Für komplexe Projekte, deren Umfang zu Beginn noch nicht genau abzusehen ist, eignet sich das Verfahren des "Wettbewerblichen Dialogs".
Infrastrukturprojekte, schwierige Bau- oder EDV-Vorhaben, Kommunikationskonzepte und Messeauftritte. Bei solchen umfassenden Aufträgen ist am Anfang häufig nicht klar, welchen Umfang und welche Kosten sie annehmen können. Dies schaffte bisher Probleme bei öffentlichen Ausschreibungen. Das noch recht unbekannte Instrument des Wettbewerblichen Dialogs, das zum 1. September 2005 eingeführt wurde, soll Abhilfe im deutschen Vergaberecht schaffen. Rechtliche Grundlage ist das „Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften“ (kurz: ÖPP-Beschleunigungsgesetz), das vor eineinhalb Jahren in Kraft getreten ist.
Das Verfahren soll mittelständischen Unternehmen aus verschiedensten Branchen zusätzliche Chancen auf öffentliche Aufträge in ganz Europa eröffnen. Die Grundidee: Im Dialog mit dem Auftraggeber soll eine innovative und individuell passende Lösung für ein spezifisches Problem gefunden werden.
Geeignet ist dieses Instrument „zur Vergabe besonders komplexer Aufträge“, so das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen GWB (neu formulierter § 101 Absatz 5 GWB). Details beschreibt der ebenfalls neue § 6 a Vergabeverordnung. Hier wird definiert, welche Aufträge als „komplex“ gelten können: Vorausgesetzt wird „die objektive Unfähigkeit des Auftraggebers, technische Mittel oder rechtliche oder finanzielle Bedingungen eines Vorhabens anzugeben“. Der Wettbewerbliche Dialog kann dabei für Bauleistungen im Rahmen der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) ebenso angewandt werden wie für Liefer- und Dienstleistungen (nach der Verdingungsordnung für Leistungen VOL) oder für freiberufliche Leistungen (nach der Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen VOF).
Der Ablauf
Wenn der Auftraggeber das Instrument des Wettbewerblichen Dialoges nutzen will, muss er dies europaweit
bekannt geben und dabei seine genauen Bedürfnisse und Anforderungen erläutern. Im nächsten Schritt wählt der
Auftraggeber aus dem Kreis der interessierten Unternehmen die Teilnehmer am Dialog aus. Die Vergabeverordnung
legt lediglich fest (§ 6 a Absatz 3), dass der eventuell mehrstufige Dialog mit dem Ziel erfolgt,
Lösungsmöglichkeiten zu ermitteln und festzulegen. Dabei kann der Auftraggeber in jeder Phase entscheiden, welche
Unternehmen weiter am Dialog teilnehmen oder nach Abschluss des Dialogs schließlich ihr endgültiges Angebot auf
Basis der bis dahin erörterten Lösung vorlegen dürfen. Auf Wunsch des Auftraggebers sind Ergänzungen und
Präzisierungen der Angebote vorzunehmen, die jedoch keine grundlegenden, den Wettbewerb verfälschenden Änderungen
beinhalten dürfen.
In der Zuschlagsphase muss der Auftraggeber schließlich das wirtschaftlichste Angebot auswählen. In einem fortgesetzten Dialog – beschränkt auf das Unternehmen, das den Zuschlag erhält – kann er sich Einzelheiten erläutern lassen und weitere Änderungen in Auftrag geben.
An die Bieter stellt dieses Verfahren naturgemäß hohe Anforderungen: Dem trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass der Auftraggeber die Kosten für alle geforderten Entwürfe, Pläne, Berechnungen oder sonstigen Unterlagen angemessen erstatten muss. Das gilt für alle Unternehmen, die diese Unterlagen rechtzeitig vorgelegt haben. Weil ein „Ideenklau“ nicht ganz auszuschließen ist, wenn innovative Lösungsvorschläge offengelegt werden, ist zudem eine Verpflichtung zur Vertraulichkeit vorgesehen.
