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Werkstätten für behinderte Menschen

Mitten im (Berufs-)Leben

Die mittelfränkischen Werkstätten präsentieren sich als leistungsfähige Betriebe mit einer breiten Angebotspalette. Sie ermöglichen Menschen mit Handicap eine Teilhabe am Arbeitsleben.

"Wir als Werkstätten sind keine Spielbetriebe, und wir leben auch nicht vom Sozialbonus, sondern wir sind professionelle Dienstleister und Zulieferer für Unternehmen aus der Region“, erklärt Christian Schadinger, Geschäftsführer der Regnitz-Werkstätten Erlangen. Schadinger ist Vorstandsmitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM), in der in Deutschland rund 93 Prozent aller Werkstätten organisiert sind. In Mittelfranken spricht er für insgesamt 27 Hauptwerkstätten mit über 4 000 Beschäftigten. Deutschlandweit arbeiten rund 290 000 Menschen in WfbM, die meisten von ihnen haben eine geistige Beeinträchtigung.

„Grundaufgabe aller Werkstätten ist es, Menschen mit Behinderung eine Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, die ihren Stärken entspricht, oder sie idealerweise in den freien Arbeitsmarkt zu integrieren“, erklärt Schadinger. Ziel sei es immer, die Mitarbeiter direkt vor Ort in einem Betrieb zu beschäftigen. Dazu müssen die Unternehmen die Menschen mit Behinderung nicht direkt einstellen, seit einigen Jahren sind auch ausgelagerte Werkstattarbeitsplätze möglich. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Firma Staedtler, die ab Februar zwölf Werkstattmitarbeiter vor Ort im Unternehmen einsetzen wird. Egal ob Übernahme oder Festanstellung: In beiden Fällen können die Firmen die Aufwendungen teilweise auf die im neunten Sozialgesetzbuch vorgeschriebenen Ausgleichsabgaben anrechnen und dadurch auch Kosten sparen.

„Menschen mit Behinderung können qualitativ sehr gute Arbeit leisten, sind motiviert und engagiert“, erklärt Schadinger die Vorteile für die Unternehmen. Außerdem fördere ihre Anwesenheit in den Firmen häufig die Kommunikationsfähigkeit und die soziale Kompetenz der gesamten Belegschaft. Daher ruft Schadinger zu mehr Engagement bei den Unternehmen auf: „Viele Firmen sind positiv überrascht, wenn sie zum ersten Mal einen Menschen mit Behinderung bei sich beschäftigen oder Aufträge an Werkstätten vergeben. Wir hoffen, dass noch mehr Unternehmen Menschen mit Behinderung dabei unterstützen, am Arbeitsleben teil zu haben.“ Auch Praktika können laut Schadinger als erste Kontaktaufnahme helfen. Derzeit sind es vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die Integrationsprojekte mittragen.

Größere Unternehmen sind besonders als Auftraggeber für die Werkstätten von Bedeutung. Um die Beschäftigten gemäß ihrer Leistungsfähigkeit fördern zu können, müssen Werkstätten ein möglichst breites Tätigkeitsspektrum anbieten können. Dazu sind sie auf unterschiedliche Aufträge aus der freien Wirtschaft angewiesen – und daher auch den konjunkturellen Schwankungen unterworfen, die sie meist mit drei bis sechs Monaten Verspätung erreichen.

Die Wirtschaftskrise im Jahr 2009 traf beispielsweise die Aurach-Werkstatt in Herzogenaurach empfindlich, eine Einrichtung der Lebenshilfe Erlangen-Höchstadt. Die rund 200 Beschäftigten erbringen dort Dienstleistungen für Unternehmen aus den Branchen Automobilzulieferung, Spielwaren, Metallbearbeitung, Elektronik oder Lebensmittelherstellung. „Wir mussten während der Krise spürbare Auftragseinbrüche verkraften“, erklärt Werkstattleiter Matthias Rein. „Zum Glück ging es schnell wieder aufwärts: Dieses Jahr konnten wir das bereits gute Ergebnis aus 2010 sogar nochmal verbessern.“

Jürgen Emisch, Leiter der Boxdorfer Werkstatt und Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft, spürt die Auswirkungen der Krise bis heute: „Es ist eine deutliche Erholung sichtbar, aber das Niveau von 2008 haben wir noch nicht wieder erreicht.“ Sorgen bereitet Emisch besonders der Bereich der Industriegüter, in dem die Auftragslage immer noch stagniert. Aufwärts geht es dafür im Bereich der Verpackungsdienstleistungen: „Die Auftragszuwächse sind vor allem auf unsere Investitionen in Logistik und Arbeitsvorbereitung zurückzuführen.“ Die Umsätze sind bei Verpackungsdienstleistungen allerdings eher gering, außerdem wird die Zeit zwischen Auftragseingang und Lieferzeitpunkt laut Emisch geringer: „Unsere Kunden versuchen, den Warenbestand möglichst gering zu halten: Dadurch steigt natürlich der Zeitdruck für unsere Mitarbeiter.“

