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Pinsel und Bürsten

Für Kunst, Kosmetik und Küche

Mittelfranken gilt als die wichtigste Region für die Branche in Deutschland. Besonders in Bechhofen hat die Pinselherstellung lange Tradition.

Die mittelfränkische Pinsel-Geschichte beginnt mit dem Schreinermeister und Pinselmacher Johann Caspar Bühler, der sich um 1789 in Bechhofen niederließ. Nach seinem Tod übernahm sein Sohn das Geheimnis der Pinselmacherei, gab es wiederum an seine vier Söhne weiter, von denen einer nach Fürth heiratete. Aus den Werkstätten entwickelte sich eine beachtliche Pinselbranche, die sich ab 1830 auch nach Nürnberg ausdehnte und von dort das Pinselhandwerk nach Dinkelsbühl und Neustadt a.d. Aisch brachte. In der Marktgemeinde Bechhofen waren Ende des Jahrhunderts 25 Pinselbetriebe ansässig, von denen die meisten nicht mehr bestehen. In Nürnberg waren den Aufzeichnungen zufolge vor 100 Jahren 42 Fabriken mit über 2 200 Arbeitern dieser Branche zuzurechnen, dazu kamen weitere 200 Kleinbetriebe.
Nach Worten des Ersten Bürgermeisters Helmut Schnotz gibt es heute in Bechhofen noch 23 Unternehmen, die direkt oder indirekt mit der Pinsel- oder Bürstenproduktion zu tun haben. Die Zahl der Mitarbeiter schätzt er auf insgesamt 1 100 – bei rund 6 000 Einwohnern in der Marktgemeinde. Vor rund 40 Jahren waren über 1 200 Beschäftigte im Pinselmachergewerbe tätig. Heute geht die Bandbreite der Unternehmen vom Ein-Mann-Betrieb bis zur Firma Geka mit 500 Mitarbeitern.

Die wirtschaftliche Bedeutung genau zu beziffern, fällt schwer, weil keine konkrete Daten vorliegen. Selbst der Verband der deutschen Pinsel- und Bürstenhersteller e.V. mit Sitz in Bechhofen, der zur Jahresmitte aus der Verschmelzung des Verbandes der deutschen Bürsten- und Pinselindustrie mit dem Verband der bayerischen Pinsel- und Bürstenhersteller hervorgegangen ist, kennt keine genauen Zahlen seiner bundesweit knapp 80 Mitglieder. Denn das Spektrum ist überaus breit: Die Produkte der Mitgliedsunternehmen im Verband finden Verwendung in Künstlerateliers, Schulen, Kosmetik, Haushalt, Dentallabors, Malerbetrieben und Reinigungsunternehmen, wieder andere Unternehmen fertigen Pinsel und Bürsten für den industriellen Einsatz, so Hans-Friedrich Bieringer, der stellvertretende Verbandsvorsitzende.

Aber nach wie vor gilt, dass Mittelfranken in Deutschland das Zentrum für die Pinsel- und Bürstenbranche ist. Die wichtigsten Unternehmen der Branche haben hier ihren Sitz – insbesondere in der Region Bechhofen. Eines davon ist die Rusi Cosmetic GmbH & Co. KG, die gerade ihren Stammsitz am Rande Bechhofens vergrößert und deren kosmetische Verpackungen für Mascara-, Lipgloss- und Eyeliner-Einheiten international vermarktet werden. Zu den wichtigsten Unternehmen gehört auch die Geka GmbH, die ihren Stammsitz ebenfalls in Bechhofen hat und außerdem Produktionsstandorte in Großbritannien und den USA unterhält. Geka bietet vom Applikator über Verpackung, Grafik und Veredelung bis zur vollautomatischen Masseabfüllung für Eyeliner, Mascara und Lipgloss aus einer Hand alle Fertigungsleistungen für die Kosmetikwelt.