Positive Erfahrungen
Mittlerweile liegen erste Erfahrungen mit diesem Instrument vor. Sehr positiv bewertet wird der
Wettbewerbliche Dialog beispielsweise von der Kurt Hüttinger GmbH aus Schwaig bei Nürnberg. Das Ingenieurbüro hat
sich auf die Entwicklung von „außerschulischen Lernorten“ und interaktiven Ausstellungen
spezialisiert, in denen wissenschaftliche Phänomene erlebbar und im Wortsinne „begreifbar“ gemacht
werden. Kennzeichen dieser Ausstellungs- und Museumsprojekte sind die hohe Komplexität sowie die Tatsache, dass
die komplizierten Einzelanfertigungen im Voraus nicht genau kalkuliert werden können. Die endgültige Gestaltung
des Ausstellungskonzeptes entsteht laut Geschäftsführer Axel Hüttinger in der Regel erst in einem mehrstufigen
und schrittweisen Prozess: Auf ein erstes Konzept kann die Entwicklung von Prototypen folgen, dann eine
Versuchsphase und als deren Ergebnis möglicherweise weitere Schritte, um das Ausstellungskonzept zu optimieren.
In der Fachsprache wird diese Vorgehensweise „Design and Build“-Verfahren genannt: Planung und
Fertigung fließen ineinander, auf Versuchsergebnisse muss sehr flexibel reagiert werden. „Mit dem
Wettbewerblichen Dialog haben wir dafür nun eine formelle Grundlage“, so Hüttinger. Sie ermögliche es dem
öffentlichen Auftraggeber und dem Bieter, ein genau auf die Bedürfnisse abgestimmtes Angebot samt des
Gesamtbudgets gemeinsam zu erarbeiten und eine detaillierte Kostenrechnung und endgültige Budgetierung erst
während der Projekt-Laufzeit im gegenseitigen Vertrauen vorzunehmen.
Nach Worten von Axel Hüttinger sei es seinem Unternehmen dadurch nach mehreren erfolglosen Anläufen nun erstmals gelungen, bei Ausstellungsprojekten in Frankreich Fuß zu fassen. Bei den bisherigen Ausschreibungen habe man nach Abgabe des Angebotes höchstens eine Chance gehabt, die Leistungen zu präsentieren. Es sei damit kaum möglich gewesen, spezifischer auf Kundenwünsche einzugehen. Im Januar 2007 erhielt die Kurt Hüttinger GmbH im Wettbewerblichen Dialog den Zuschlag für das Palais de la Découverte, ein neues Ausstellungsprojekt in Paris. Geholfen habe dabei, dass bereits in der Angebotsphase Ideen, Konzepte und vorläufige Kostenschätzungen mit dem Kunden diskutiert werden konnten. „Das so erarbeitete Angebot wurde dann zu einer ordentlichen Vertragsgrundlage und dient jetzt in der Projektabwicklung als faire Arbeitsgrundlage für beide Seiten“, urteilt Axel Hüttinger.
Auftragsberatungszentrum informiert
Die erste Adresse in Bayern für alle Fragen zur Vergabe öffentlicher Aufträge – darunter auch zum
Wettbewerblichen Dialog und zu weiteren Neuerungen im Vergaberecht – ist das Auftragsberatungszentrum
Bayern e.V. (ABZ). Träger des ABZ sind die bayerischen IHKs und die Handwerkskammern. Unterstützt wird das ABZ
außerdem durch das Euro Info Centre München, finanziell gefördert wird die Einrichtung durch das Bayerische
Wirtschaftsministerium. Auf der ABZ-Homepage sind zahlreiche Merkblätter abrufbar: Sie informieren beispielsweise
über Nachweise, die von öffentlichen Auftraggebern bei der Eignungsprüfung gefordert werden können, oder über die
Vermeidung von Fehlern bei der Angebotsabgabe.