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Fliegender Wechsel

Ausländische Unternehmen erwarten in Fernost ein Heer an bienenfleißigen Arbeitskräften. In der Praxis erweist es sich aber als schwierig, gut ausgebildete Mitarbeiter zu finden und zu halten. Von Dr. Georgia Badelt (Text)/Petra Herberger (Illustration)

Es ist schwer, ausreichend qualifizierte Fachkräfte zu finden. Und wenn man sie mühsam ausgebildet hat, dann laufen sie weg, sobald ihnen woanders ein paar Renmimbi mehr geboten werden!“ Diese und ähnliche Klagen werden von vielen deutschen Unternehmen geäußert, die in China eine Niederlassung haben und lokales Personal beschäftigen.

Eine Umfrage unter mittelfränkischen Unternehmen hat ergeben, dass im technischen Bereich vor allem qualifizierte Werkzeugmechaniker, Mechatroniker und Elektroniker händeringend gesucht werden. Auf Führungsebene besteht ebenfalls ein akuter Mangel. Westliche Firmen liefern sich vor Ort einen Kampf um die Talente. Erschwerend kommt hinzu, dass die chinesischen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz häufig wechseln. Für Markteinsteiger ist es vielleicht tröstend, wenn man Mitarbeiter von Konkurrenten relativ leicht abwerben kann. Ist man aber an einer längerfristigen Personalplanung interessiert, dann stehen jedem Personalchef in China aufgrund des ständigen Wechsels die Haare zu Berge: Denn während die Fluktuationsrate weltweit durchschnittlich bei sechs Prozent liegt, bringt es China auf 13 Prozent. In einigen Regionen wie zum Beispiel in Shanghai kann es passieren, dass ein Viertel der Belegschaft jährlich ersetzt werden muss.

Mit dieser Situation sehen sich außenwirtschaftsorientierte Unternehmen aber nicht nur im Reich der Mitte konfrontiert. Ähnliche Verhältnisse herrschen in Indien und anderen asiatischen Märkten. Grund für den gravierenden Personalmangel: Die Ausbildungssysteme hinken der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung hinterher.

In China baut das Bildungssystem auf die Jahrtausende alte Tradition des repetitiven Lernens auf: Schüler und Studenten sind stille Zuhörer, das Vorgetragene wird auswendig gelernt, Antworten werden vorgegeben. Kritisches, selbstständiges Denken, Abstraktionsvermögen, die Anwendung des Erlernten auf die Praxis und die Problemlösung werden nicht gefördert.

Im Klartext: Die Lehrpläne berufsbildender Einrichtungen sind wenig an den Bedürfnissen der Wirtschaft ausgerichtet; eine Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, wie es sie in Deutschland beispielsweise im Rahmen der dualen Ausbildung gibt, besteht nicht. Dies setzt sich auf Ebene der Führungs-Nachwuchskräfte fort: Absolventen der Ingenieurwissenschaften verfügen über ein ausgeprägtes Detailwissen, auf das deutsche Kommilitonen neidisch blicken, aber sie haben keine Erfahrung in der Anwendung. Systemorientierte Ansätze sind ihnen in der Regel fremd. Zudem verstehen sich die Ingenieure als „white collar“, die ungern die Ärmel hochkrempeln. Die Stellen des technischen Vertriebs und der Produktionsleitung sind entsprechend schwer mit lokalem Personal zu besetzen.

Illustration Bienen (Petra Herberger)

Duale Berufsausbildung
Deutsche Unternehmen müssen also in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter vor Ort investieren. Stellt sich angesichts der lokalen Lehrmethoden nur die Frage, wo und wie die Qualifizierung erfolgen kann. Deutsch-chinesische Projekte der Berufsbildung sowie Initiativen einzelner Unternehmen sind hier wichtige Anknüpfungspunkte. Die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) sind zwei deutsche Institutionen, die sich auf diesem Feld engagieren.

Berufsbildungsstätten wurden von der HSS in Kooperation mit lokalen Institutionen in Nanjing und Shanghai ebenso wie an Standorten in den Provinzen Shandong und Hubei gegründet. Am bekanntesten ist das Zentrum in Shanghai, das vor mehr als 20 Jahren zusammen mit der Bildungskommission Shanghai und der Shanghai Instrumentation & Electronics Holding Group eingerichtet worden ist. Hier werden Facharbeiter nach dem dualen System ausgebildet. In Kooperation mit der Industrie werden auch maßgeschneiderte Weiterbildungskurse im kaufmännischen und technischen Bereich angeboten. Mit zahlreichen deutschen Firmen wie Siemens, Schaeffler und Zerma gibt es Ausbildungsvereinbarungen. Die Berufsbildungszentren in Nanjing und den anderen genannten Standorten sind ähnlich strukturiert, sie führen sowohl eine Erstausbildung durch als auch Weiterbildungskurse.