Einen anderen Kurs hat die Pinselfabrik Friedrich Bieringer Ocean eingeschlagen, die vom Urgroßvater des heutigen Firmenchefs Hans-Friedrich Bieringer im Jahr 1907 gegründet worden war und heute 20 Mitarbeiter beschäftigt. Noch heute werden ausschließlich handgefertigte Pinsel für Kunst- und Hobbymalerei sowie für Schule und kosmetische Anwendungen produziert. Rasierpinsel, die nach dem Zweiten Weltkrieg in das Sortiment aufgenommen wurden und deren Bedeutung zwischenzeitlich durch die Übernahme der Ocean Rasierpinselfabrik Ferdinand Oberndorfer noch wuchs, spielen heute keine Rolle mehr.

„Es ist ein riesiger Umbruch im Markt“, konstatiert Bieringer und verweist auf die Billigprodukte aus Fernost. Der Unternehmer und Verbandsvorsitzende nennt als Beispiel etwa die Pinselsets, die zu Schuljahresbeginn für 1,99 Euro angeboten werden und die schon „beim Heimtransport ins Wackeln kommen“. Und während sich Malerbetriebe mit ordentlichem Werkzeug ausrüsten, werden in Baumärkten für Hobbyheimwerker „Pinsel mit Einwegmentalität“ verkauft. Zudem werde in Japan, Korea und Thailand jede Art von Naturhaar kopiert, allerdings nur in der Optik, nicht mit den gewünschten Farb- und Maleigenschaften. Weil deutsche Hersteller bei der Qualität führend sind, ist Bieringer trotz der schwierigen Marktlage positiv gestimmt: „Wir kämpfen an allen Seiten mit Rückgängen, aber wir sind trotzdem eine Branche mit Zukunft.“

Dafür, dass aus Mittelfranken weiterhin hoch qualitative Produkte kommen, sorgt auch die Außenstelle der Staatlichen Berufsschule Rothenburg-Dinkelsbühl, die in Bechhofen aktuell 21 Schüler in dem Ausbildungsberuf der Bürsten- und Pinselmacher ausbildet. In dieser bundesweit einzigartigen Lehreinrichtung wird handwerkliches Wissen genauso vermittelt wie das Bedienen und Einrichten von Maschinen.

Pinsel- und Bürstenmuseum

Wie die Pinselherstellung in früheren Tagen ausgesehen hat, zeichnet das Deutsche Pinsel- und Bürstenmuseum in der Dinkelsbühler Straße 23 in Bechhofen nach. Demonstriert werden die einzelnen Herstellungsschritte bis zum fertigen Pinsel. Zu sehen ist natürlich auch eine Vielzahl von Pinseln und Bürsten aus den verschiedenen Epochen und für die unterschiedlichsten Einsatzgebiete. Das Museum ist im Sommerhalbjahr geöffnet, Sonderöffnungen sind jederzeit und ganzjährig nach telefonischer Absprache möglich (Tel. 09822 209 oder Tel. 09822 10829).

Doch nicht nur die Region Bechhofen hat zentrale Bedeutung für diesen Wirtschaftszweig, auch andere Städte und Gemeinden in Mittelfranken sind Standort wichtiger Unternehmen. Die Vereinigten Pinselwerke, die 1889 in Nürnberg 15 Betriebe bündelten, beschäftigten 1 400 Personen. Noch heute wird die Vereinigte Pinselfabriken Leonhardy & Co. KG mit Sitz in Nürnberg Johannis im Familienbesitz von der Familie Leonhardy geleitet. Im mittelfränkischen Wilhermsdorf hat sich die 1890 gegründete Pinselfabrik Müller auf Pinsel, Deckenbürsten und Zubehör für Maler- und Stukkateurbetriebe spezialisiert. Die benachbarte Herbert Feustel Pinselfabrik konzentriert sich auf Pinsel für Porzellanmalerei, Glas, Künstler und Hobby.

