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Kammergespräch mit Peter Löscher

Europa hat großes Potenzial

Der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG nannte vor 400 Zuhörern im Historischen Rathaussaal fünf "Hebel", um den Kontinent wieder auf Kurs zu bringen.

Europa handelt noch immer aus einer Position der Stärke. Und diese Stärken sollten wir nicht übersehen.“ Mit diesem Appell begann Löscher seinen Vortrag im Historischen Rathaussaal zum Thema „Die Industrie in Europa: Herausforderungen und Chancen für die Zukunft“. Auf der Habenseite des Kontinents sieht der Vorstandsvorsitzende eine ganze Reihe von Punkten: Jahrzehntelange Stabilität, weltgrößter Binnenmarkt mit einem Wirtschaftsvolumen von fast 13 Billionen Euro, Exportkraft, starker Mittelstand, Vielfalt und Offenheit sowie nicht zuletzt der Euro als „unverzichtbare gemeinsame Währung“.

All dies macht Europa nach Worten Löschers zu einem attraktiven Partner, beispielsweise für die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China, aber auch für die sogenannte „zweite Welle“ der Schwellenländer, zu denen er u.a. Polen, die Türkei, Chile, Kolumbien oder die Philippinen zählt.

Dennoch sei nicht zu übersehen, dass Europa große Aufgaben zu bewältigen habe. Schuldenkrise, Griechenland, spanisches Bankensystem, Euro-Rettungsschirm und Fiskalpakt – dies seien Stichworte, die den Ernst der Lage und die Notwendigkeit eines gemeinsamen entschlossenen Handelns deutlich machten. All diese Probleme müssten mit einer „We can do it“-Mentalität angepackt werden, wie er sie in den USA kennengelernt habe. Dazu gehöre auch, die Globalisierung nicht als Bedrohung zu sehen, sondern als große Chance. Deutschland, das noch vor zehn Jahren als „kranker Mann“ gegolten habe und heute weltweit bewundert werde, könne viel zu einem wiedererstarkten Europa beitragen. Eine wesentliche Erkenntnis der letzten Jahre: Es sei richtig gewesen, die industrielle Basis zu stärken und dadurch Wachstum und Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftsbereichen zu generieren.

„Europa ist die starke Basis für unser weltweites Geschäft. Und wir möchten, dass das in Zukunft so bleibt“, erklärte Löscher vor den rund 400 Gästen des 143. Kammergesprächs. Im vergangenen Geschäftsjahr entfielen 40 Prozent des Siemens-Umsatzes auf Europa, die Hälfte der Belegschaft und zwei Drittel der Forscher arbeiten hier. Zwei Mrd. Euro wurden insgesamt in Anlagen investiert, rund ein Drittel davon floss allein nach Deutschland. „Wir sind heute in 190 Ländern der Welt zuhause, in vielen davon seit mehr als 100 Jahren. Und diese Internationalität stärkt unseren Heimatstandort!“, sagte der Siemens-Chef. Davon profitiere auch die Metropolregion Nürnberg, in der 44 000 Menschen für Siemens beschäftigt sind, von denen 1 300 im vergangenen Geschäftsjahr neu eingestellt wurden. IHK-Präsident Dirk von Vopelius dankte Löscher für sein „bemerkenswertes Bekenntnis zur Region“, in der drei der vier Siemens-Sektoren ihren Hauptsitz haben.

Fünf „Hebel“ sind aus Sicht Löschers entscheidend, um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu stärken:

Verlässliche Rahmenbedingungen: Unverzichtbar für die exportorientierte europäische Wirtschaft seien Regeln für einen fairen und freien Handel, europaweit einheitliche Regelungen im Patentschutz sowie der sichere Zugang zu Rohstoffen.

Zugang zu finanziellen Mitteln: „Das Bankensystem ist nicht so stabil, wie wir gedacht hatten“, sagte Löscher und plädierte deshalb für eine nachhaltige Stabilisierung und eine effektive Finanzmarktregulierung, sodass insbesondere der Mittelstand wieder besseren Zugang zu finanziellen Mitteln bekomme. Bessere Finanzierungsmöglichkeiten für Gründer und Offenheit für Investitionen aus dem Ausland nannte er als weitere Aspekte.

Gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit: Deutschland habe sich wegen seiner weltweit anerkannten Ingenieurleistungen eine gute Position erarbeitet. Es gelte sie zu halten durch Qualität, Kostenbewusstsein, Kundennähe, höhere Produktivität und schnelle Markteinführung. Auf einen Punkt legte Löscher besonderen Wert: „Die Energie- und Ressourceneffizienz ist ein entscheidender Wettbewerbsfaktor, besonders für die produzierende Industrie.“ In diesem Zusammenhang unterstütze er auch das „Jahrhundertprojekt“ der deutschen Energiewende, die neue Exportchancen eröffne. „Die Energiewende kommt ins Rollen. Und sie wird deutlich schneller vorankommen, wenn deutsche Industrieunternehmen ihre Technologien und Kompetenzen einbringen.“

Innovationskraft stärken: Siemens habe auch in Zeiten der Finanzkrise die Forschung hochgehalten und investiere dafür heute 5,3 Prozent des Umsatzes. Allein in der Region arbeite der Konzern in über 100 Projekten mit den Hochschulen zusammen, um „Forschung und Ingenieurskunst zu vereinen“. Als wichtige Erfolgsrezepte für Siemens nannte Löscher intelligente IT- und Software-Lösungen sowie die umfassende Kompetenz bei Automatisierung, Antriebssystemen und industrieller Software. Diese breite Basis biete nur Siemens und leiste damit einen Beitrag für die Wettbewerbskraft seiner Industriekunden.

Bildung und Qualifikation: Mit Sorge sieht Löscher die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa, die in Kontrast steht zum Fachkräftemangel in vielen Bereichen. Deshalb sei die Ausbildung ein entscheidender Faktor. Siemens selbst bildet in Deutschland 10 000 junge Leute aus, davon 2 300 in der Metropolregion Nürnberg. Zusammen mit der IHK-Organisation arbeite Siemens intensiv daran, anderen Ländern das deutsche System der dualen Berufsausbildung nahezubringen. Löscher nannte konkrete Siemens-Projekte in Spanien, Portugal, Großbritannien und den USA.

Beim Kammergespräch wurde Löscher von Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly auf die Zukunft des Nürnberger Siemens-Trafowerks angesprochen, in dem rund 400 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Der Siemens-Chef wollte hierzu keine Versprechen machen und verwies auf die harte Konkurrenz und auf die Forderung wichtiger Partnerländer, einen Anteil der Produktion vor Ort aufzubauen.

Autor/in: 
bec.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2012, Seite 22

 
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