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Was macht eigentlich...?

Michel Lindenberg

Er ist Pionier des Internets – und trotz der „Neue-Markt-Katastrophe“ vor zehn Jahren der Faszination des World Wide Web bis heute erlegen. Seine neue Website „stayfriends.de“ ist der Dachboden des Internets – die Schatztruhe der Erinnerungen.

Lindenberg ist bekannt über die Branche hinaus. Fragt man in Wirtschaftskreisen, fällt dem Gesprächspartner meist gleich ein: „Das war doch der Macher von WWL.“ 1995 war das Internet noch ein Traum von ein paar Insidern, zu denen der Informatiker gehörte. Sie programmierten früh komplexe Shop-Systeme für den Versandhandel, u.a. für Quelle. WWL boomte im Goldrausch des Neuen Marktes. „Wir haben die Schaufeln für die Goldgräber produziert“, teilweise beschäftigte das Nürnberger Unternehmen über 400 Mitarbeiter, erinnert sich Lindenberg an sehr erfolgreiche Zeiten, als allerdings auch an Joggen gar nicht zu denken war, „denn alle meine Gedanken, Tage, Nächte, Wochenenden gehörten der Entwicklung der Firma“.

Im Rückblick erscheint manches in anderem Licht. „Von den großen Schaufelverkäufern hat keiner überlebt“, erinnert sich Lindenberg, den es 2001 erwischte: „Wir brauchten dringend frisches Kapital, der Investor wollte einen Neuanfang, ich war einer der alten Zöpfe, die abgeschnitten werden sollten“, erzählt er ohne Bitterkeit. „Das Tempo war einfach zu hoch, wir waren lauter ganz junge Leute, Berufseinsteiger voller Enthusiasmus, ohne Erfahrung von Geschäftsführung oder Projektoptimierung. Es gab auch gar keine anderen als uns, alles war ja völlig neu“, so Lindenbergs Analyse des Zusammenbruchs.

Lindenberg nutzte die Zwangspause zum Nachdenken, lotete Möglichkeiten aus, suchte, was zu ihm passen könnte. Als WWL im August 2002 Konkurs anmeldete, „hab ich die Details schon gar nicht mehr mitbekommen“. Schon seit Anfang des Jahres verfolgte er intensiv die möglichen Chancen eines erfolgreichen Startup-Internet-Unternehmens in Deutschland, das in Großbritannien Erfolge feierte: www.friendsreunited.com heißt die Seite dort noch heute. Bei diesem Konzept stimmen die Rahmenbedingungen für den Analytiker Lindenberg, der gerne betont, wie „ein Ingenieur zu denken, nicht wie ein Marketing-Experte“. Das Prinzip von „stayfriends“, wie Lindenbergs deutsche „Schüler-bleiben-Freunde“ bis heute heißt, ist einfach: Eine Datenbank aller Schulen in Deutschland ermöglicht den Nutzern, die eigene Schullaufbahn zu dokumentieren. Je mehr Menschen mitmachen, desto engmaschiger wird das Netz und hilft nicht nur beim Organisieren von Klassentreffen: Was ist aus dem Mathe-Genie geworden oder wo lebt dieses sportliche Mädchen heute, das damals alle Herzen höher schlagen ließ? Lindenberg spürte: „Ich bekomme hier eine zweite Chance in meinem beruflichen Lieblingsfeld.“ Und er war überglücklich, sich nicht als Informatiker irgendwo anbieten zu müssen. Was ihn von seinem Konzept so überzeugt sein lässt, ist weniger, dass er das Grundbedürfnis der Menschen nach Kommunikation und Austausch bedient, sondern die Langlebigkeit seiner Idee: „Die Informationen, die wir sammeln, werden immer wertvoller, je älter sie sind. Wenn wir uns heute eine Abiturzeitung besorgen, interessiert die in den nächsten Jahren niemand. Aber je mehr Zeit vergeht, desto größer wird das Interesse an alten Fotos und Geschichten.“

Das sind die Tatsachen, die ihm das Gefühl vermitteln, „auf einem etwas schwerfälligen, gleichwohl sehr stabilen Tanker zu sitzen, der auch mal einem Unwetter trotzen kann“. In den ersten Jahren nach der Gründung war das freilich nicht absehbar, denn viel Konkurrenz griff diese Idee auf. „Aber mir kam jetzt die WWL-Erfahrung zugute und die Fähigkeit, ein Projekt mit Durchhaltevermögen zu entwickeln.“ Geld verdient wurde zunächst nicht; 2003 flog Lindenberg nach Seattle, wo die amerikanische Firma sitzt, die „classmates.com“ betreibt. „Ich saß auf der Terrasse und blickte auf den Stammsitz von Amazon und war glücklich, denn ich konnte es mit den Händen greifen: Das Internet bringt hier Geschäftsmodelle hervor, die sich dauerhaft gewinnbringend betreiben lassen.“

Die Amerikaner übernahmen stayfriends komplett und Lindenberg ist seither Geschäftsführer im eigenen Haus. „Das ist schon ein kleiner Wermutstropfen. Aber ich hatte plötzlich das Kapital, stayfriends weiter zu entwickeln, Leute einzustellen, mich am Markt durchzusetzen. Das wog den Verlust der Eigenständigkeit auf.“ 100 Mitarbeiter an den Standorten Erlangen und Berlin beschäftigt stayfriends heute, zehn Mio. Menschen sind alleine in Deutschland angemeldet, in Frankreich, Schweden, Österreich und der Schweiz kommen noch einmal zehn Mio. hinzu. Mit Werbung und Mitgliedsbeiträgen schreibt das Ehemaligenportal längst schwarze Zahlen. Die Mitgliedschaft ist zwar kostenlos, für 24 Euro im Jahr kann man zusätzliche Funktionen nutzen, welche die Kommunikation mit alten Freunden erleichtern. stayfriends funktioniert umgekehrt wie nahezu alle anderen Geschäftsmodelle des WWW: „Die Leute besuchen die Plattform nicht besonders oft, aber sie bleiben Mitglied. Wer einmal Gold-Mitglied ist, kündigt selten.“ Die Zeit, weiß Michel Lindenberg, Mann der ersten Stunde, sie läuft heute für ihn: Immer mehr Menschen tragen sich ein, das feine Netz, das Nutzwert schafft, wird engmaschiger. Sein Traum ist längst kein Luftschloss mehr.

Vita

  • Geboren 1961 in einem Vorort von Brüssel, wuchs in Erlangen auf, wo er auch Informatik studierte.
  • 1995 Mitbegründer der WWL Internet AG, heute Geschäftsführer von stayfriends, das 2010 seinen zehn Millionsten Nutzer feierte.
  • Michel Lindenberg ist verheiratet und hat drei Kinder im Alter von drei bis elf Jahren.
Autor/in: 
Peter Budig
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 08|2010, Seite 41

 
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