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Work-Life-Balance

Von Anfang an im Gleichgewicht

Wer sich selbstständig macht, muss mit hoher Arbeitsbelastung rechnen. Wie kann man vermeiden, dass man sich überfordert?

Selbstständig zu arbeiten, heißt in erster Linie selbst und ständig zu arbeiten“, stellt die Psychologin Dr. Dagmar Siebecke fest. Die Wissenschaftlerin und fünffache Mutter hat das Düsseldorfer Burnon – Zentrum für Burnout-Prävention aus der Taufe gehoben und weiß, wovon sie spricht. In ihrer Studie „Freelancer unter Dauerstress – IT als neue Burnout-Branche“ hat sie festgestellt, dass jeder zweite IT-Freiberufler über „vermutlich arbeitsbedingte psychische Probleme“ klagt. Muskel- und Skelettbeschwerden sind sogar für zwei von drei Alleinselbstständigen ein Problem. Die Studie wurde gemeinsam mit der TU Dortmund erstellt, an der Siebecke hauptberuflich arbeitet. 

Erforschung des Burnouts

Die TU Dortmund ist einer der bundesweit 39 Forschungspartner beim bundesweiten Metaprojekt „Balance von Flexibilität und Stabilität in einer sich wandelnden Arbeitswelt“ des Bundesbildungsministeriums. Koordiniert wird die Forschungsallianz vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik 1 und dem Institut für Soziologie der Universität Erlangen-Nürnberg.

Doch während das Burnout-Syndrom, das Ausgebranntsein als Langzeitfolge einer gescheiterten Work-Life-Balance, die Wissenschaftler auf Trab hält, gilt es in der Unternehmerwelt vielfach noch als Tabuthema. Insbesondere bei Existenzgründern, die einen „erheblichen Druck im Kopf“ haben, spielt dieses Thema keine Rolle. Christian Nowak, langjähriger IHK-Gründerberater und nun selbstständig mit der Erlanger Beratung Rat & Tat, ergänzt: „Es geht um Bonität, Businesspläne und Kreditfähigkeit.“

Er hat zwar von den über 8 000 Gründern, die er mit Seminaren und Beratung beim Start in die Selbstständigkeit begleitet hat, keine Rückmeldungen in Sachen Burnout bekommen. Allerdings räumt er ein: „Die Gefahr ist groß.“ Denn um ein Unternehmen erfolgreich auf die Spur zu bekommen, ist man „für diese Zeit sozial isoliert“. Ein angehender Unternehmer selbst merkt davon allerdings wenig. Er bezieht seine Bestätigung aus seinem Erfolg und seinen Kundenaufträgen. Nowak, der die ersten Gründer vor über 30 Jahren beraten hat, hat schon damals – lange bevor das Wort Burnout überhaupt in der breiten Öffentlichkeit aufkam –darauf hingewiesen, den Ehepartner mit zum Gründerseminar zu bringen. „So ist der Partner von Anfang an einbezogen und kann besser verstehen, was eine unternehmerische Tätigkeit bedeutet.“

Der emeritierte Psychologie-Professor Dr. Matthias Burisch, der das Burnout-Institut Norddeutschland (BIND) gegründet hat, beobachtet oftmals eine „scheinfreiwillige Selbstausbeutung“, die bei Gründern offensichtlich normal ist. Dazu kommt häufig noch die Angst vor dem Scheitern. Burisch, der mit dem Buch „Das Burnout-Syndrom: Theorie der inneren Erschöpfung“ ein Standardwerk vorgelegt hat, weiß aber auch, wie schwer sich Klinische und Organisationspsychologie mit einer präzisen Definition tun. Aus über 100 Merkmalen haben sich vier Kernsymptome herauskristallisiert: emotionale Erschöpfung, verringerte Zufriedenheit mit der eigenen Leistung, sogenannte Dehumanisierung („ein beeinträchtigtes Verhältnis zur Umgebung, vor allem der beruflichen“) und Arbeitsüberdruss.

Burischs Theorie geht davon aus, dass Burnout-Prozesse dann beginnen, wenn „Dauerstress in Fallensituationen zu einem chronischen Gefühl der Hilflosigkeit“ führt. Dabei ist Arbeitsüberdruss ein qualitatives, kein quantitatives Kennzeichen: „Die Menge der Arbeit allein ist nicht entscheidend“, flankiert Burnon-Zentrums-Chefin Siebecke. Es kann erst dann zum Problem werden, wenn etwa Meilensteine zu hoch gesetzt werden oder die Wertschätzung fehlt.