Dass in China ein immenser Bedarf an einer praxisausgerichteten Berufsausbildung besteht, haben auch die deutschen berufsbildenden Einrichtungen erkannt, die sich zunehmend auf dem chinesischen Bildungsmarkt engagieren. Die Stiftung Bildung & Handwerk führt beispielsweise Weiterbildungsmaßnahmen für deutsche Unternehmen im Einzugsgebiet von Suzhou durch. Eine Erstausbildung in den Bereichen Kfz-Technik, Metallbearbeitung und Elektrotechnik wird derzeit in Zusammenarbeit mit der deutschen InWent aufgebaut.

Über diese Möglichkeiten zur Rekrutierung und Qualifizierung hinaus bauen deutsche Firmen auch eigene Ausbildungskapazitäten auf. In mehreren Fällen kann für deren Aufbau und die Betreibung eine Teilfinanzierung durch die öffentliche Hand in Höhe von 50 Prozent erfolgen. Bei solchen Projekten der privat-öffentlichen Partnerschaften (PPP) werden die Ausbildungseinrichtungen öffentlich zugänglich gemacht, sodass auch andere (deutsche) Firmen Zugang haben und ihre Mitarbeiter hier qualifizieren lassen können. Ein Beispiel ist ein Projekt von BMW in Nordchina, bei dem in Zusammenarbeit mit der GTZ Lehrpläne für Mechatroniker und auch für Ausbilder erarbeitet werden. An ausgewählten Schulen werden in der nördlichen Provinz Liaoning ebenso wie in Tianjin und im südchinesischen Zhuhai die neuen Curricula nun eingeführt.

Für kleinere und mittlere Unternehmen, die nicht im Einzugsgebiet der erwähnten deutsch-chinesischen Einrichtungen liegen, ist eine Zusammenarbeit mit chinesischen berufsbildenden Institutionen zu erwägen. Hier bieten sich besonders solche an, deren Lehrer im Rahmen von Projekten der deutsch-chinesischen Entwicklungszusammenarbeit ausgebildet worden sind. So bestehen in den Provinzen Jiangxi und Shaanxi Projekte, die von deutscher Seite durch die GTZ koordiniert werden und auf die Fortbildung von Lehrern abzielen.

Die Suche nach Führungskräften ist angesichts der grundsätzlichen Defizite im Bildungssystem zwar nicht leicht, aber in der Regel weniger aufwändig als im Fall von technischen Fachkräften. In der Phase der Firmengründung bietet sich für deutsche Firmen vor allem der Weg über den Vermittlungsservice der Auslandshandelskammern (AHK) an, die dank ihrer Online-Jobbörse guten Zugang zu Nachwuchskräften haben, die in der Regel Deutsch- und/ oder Englischkenntnisse haben und bereits über die ersten Erfahrungen in ausländisch finanzierten Unternehmen verfügen. Sofern Mitarbeiter gesucht sind, die über ausgeprägte Netzwerke in einer bestimmten Branche verfügen sollen, ist es empfehlenswert, sogenannte Headhunter einzuschalten.

Natürlich sind auch beim Führungsnachwuchs Abstriche zu machen und der Weiterbildung ist ein hoher Stellenwert einzuräumen. Dies gilt vor allem für Themen wie Projektmanagement, Kundenmanagement und technischen Vertrieb. Fortbildungsmöglichkeiten bieten beispielsweise die AHKs an.

Die Investitionen in die Qualifizierung der Mitarbeiter zahlen sich in der Regel aus: Denn abgesehen von einer Effizienzsteigerung können Mitarbeiter durch Weiterbildung stärker an die Firma gebunden werden – nicht unwichtig angesichts der hohen Fluktuation in China. Selbstverständlich sind auch andere Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung erforderlich: ein angemessenes Gehaltssystem gehört hierzu ebenso wie ein Führungsstil, der den kulturellen Gegebenheiten, konkret den im Land üblichen Entscheidungsstrukturen, dem Hierarchiedenken und dem Kommunikationsstil Rechnung trägt.

Autor/in: 
Dr. Georgia Badelt ist Asien-Referentin bei der IHK Nürnberg für Mittelfranken
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2008, Seite 24

 
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