Als „Marktführer in Europa“ hat sich laut Geschäftsleiter Hermann Meyer die Nürnberger da Vinci Künstlerpinselfabrik Defet etabliert. Die rund 100 Mitarbeiter produzieren jährlich sechs Mio. Pinsel und setzen rund zehn Mio. Euro um. Hans-Friedrich Defet, der das 1890 gegründete Unternehmen nach dem Krieg erfolgreich aufbaute und Meyer in den 80er Jahren mit in die Geschäftsführung holte, vereinte zwei Fabriken unter einem Dach: Von den 14 000 verschiedenen Pinselvarianten im Sortiment wird ein Teil als hochwertige Mengenartikel in eigens entwickelten Maschinen vollautomatisch produziert, der andere Teil wird nach wie vor in traditioneller Handarbeit gefertigt – darunter auch Spezialpinsel mit einer Jahresauflage von zwei Exemplaren. Drei Viertel des Geschäfts entfallen auf Aquarellpinsel, flache und runde Ölmalpinsel sowie Katzenzungenpinsel in den verschiedensten Größen und Formen. „Beim Pinsel geht es letztlich immer nur um Haare, Fassung und Stil“, stellt Meyer fest. „Dazu kommen aber noch Innovation, Qualität und Spartenprodukte.“ Das ist für ihn der kleine aber entscheidende Unterschied gegenüber der Billigkonkurrenz.

An den acht handwerklichen Arbeitsschritten zur Herstellung eines Pinsels – vom Portionieren über das Wegbinden und Kitten (Verkleben) bis zum Anbringen des Stils – hat sich in den letzten 200 Jahren nichts geändert. Und noch heute werden tausende Pinsel in fingerfertiger Handarbeit erstellt, deren Pinselform nicht nachträglich geschnitten, sondern gleich richtig gebunden und ausgeformt wird. In der Produktion der da Vincis machen synthetische Pinselfasern etwa 70 Prozent der Produktion aus und ihre Eigenschaften nähern sich immer weiter den von Naturhaaren an. Ansonsten kommen Schweineborsten zum Einsatz oder die Feinhaare von Dachs, Ziege, Pony oder blaue Fehhaare vom Eichhörnchen. Für einen Pinsel mit Haaren des sibirischen Rotmarders, die Krone in der Pinselmanufaktur, sind 1 200 Euro zu berappen. Eine ganz neue Anwendung ist mit dem Vormarsch des hoch auflösenden Fernsehens HDTV entstanden. Denn die neue Bildschärfe zeigt jede Unreinheit auf der Haut und jede Schuppe auf dem Jackett. Der Traditionsbetrieb da Vinci hat auch hier eine Lösung aus Synthetik- und Ziegenhaar kreiert. Das rauere Ziegenhaar nimmt genug Make-up auf, die Kunstfaser sorgt für eine besonders gleichmäßige Verteilung.

Zurichtung der Tierhaare

Aktuell treibt Meyer die Sorge um die Zulieferer um: „Selbst das Handwerkerwissen zum Zurichten von Schweineborsten scheint langsam auszusterben.“ Deshalb will er die Struktur der deutschen Zulieferer möglichst stützen. Denn das Unternehmen ist mit seiner Strategie auch auf die handwerklich aufbereiteten Tierhaare angewiesen, außerdem gilt die Kombination aus Innovation und Handwerkskunst als Erfolgsrezept der von Billiganbietern bedrängten Branche.

Flankenschutz soll die Pinselregion Mittelfranken durch den „PinselParkBechhofen“ (PPB) sowie einer „PinselMeile“ bekommen, so das Ergebnis einer Entwicklungsstudie aus dem Jahr 2006. Die Ideen, hinter der Hand als „unfinanzierbare Kopfgeburten“ verspottet, liegen immer noch jungfräulich als Konzept im Rathaus. „Eines Tages machen wir uns daran“, erklärt Bechhofens Bürgermeister Schnotz. Er setzt lieber auf kleine, pragmatische Schritte. Seit Oktober wirbt an der Autobahn ein Schild für das Pinselmuseum in Bechhofen, außerdem wird ein touristisches Paket mit dem benachbarten Fränkischen Seenland geschnürt, um mehr Tagesgäste anzulocken. Am Potenzial der Pinselmetropole Bechhofen hat er keinen Zweifel: „Es ist und bleibt ein Alleinstellungsmerkmal.“

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 11|2011, Seite 18

 
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