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Gibt es eine Ordnung im Chaos?

Ein IHK-Symposium zeigte auf, wie die neuen Internet-Technologien die Wirtschaft verändern. Von Peter Budig

Es sind wilde, chaotische Zeiten angebrochen, seit aus dem immer schon unüberschaubaren, vielknotigen Internet das sogenannte Web 2.0 hervorging. Der Name täuscht eine Ordnung vor, die es nicht gibt: Es handelt sich keineswegs um die neue, verbesserte Version einer Software – hier geht es um millionenfaches eigeninspiriertes Handeln, um Anarchie, reines Chaos, hier tummeln sich Millionen User ohne jede Kontrolle.

Tim O'Reilly, der amerikanische Computerbuchverleger, der den Begriff Web 2.0 vor drei Jahren erfand, hat mit einer kleinen Tabelle den Wandel veranschaulicht: Aus dem Online-Angebot eines großen Lexikonverlages Britannica Online wurde Wikipedia, aus dem Bildportal OFoto wurde Flickr. Wer früher, wohlgeordnet, seine Website online stellte, bloggt heute wo er mag. Manche neue Plattformen, wie das Business-Netzwerk Xing, geben noch klare Regeln und einen definierten Nutzen vor – doch auch hier existieren Clubs und Gruppen, die endlos wuchern und die kein Mensch mehr überschauen kann. Die Gretchenfrage unserer Zeit wurzelt in tiefer Ratlosigkeit: Wie kann man diese neuen Kommunikationsformen im Unternehmen nutzen, welche ganz neuen Geschäftsmodelle sind möglich, wie entwickelt man erfolgsversprechende Businesspläne?

Das IHK-Symposium "Wie das neue Internet die Wirtschaft verändert" war für kaum mehr als einen halben Arbeitstag angesetzt. Es versuchte sich an der komplexen Aufgabe, Fragen zu sortieren, Antworten zur Diskussion zu stellen und Techniken vorzustellen. Etwa 60 Führungskräfte aus der Metropolregion hörten zwei Vorträge und wählten zwei aus vier Workshops – und verließen das Schulungszentrum mit deutlich mehr Klarheit als zuvor. Schon der Eröffnungsvortrag des Leipziger Medienwissenschaftlers Prof. Dr. Ansgar Zerfaß schaffte es, einen laserfeinen roten Faden der Erkenntnis zu weben. Hat das anarchische Web 2.0 überhaupt geschäftliche Relevanz oder ist es einfach eine Jugendbewegung, fragte er anfangs dialektisch. Ein überraschendes Umfrageergebnis gibt mehr als einen Wink: 20- bis 23-jährige Akademiker (!) beziehen ihre aktuellen Informationen fast ausschließlich häppchenweise aus dem Netz. Die Printausgaben von FAZ, Süddeutsche, Bild und sogar des Spiegel, die täglichen TV-Nachrichten um 20 Uhr als Informationsträger besitzen für die Führungskräfte von morgen kaum mehr Relevanz. Printobjekte als Werbeträger, folgert Zerfaß, können nur überleben, wenn sie die Glaubwürdigkeit als Qualitätsmerkmal stärken.

Mit nahezu mathematischer Präzision zeigte der zweite Hauptreferent Andreas Duscha (E-Commerce-Center Handel in Köln), wie es jedermann selbst in der Hand hat, seinen Webauftritt zu optimieren: "Überleben in der Google-Welt" – so der provokante Titel seines Vortrags. Suchmaschinenmarketing heißt das Zauberwort, das sich Erkenntnisse über die Vorgehensweise der verschiedenen Betreiber zunutze macht und mit dessen Hilfe man seine Internet-Seite auf die vorderen Ränge bei Google und Konsorten katapultieren kann. Wer den Vortrag hörte und anschließend noch den vertiefenden Workshop besuchte, weiß jetzt: Es gibt nicht die eine Vorgehensweise, die Erfolg verspricht, vielen Einzelmaßnahmen optimieren den Webauftritt, sorgen für gute Platzierungen bei den Suchergebnissen oder verbessern die Qualität der Kontakte, die aufgrund von Online-Werbung entstehen.

Christian Koch (Chef des Münchner Software-Hauses Scandio) wagte sich mit seinem Workshop vollends in den Dschungel der Unwägbarkkeiten. "Social Networks, Mash-ups, virtuelle Identitäten" – hier handelt es sich nicht mehr nur um "feingranulare Information", sondern um das eigentlich Revolutionäre im Web 2.0 – die unglaubliche Vielfalt der neuen sozialen Netzwerke. Weltweit erteilen Millionen von Individuen freigiebig und freiwillig Auskunft, stellen ihr Leben ins Netz und liefern so Daten, die für Werber Gold wert sind. Mediakonzerne investieren Millionensummen, ohne echten Businessplan: "Burda kauft Frau zu Salm, die mit 70 Mitarbeitern im Nebel stochert, um dort neue Geschäftsfelder zu finden", so Koch.

Konkreter sind da die Informationen, die Rechtsanwalt Oliver Wanke aus Iphofen in seinem Workshop "Rechtliche Fallstricke im Web 2.0" zu verteilen hatte. Auch Matthias J. Lange (Digital Production/Reed Business Information aus München) war an greifbarem Nutzwert gelegen. Auf welchem Weg der mittelständische Unternehmer Werkzeuge wie Podcasts, Vcasts oder IPTV nutzen kann, um ganz konkret ein Produkt zu bewerben und zu verkaufen, war sein anschaulich vermitteltes Anliegen.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2008, Seite 16

 
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