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Markt und Moral

Der ehrbare Kaufmann

Wie kann dieses Leitbild, das im frühen Mittelalter entstanden ist, den Unternehmen auch heute noch Orientierung bieten? Von Prof. Dr. Nick Lin-Hi

Die frühen Handelsreisenden waren mit der Situation konfrontiert, dass ihnen die Bürgerinnen und Bürger vielfach skeptisch gegenüberstanden. Oft begegnete ihnen auf ihren Reisen das Vorurteil, in betrügerischer Absicht unterwegs zu sein. Und früher wie heute macht man ungern Geschäfte mit jemandem, dem man nicht vertraut. Insofern standen die Kaufleute vor der Aufgabe, Vertrauen in der Gesellschaft aufzubauen.

Um diese und andere Herausforderungen anzugehen, erarbeiteten die Kaufleute gemeinsam Voraussetzungen für gute Geschäfte. Im Laufe der Zeit entstanden etwa Beweis- und Gerichtsverfahren, das Kaufmannsrecht von „Treu und Glauben“ oder eben das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns.

Mit diesem Leitbild wurden hinreichend verbindliche Prinzipien für die Kaufmannschaft geschaffen. Die Prinzipien prägten das Handeln der Kaufleute und ermöglichten Erwartungssicherheit. Man konnte sich auf das Wort des Kaufmanns verlassen und davon ausgehen, nicht über den Tisch gezogen zu werden.

Vertrauen schaffen

Das Leitbild etablierte sich zu einer allgemeingültigen Norm bezüglich guter und verantwortungsvoller Geschäfte. Es lieferte sowohl den Kaufleuten Orientierung, was sie (nicht) zu tun hatten, als auch den Bürgerinnen und Bürgern im Hinblick darauf, was sie von den Kaufleuten erwarten konnten. Das Handeln der Kaufleute im Sinne des ehrbaren Kaufmanns schaffte in der Gesellschaft Vertrauen und bereitete so den Weg für die Erfolgsgeschichte der Kaufleute.

Betrachtet man die Einstellung der heutigen Bürgerinnen und Bürger zu Unternehmen und auch ganz allgemein zum marktwirtschaftlichen System, so wird deutlich, dass wir wieder Wege finden müssen, um die Voraussetzungen erfolgreicher Wertschöpfung zu schaffen. Diverse Umfragen zeigen, dass das Vertrauen in Unternehmen und Marktwirtschaft in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist. Unternehmen haben mehr und mehr das Vorurteil gegen sich, Gewinne auf unmoralische Art und Weise zu erzielen.

Die frühen Kaufleute haben vorgemacht, wie man Vertrauen in der Bevölkerung schaffen kann. Zweifelsfrei sind die Bedingungen des Wirtschaftens heute nicht mehr vergleichbar mit denen von vor einigen hundert Jahren. Und doch hat die Grundidee des ehrbaren Kaufmanns nicht an Aktualität verloren. Diese Grundidee sei am Beispiel des Odysseus verdeutlicht.

Eines seiner Abenteuer führte Odysseus zu den Sirenen, deren lieblicher Gesang den Zuhörer in den Tod trieb. Odysseus sehnte sich danach, den Gesang der Sirenen zu hören, wollte dafür allerdings nicht mit dem Leben bezahlen. Um diesem Dilemma zu entgehen, ersann er eine List. Er ließ sich von seiner Mannschaft an den Mast seines Schiffes binden, sodass er nicht von den Sirenen in den Tod getrieben werden konnte. Damit konnte Odysseus dem Gesang der Sirenen lauschen, ohne sterben zu müssen.

Die Geschichte von Odysseus verdeutlicht die Idee der Selbstbindung. Sie zeigt, dass es für Akteure vorteilhaft sein kann, sich freiwillig bestimmte Selbstbindungen aufzuerlegen. Eben diese Idee liegt dem Leitbild des ehrbaren Kaufmanns zugrunde. Der ehrbare Kaufmann band sich selbst an bestimmte Grundsätze, um nachhaltigen Erfolg zu fördern. Und genau hieraus leitet sich die Verantwortung des heutigen Unternehmers ab: Unternehmerisches Handeln ist so auszurichten, dass die Bedingungen des zukünftigen Erfolgs nicht gefährdet werden.

Basis für die Zusammenarbeit

Unternehmen sind zur Gewinnerzielung darauf angewiesen, dass zahlreiche Akteure – etwa Mitarbeiter, Kunden, Zulieferer oder Investoren – mit ihnen kooperieren. Akteure werden dies aber nur dann tun, wenn ihnen hierfür eine Gegenleistung versprochen wird und wenn sie darauf vertrauen können, dass sie diese Gegenleistung auch erhalten. Vertrauen ist daher eine zentrale Voraussetzung für Kooperationen und damit ein Vermögenswert.

Vertrauen fällt allerdings nicht vom Himmel, sondern verlangt Investitionen. Letztendlich lässt sich dies auf den Imperativ zuspitzen: Versprechen sind zu halten! Vertrauen wird dadurch aufgebaut, dass Worte und Taten zueinander passen.

Nun ist es relativ einfach zu behaupten, man sei vertrauenswürdig. Ungleich schwieriger ist es, dies unter den Bedingungen des wirtschaftlichen Alltags umzusetzen. Unter Wettbewerbsbedingungen, unter Kosten- und Zeitdruck existieren vielfach Anreize zur kurzfristigen Gewinnerzielung zu Lasten Dritter. Etwa wenn Leistungen verkauft werden, die sich an Provisionen orientieren und nicht an den Bedürfnissen des Kunden. Wenn Abonnements entgegen der Versicherung bei Vertragsabschluss nicht automatisch enden, sondern weitergeführt werden. Oder wenn an Sicherheitsstandards gespart wird, infolgedessen es zu Unfällen kommt.

Ehrlichkeit als Vermögenswert

Unternehmer haben die Verantwortung, problematische Formen der kurzfristigen Gewinnerzielung zu vermeiden. Es ist zu betonen, dass es hierbei nicht um Verzicht geht, sondern um eine Investition. Es ist eine Investition in Vermögenswerte wie Vertrauen, Integrität oder Reputation und damit eine Investition in die Bedingungen zukünftigen Erfolgs. Bereits der ehrliche Kaufmann wusste, dass diese Vermögenswerte für ein erfolgreiches Geschäft unabdingbar sind.

Externer Kontakt: Prof. Dr. Nick Lin-Hi ist Inhaber der Junior-Professur für Corporate Social Responsibility an der Universität Mannheim (http://lin-hi.bwl.uni-mannheim.de). Mehr Informationen zum Ehrbaren Kaufmann finden Sie unter www.ihk-nuernberg.de/ehrbarer_kaufmann.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 08|2010, Seite 16

 
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