtungen. Und dann die Gewürze: Zimt, Nelken, Cardamom. Noch ein paar mehr, aber die verrate ich Ihnen nicht. Zur vollendeten Wirkung gehört die Außentemperatur: Die Mischung wirkt auch bei 15 Grad – aber himmlisch wird’s erst unter Null“, so Blokesch. „Vollrath - Glühweine und Beerenweine“ heißt es auf der Internet-Seite www.gluehwein.com, wobei der berühmteste Glühwein des Hauses auf Heidelbeerbasis hergestellt wird und damit einst eine fränkische Alternative zu (französischen) Traubenweinen war. Vollrath-Mitarbeiter arbeiten von August bis Februar auf Glühwein-Betriebstemperatur – in den sommerlichen Monaten flaut das Geschäft ab. Zehn ganzjährige und 15 saisonale Kräfte beschäftigt Claudia Blokesch, die die Traditionsfirma – 2005 wurde 150. Jubiläum begangen – 1990 mit 23 Jahren übernahm.

Aus Nürnberg die Welt erobern – das will auch der Familienbetrieb Maisel. Das Feinschmeckergeschäft in der Schweinauer Hauptstraße sorgt als einer von etwa zehn Grillmeistern am Christkindlesmarkt für die berühmteste, allgegenwärtigste und weltweit geliebte Mahlzeit nicht nur für zwischendurch. Über die Qualität wacht der gestrenge Schutzverband Nürnberger Rostbratwürste, dessen Vorsitz der Schwabe und Stadtrechtsdirektor Dr. Hartmut Frommer innehat. Danach sind Länge und Gewicht (sieben bis acht Zentimeter, 20 bis 25 Gramm), Inhalt (entfettetes Schweinfleisch mittlerer Körnung) und Herkunft (aus dem Stadtgebiet Nürnberg) festgelegt. Der Familienbetrieb „Spezialitäten Maisel“ hält sich an diese traditionsreichen Schutzvorschriften – im Vertrieb aber ist man modern: Über www.nuernberger-bratwurst-versand.de werden die dosenverpackten Wahrzeichen noch nicht in alle Welt, aber nach ganz Deutschland versandt. Juniorchefin Karin Maisel, die die Idee für das Internet-Wursthaus hatte, kämpft für die europaweite Bedarfsdeckung noch mit einem Abrechnungssystem, das preisgünstiger als Banküberweisung und gut eingeführt ist.

Heinz Lehneis Beitrag zum Geschehen rund um den Markt ist gewaltig und kommt in Form eines 1000-Kilo-Riesen wie Rudi daher. Der Wetzendorfer Betrieb der Familie Lehneis verdient sein Geld mit Gemüseanbau, Bauernladen, winterlichen Räumdiensten – und Kutschenfahrten. Die drei Söhne, ihre Freundinnen und natürlich der Senior kümmern sich zum Kräfte zehrenden Tagwerk noch um zwölf rheinische und süddeutsche Kaltblüter. Ab April sind sie auf Kirchweihen und Festzügen meist vorneweg unterwegs, Kutsche, Planwagen oder Anhänger bestückt mit Blaskapellen, Kegelvereinen oder Kärwabuam. Lehneis’sche Kutschen-Pferde kommen auf dem Münchner Oktoberfest, beim Fürther Erntedankzug und bei Festen in ganz Bayern zum Einsatz. Am Christkindlesmarkt ziehen die Kaltblüter zwei historische Postkutschen, die dem Museum für Kommunikation gehören. Kurz vor Mittag geht es los, Richtung Innenstadt. Im Viertelstundentakt hält jede der zwei Kutschen vor dem Schönen Brunnen am Hauptmarkt, nimmt sieben bis neun Fahrgäste auf und fährt sie für drei Euro (Kinder: 1,50) rund ums Marktgeschehen. Die Kaltblüter sind geübte Zugpferde, die Kutscher kennen ihre Tiere, anders wäre ihr Einsatz um den viel besuchten Markt nicht zu verantworten. Drei Arbeitskräfte - Kutscher und Postillon und eine ordnende Hand am Halteplatz sowie einmal täglich ein frisches Gespann, das mit dem Hänger aus Wetzendorf gebracht wird, halten den Familienbetrieb während des Marktes auf Trab.

