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Europapolitik

Direkter Draht nach Brüssel

80 Prozent aller Gesetze, die bayerische Unternehmer betreffen, werden von der Europäischen Union beschlossen. Somit kann es niemandem gleichgültig sein, wer in Brüssel an der Macht ist und was die EU-Politiker planen. Gut, wenn man die wichtigsten Lobbyisten kennt und die IHK als Pfadfinder nutzt.

Von München nach Brüssel sind es gerade einmal 800 Kilometer, mit dem Flugzeug braucht man weniger als 80 Minuten. Doch das politische Brüssel ist für viele bayerische Unternehmer Lichtjahre entfernt. Mit der großen Politik hat man als kleiner Unternehmer nichts zu schaffen, so die landläufige Meinung. Und das, was in Brüssel entschieden wird, wird sowieso über die eigenen Köpfe hinweg entschieden.

Wer so denkt, liegt zweimal falsch. Erstens werden mittlerweile gut 80 Prozent aller wirtschaftsrelevanten Gesetze und Verordnungen, die in Deutschland in Kraft treten, von der Europäischen Union beschlossen – womit die Relevanz der EU und ihrer Institutionen klar sein dürfte. Zweitens entscheiden die Politiker dieser Institutionen keineswegs nach Gutsherrenart. Im Gegenteil: Der Mittelstand hat die Macht, Gesetze mitzugestalten. Bayerischen Unternehmern stehen etliche Möglichkeiten offen, Einfluss auf die Politik in Brüssel zu nehmen.

Das beginnt schon mit dem Gang zur Wahlurne, wo jeder Bürger mit seinem Kreuzchen mit entscheidet, wie sich das Europäische Parlament zusammensetzt. Und gerade dem Parlament kommt in Brüssel eine entscheidende Rolle zu. "Jeder Vorschlag der Kommission wird vom Parlament kritisch gewürdigt", sagt Alexander Radwan (CSU), bis Dezember letzten Jahres selbst Parlamentarier in Brüssel. Und häufig trägt diese Kritik auch Früchte, wie die aktuelle Entwicklung im Fall IFRS zeigt: Die Kommission folgte den Vorschlägen des Parlaments, die internationalen Rechnungslegungsvorschriften IFRS nicht auf kleine und mittelständische Unternehmen anzuwenden.

Zustande kommen solche für den Mittelstand positiven Neujustierungen geplanter Richtlinien nicht nur durch den Einsatz der Parlamentarier, sondern auch durch die Mithilfe von Unternehmen. Denn aus ihren Bedenken und Anregungen speisen sich viele der Vorschläge, die das Parlament der Kommission unterbreitet. "Wenn sich ein Unternehmer ans Parlament wendet, wird er immer auf offene Ohren stoßen", sagt Radwan, mittlerweile Mitglied des Bayerischen Landtages. Dabei muss der Unternehmer, um einen direkten Draht zum Parlamentarier zu bekommen, nur zum Telefonhörer greifen – und häufig wird er sogar ein Ortsgespräch führen. Schließlich haben die Abgeordneten nicht nur einen Schreibtisch in Brüssel, sondern auch ein Stimmkreisbüro in der Heimat.

Ähnlich kurz und ebenfalls lohnenswert sind die Wege zur Münchner Regionalvertretung der EU-Kommission sowie zum Informationsbüro des Europäischen Parlaments. Auch deren Mitarbeiter beantworten Fragen und leiten Kritik weiter. Das Münchner Parlaments-Büro organisiert außerdem Veranstaltungen zu europäischen Themen und stellt ausführliches Informationsmaterial zur Verfügung. Einen direkten Draht nach Europa hat man außerdem über das Enterprise Europe Network, an dem die IHK München als Partner beteiligt ist. Es ermöglicht Unternehmern, ihrem Ärger mit dem Binnenmarkt, zu Richtlinien, Verordnungen sowie geplanten Gesetzesvorhaben auf EU-Ebene Luft zu machen. Dieses Beschwerdemanagement wird neudeutsch "Business Feedback" genannt. "Auf der Homepage der IHK München unter www.muenchen.ihk.de, Stichwort "Ärger mit der EU" kann jeder Unternehmer sein Anliegen kurz darlegen", sagt Manfred Gößl, Leiter der Außenwirtschaftsabteilung bei der IHK München. "Die Probleme leiten wir dann direkt nach Brüssel weiter."