Die eigenen Grenzen erkennen

Von Frust und Enttäuschung ist zum Beispiel Christian Heckl noch weit entfernt. Für den Gründer und Chef des Erlanger Startup Lumatix, der gerade Sieger des Businessplan-Wettbewerbs Nordbayern geworden ist, dominiert die „Freude an dem, was ich mache“. Zumal Selbstständigkeit für ihn bedeutet, souverän über die eigene Zeit entscheiden zu können. Zurzeit ist er „100 Prozent Gründer“, gerade weil auch die Investoren High-Tech Gründerfonds und Bayern Kapital für ihr Investment von rund 600 000 Euro konkrete Erfolge erwarten. Aber trotz hohen Tempos und Leistungsdrucks, die er schon aus Studentenzeiten kennt, beschäftigt ihn das Thema Work-Life-Balance. „Man stößt schon mal an seine Grenzen, gerade nach Arbeitstagen mit mehr als zwölf Stunden.“ Seine Freundin hält Heckl dann den Spiegel vor. Und so will er sich nicht zur, sondern auch mal von der Arbeit wegdisziplinieren: „Ich lote meine eigenen Grenzen aus, um zu wissen, wo für mich Schluss ist.“

Genau diese Einstellung scheint vielen Burnout-Kandidaten zu fehlen. Dr. Peter Becker, Nürnberger Standortchef der Personalberatung Steinbach & Partner, stellt fest: „Gerade Leistungsträger spüren in einem schleichenden Prozess nicht, dass ihr Leben aus der Balance gerät.“ In seinen Seminaren zur Stress- und Burnout-Prophylaxe mahnt Becker auch Gründer, sich mit der „latenten Gefahr Burnout“ zu beschäftigen. Die Gefahr lauere auf beiden Seiten: Funktioniere ein Businessplan nicht, wachsen sowohl der selbstgemachte Druck als auch der Druck von außen – etwa von Miteigentümern oder Kapitalgebern. Aber auch der Erfolg habe seine Tücken, wenn Jungunternehmer versuchen, den bisherigen Erfolg immer schneller zu toppen, bis sie „aus den Latschen kippen“.

Frauen besonders gefährdet

Als besonders gefährdete Gründergruppe gelten Frauen, die einer Dreifachbelastung ausgesetzt sind: Unternehmen, Familie mit Partner und Kinder sowie Haushalt. „Gründerinnen neigen dazu, bei ihrem 16-Stunden-Tag zuerst Abstriche an der eigenen Person zu machen“, weiß Iris Kronenbitter, Chefin der bga bundesweiten gründerinnenagentur in Stuttgart. Zumal weitere Aufgaben, wie pflegebedürftige Eltern, anscheinend automatisch als Frauensache eingestuft werden. „Frauen sind Leidens- und Leistungsträger.“

Kronenbitter bekommt trotz vieler Beratungen kaum Rückmeldungen aus der „Grauzone Burnout“. Das liegt an dem speziellen Charakter der selbstständigen Erwerbsarbeit. Auch Betroffene versuchen so lange es irgend geht, das Auftragsvolumen zu stemmen. In der Gründerinnenberatung plädiert Kronenbitter immer zu einer vorbeugenden Gegenstrategie. Gerade Frauen sollten ihren Wochenplan so gestalten, dass weder das Geschäft noch die Regeneration der eigenen Arbeitskraft zu kurz kommen. Der mobile Büroservice aus Solnhofen von Ute Köbler bietet hier eine ganz pragmatische Entlastung, in dem sie etwa für Gründer die Erststrukturierung der Büroorganisation, Buchhaltung oder Sekretariatsarbeiten übernimmt. „Junge Unternehmer merken vielfach zu spät, dass sie nicht alles selber machen müssen.“ Unternehmerin Köbler, zugleich ausgebildete Fitness- und Pilatestrainerin, bietet zudem ein Bewegungstraining mit an. „Körperliche Fitness hängt eng mit der geistigen zusammen, um dem Leistungsdruck gewachsen zu sein.“ 

Die Forscher nähern sich dem Thema wie beim Metaprojekt „Balance von Flexibilität und Stabilität“ aus ökonomischer, juristischer, soziologischer, psychologischen und auch sozialphilosophischer Sicht. Dabei geht es etwa um Arbeitszeiten und Arbeitsgestaltung, Arbeits- und Sozialrecht, Familien- und Geschlechtersoziologie, Arbeits- und Organisationspsychologie oder auch um das Verhältnis von Fremd- und Selbstbestimmung. Derweil kommt etwa eine Studie zum Burnout-Syndrom von der Krankenkasse KKH-Allianz zu dem Schluss, dass im vergangenen Jahr die registrierten Fälle von Burnout-Syndrom um bis zu 46 Prozent gestiegen sind.

Diese Zahlen lassen auf hohe betriebliche und volkswirtschaftliche Kosten schließen. Daher hilft auch der Expertenstreit, ob es sich beim „Ausbrennen“ um eine Phantomkrankheit oder um eine Erschöpfungsdepression handelt, weder dem Personalmanagement in Unternehmen noch den Startups weiter. Für Burnout-Vordenker Burisch werden selbst ausgefeilte Präventionsprogramme das Symptom auf individueller Ebene nicht verhindern. Sein Ratschlag: „Ein bewusster und achtsamer Umgang mit sich und den eigenen Grenzen wird immer wichtiger.“

Autor/in: 
tt.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2011, Seite 24

 
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