Der waschechte Nürnberger Manfred Rehder hat mit seinen 72 Jahren den Ruhestand längst verdient, umso mehr als Haus und großer Garten in der Gartenstadt sein handwerkliches Können täglich fordern. Der frühere Orthopädiemechaniker hat aber schon als Kind am riesigen Küchentisch der Großmutter eine Familientradition erlernt und schon wieder an den Sohn weitergegeben. Also sitzt Rehder auch heuer seit September in der Werkstatt, stanzt und schneidet und faltet und klebt und stellt so die berühmten Nürnberger Rauschgoldengel in reiner Handarbeit her. Echte Rauschgoldfolien gibt’s heute nirgends mehr zu kaufen, goldene Aluminiumrollen und buntes Folienpapier tun es stattdessen. Die Köpfe der Englein waren früher aus Porzellan, nach dem Krieg wurden sie teilweise aus Holz gedrechselt und später sogar aus Kunststoff hergestellt. Inzwischen werden sie nach präzisen Angaben Rehders in China hergestellt. Seit 25 Jahren hat er seinen Stand auf dem Markt, verkauft seine Schutzengel in acht Farben und vier Größen (ein kleiner kostet 11,50 Euro, der große 27,50 Euro und der ganz Große stand schon bei der Urahnin der Engel-Dynastie – sie hieß mit Familiennamen Zemsch – vor 50 Jahren am Stand und ist unverkäuflich).

Wenn es ein Produkt gibt, das ganz und gar für den Christkindlesmarkt steht – dann der Zwetschgermoo. Die schönsten Stände am Markt werden deshalb alljährlich mit dem goldenen, silbernen und bronzenen Zwetschgermoo geehrt. Er ist so fränkisch, dass ihn außer den Einheimischen keiner richtig aussprechen kann, er ist im Wortsinne völlig nutzlos, aber wunderschön und Stück für Stück mühselige Handarbeit. Wer Zwetschgermännle herstellt, muss ein Urgestein des Marktes sein – und so ein Mensch ist Waltraud Rauch auch. Die gebürtige Nürnbergerin wohnt in Burghaslach im Steigerwald und kommt seit 50 Jahren die drei Wochen vor Weihnachten zum Markt und verdient sich – mehr oder minder – den gesamten Jahreslebensunterhalt. „Prima, spotten oft die Leut’, ab September basteln und den Rest des Jahres das Leben genießen“, erzählt sie – aber das ist Quatsch. Mit ihrem Geschäftspartner ist sie das ganze Jahr alle Tage mit dem Projekt Zwetschgermoo beschäftigt, „dass es nachher mit Ach und Krach zum Leben reicht“, wie sie freimütig erzählt. 300 verschiedene Zwetschgermoo-Motive gibt es – und die echten Sammler kommen jedes Jahr und fragen nach Neuem, solche wie Angler, Brotzeitmacher, Glücksschlotfeger, Großelternpaar, Hexe, Zecher, im WM-Jahr natürlich Fußballer und als beliebtestes Motiv das aufwändige Hochzeitspaar. Früher waren die putzigen Figuren mit den geschneiderten Kleidern nur aus Zwetschgen (die aus Frankreich kommen oder Chile, wo sie früher reifen als bei uns) – heute wird der Bauch aus Feigen gemacht. „Wenn die einmal grau ausschauen“, verrät Geschäftspartner Walter Köttig, ist das nicht Schimmel, sondern Zucker – einfach einen Pinsel in reinen Alkohol tauchen und abwischen, dann sind sie wie neu. Wenn man unterm Jahr schnell für eine Hochzeit oder einen Verwandtenbesuch ein echt fränkisches Mitbringsel braucht – einfach anrufen: 09552/6439.

Auch Gabriele Degelmann feiert heuer ein Jubiläum – seit zehn Jahren vertritt sie den Stand der Aktion Sternstunden des Bayerischen Rundfunks. Ihr Häuschen ist übervoll mit Weihnachtssternen, die Kinder aus ganz Bayern gebastelt haben. Einst erzählte Thomas Jansing, Unterhaltungschef des BR und Erfinder der „Sternstunden“, ihr seine Vision, mit der Benefizaktion seines Senders zugunsten benachteiligter Kinder „irgendwie auf den Christkindlesmarkt“ zu kommen. Da erfand sie ihm die Marketingidee dazu: Kinder basteln Weihnachtssterne, Prominente kommen nach Nürnberg an den Sternstundenstand und geben den Leuten diese Sterne – gegen eine freiwillige Spende. 20 000 Sterne liefern Kindergärten, Schulen oder Familien jedes Jahr ab Oktober, 30 bis 40 Prominente aus Politik, Film, Fernsehen und Sport unterstützen Gabriele Degelmann und ihr Team aus ehrenamtlichen Helfern am Stand. 40 000 Euro kommen so ungefähr zusammen. Die Marktbesucher geben gerne, tragen ihre Sterne nach Hause und erzählen von zwanglosen Begegnungen mit Carolin Reiber, Andi Köpke, Günther Beckstein, Wolfgang Fierek oder Michaela May. Und die Berühmtheiten fahren wieder heim und berichten aller Welt von den wundervollen Anblicken und Düften, die es in dieser berauschenden Mischung nur an diesem einem Ort gibt…

Autor/in: 
Peter Budig
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2006, Seite 8

 
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