Eigene Produkte als Standbein

Etwas besser kamen Werkstätten durch die Krise, die weniger stark von Unternehmenskunden abhängig sind und sich stattdessen mehr auf den Verkauf eigener Produkte stützen. Die Nürnberger Wohn- und Werkstätten für Blinde und Sehbehinderte bieten zwar auch unternehmensnahe Dienstleistungen wie Daten- und Aktenvernichtung, Verpackungs- oder Montagearbeiten oder Wäscherei-Dienste an, sind aber auch in anderen Bereichen tätig. „Mehrere Standbeine haben es uns erleichtert, die Krise gut zu überstehen. Zuletzt war aufgrund einer höheren Belegschaft auch ein leichter Arbeitsanstieg bei uns spürbar“, erläutert Werkstattleiter Bernhard Franz. Er setzt – besonders in der Vorweihnachtszeit – auf die Produkte der hauseigenen Schreinerei: „Wir stellen kleine Deko-Artikel aus Holz her, die wir in unserem Werkstattladen oder auch auf Weihnachtsmärkten verkaufen“, erläutert Franz, der künftig mit einem kleinen Katalog oder einem Online-Shop den Absatz stärken möchte.

Auch für Blasius Ramsauer, Leiter der Schreinerei in den Auhof-Werkstätten, ist die Adventszeit von großer Bedeutung: „Das Vorweihnachtsgeschäft mit unseren Produkten aus der Schreinerei und der Töpferei ist eine wichtige Einnahmequelle.“ Besonders gut läuft der Verkauf von kleineren Holznaturprodukten auf den Weihnachtsmärkten oder von Weihnachtsbäumen in der eigenen Gärtnerei. „Besonders stolz sind die Mitarbeiter immer dann, wenn sie Dinge, die sie selbst gefertigt haben, auch persönlich auf Märkten verkaufen können“, so Ramsauer. Eigenprodukte, die häufig das Portfolio von Werkstätten abrunden, sind laut Schadinger daher besonders wichtig für die Identifikation und das Selbstwertgefühl der Beschäftigten. 

Hoher Kostendruck 

„Insgesamt gesehen traf die Finanz- und Wirtschaftskrise die Werkstätten Mittelfranken hart, aber die letzten beiden Jahre haben gezeigt, dass es Schritt für Schritt wieder bergauf geht: Momentan brummt es“, so Christian Schadinger rückblickend. Allerdings steigt gerade in den Bereichen Verpackung, Montage und Konfektion, der für viele Werkstätten das Kerngeschäft ausmacht, laut Schadinger der Preisdruck. Auch Karl-Heinz Krähling, Leiter der Bruckberg Werkstatt der Diakonie Neuendettelsau, hat das in seiner Einrichtung trotz eines guten Geschäftsjahres bereits gemerkt: „Der Kostendruck bei zahlreichen Aufträgen ist immens.“ Hinzu kommt das Problem, dass manche Arbeiten nicht mehr so häufig an Werkstätten abgegeben werden wie früher. „Einfache Tätigkeiten, die auch von schwerstbehinderten Mitarbeitern übernommen werden können, erhalten die Werkstätten von Unternehmen immer seltener“, berichtet Schadinger.

Auf das kommende Jahr blicken die Werkstätten für behinderte Menschen überwiegend optimistisch: Die meisten Einrichtungen sind zuversichtlich, mit ihrem breiten Dienstleistungsangebot erfolgreich zu sein. Außerdem hoffen viele Einrichtungen auf langfristige Projekte mit Unternehmen, um weitere Mitarbeiter in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Allerdings gibt es wegen der Euro-Krise auch Befürchtungen, notwendige Sparmaßnahmen bei den öffentlichen Haushalten könnten zu Lasten der Einrichtungen gehen. Schadingers Appell: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen mit Behinderungen unter den Entwicklungen auf den weltweiten Finanzmärkten leiden.“

Autor/in: 
Katrin Fleßner/Jonas Müllenmeister
Externer Kontakt: Landesarbeitsgemeinschaft WfbM, Christian Schadinger, Tel. 09131 7671-21, Fax -76, christian.schadinger@regnitz-werkstaetten.de
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2011, Seite 12

 
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