Es mangelt also keineswegs an Möglichkeiten, seine Stimme zu erheben und Einfluss auf die EU-Politik zu nehmen. Eher hapert es daran, dass der Mittelstand diese Möglichkeiten nicht in vollem Umfang nutzt, findet Radwan. "Der Mittelstand verkauft sich unter Wert", sagt der Politiker. Mit dem Argument, man habe im Tagesgeschäft genug um die Ohren, kümmerten sich die Firmenchefs nicht um die Politik. Und mit dem Argument, es koste zu viel Geld, kritisierten manche Unternehmer sogar, dass ihre Verbände oder Kammern Repräsentanzen in Brüssel unterhalten. "Das ist kontraproduktiv", sagt Radwan. "Die Unternehmer sollten die Vertreter ihrer Organisationen vielmehr dazu animieren, in Brüssel Flagge zu zeigen."

IHKs nehmen Einfluss
Die deutschen IHKs zeigen Flagge. Über ihren Dachverband, den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), sind sie mit einem Büro in Brüssel präsent. Durch den regen Dialog mit den Vertretern des Parlamentes, des Rates, der Kommission, des Wirtschafts- und Sozialausschusses, des Ausschusses der Regionen, dem Gerichts- und Rechnungshof sowie der Ständigen Vertretung wissen Büroleiter Thomas Ilka und seine Mitarbeiter stets über geplante Gesetzesvorhaben Bescheid. Und zwar früh genug, um strittige Punkte aufgreifen und eigene Vorschläge unterbreiten zu können. Diese bringen die DIHK-Mitarbeiter allerdings nicht im Alleingang zu Papier, sondern mit Unterstützung der regionalen IHKs, die die Interessen ihre Mitglieder schließlich am besten kennen. "Wir hier in Brüssel sind auch deshalb in der Lage, so viel zu bewegen, weil wir auf eine leistungsstarke Organisation in Deutschland zurückgreifen können", sagt Ilka.

Dachorganisation "Eurochambres"
Gleichzeitig kann der DIHK auf die Dachorganisation "Eurochambres" zurückgreifen, sobald es um Angelegenheiten geht, die nicht nur Deutschland, sondern mehrere Mitgliedsstaaten betreffen. Dass man sich in diesen Fällen zusammenschließt, ist sinnvoll: Eurochambres spricht mit nur einer Stimme, die aber ist umso lauter.

Trotzdem verliert man auch bei der europäischen IHK-Dachorganisation nicht den Kontakt zur Basis. Unternehmer sind willkommen, so beispielsweise letztes Jahr im Oktober, als man für einen Tag das "Parlament der Unternehmer" ins Leben rief. In Anlehnung an die insgesamt 785 Parlamentarier aus 27 Ländern diskutierten im Unternehmer-Parlament annähernd 785 Unternehmer aus 27 Ländern mit EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering und anderen Abgeordneten und Kommissaren.

Im Vergleich zu einer solchen Veranstaltung sind Fleißarbeiten eher dröge. Doch wer Ergebnisse sehen will, muss stetige Lobbyarbeit auf mehreren Ebenen betreiben. Im Wahljahr 2009 gehören dazu auch die "Europapolitischen Positionen der IHK-Organisation". Dieses gut 30-seitige Papier mit Forderungen und Stellungnahmen hat der Bayerische Industrie- und Handelskammertag (BIHK) den maßgeblichen Parteien, die sich in Bayern zur Europawahl stellen, überreicht.

Dass man nur durch stete Arbeit etwas bewirkt, weiß auch Heidrun Piwernetz. Deshalb ist die Leiterin der Bayerischen Vertretung in Brüssel auch besonders stolz darauf, dass bei der Neuregelung für die Strukturfondsförderung die "klassische Mittelstands-Förderung weiterhin erhalten geblieben ist". Die Bayerische Staatsregierung habe sich über ihre Landesvertretung in Brüssel und gemeinsam mit den anderen Landesvertretungen erfolgreich dafür eingesetzt. Zuvor hatten Kommission und Mitgliedstaaten in ihren Vorschlägen beabsichtigt, nur Vorhaben mit Innovationscharakter oder zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zu fördern. "Der Bau einer neuen Produktionshalle wäre unter diesen Umständen aus der Förderung herausgefallen", sagt Piwernetz. Nun sind solche Vorhaben erneut im Förderkatalog drin. Insbesondere der Mittelstand profitiert davon.

Möglich sind solche Erfolge, weil die Vertretung in Brüssel ein "Frühinformationssystem" betreibt. "Wir haben Ohren und Augen immer weit offen und wissen daher stets frühzeitig, was in Brüssel läuft", sagt Piwernetz. Und weil diese Informationen wiederum unverzüglich an die Ministerien weitergeleitet werden, kann die Bayerische Staatsregierung, falls nötig, eingreifen.

Autor/in: 
Sabine Hölper
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2009, Seite 10

 
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